Hier ist die Zahl der Fehltage besonders hoch: So krank ist Sachsens Justiz

Sachsen - Angestellte und Beamte des öffentlichen Dienstes sammeln erheblich mehr krankheitsbedingte Fehltage als der Schnitt der sächsischen Werktätigen. Beim Arbeitgeber Freistaat fällt besonders die "kranke Justiz" ins Auge.

Normalerweise sind zwei Beamte für einen Haftbereich zuständig. Durch den Krankenstand muss mitunter ein Bediensteter zwei Abteilungen allein übernehmen.
Normalerweise sind zwei Beamte für einen Haftbereich zuständig. Durch den Krankenstand muss mitunter ein Bediensteter zwei Abteilungen allein übernehmen.  © Matthias Hiekel dpa/lsn

Da gibt es einzelne Gerichte und besonders Justizvollzugsanstalten, die locker das Doppelte und teils das Dreifache des durchschnittlichen Krankenstandes in Sachsen erreichen - über Jahre hinweg! Die neue Justizministerin hat eine schwere Aufgabe geerbt.

Die Zahlen stammen aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linken. Denn es ist auch Aufgabe der Opposition, mögliche Missstände bei Behörden zu hinterfragen.

Fraktionsvorsitzende Susanne Schaper (47): "Nur wer gesund ist, kann gute Arbeit leisten. Hohe Krankenstände müssen die Staatsregierung alarmieren."

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Es ist allgemein bekannt, dass Arbeitgeber mit einer vertrauensvollen und wertschätzenden Unternehmenskultur viel zum Wohlbefinden und zur Gesundheit ihrer Mitarbeitenden beitragen können.

Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, bringt es auf den Punkt: "Generell gilt, je zufriedener die Beschäftigten, desto niedriger auch der Krankenstand."

Fraktionsvorsitzende Susanne Schaper (47, Linke).
Fraktionsvorsitzende Susanne Schaper (47, Linke).  © Maik Börner

Im Gesundheitswesen liegt der Krankenstand höher als bei Dienstleistungen

Während einer Acht-Stunden-Frühschicht läuft ein Strafvollzugsbeamter bis zu elf Kilometer - nur, um Gefangene von A nach B und wieder zurückzubringen. Zwischendurch müssen noch drei unangekündigte Haftzellen-Durchsuchungen abgearbeitet werden. Keine dauert unter 30 Minuten.
Während einer Acht-Stunden-Frühschicht läuft ein Strafvollzugsbeamter bis zu elf Kilometer - nur, um Gefangene von A nach B und wieder zurückzubringen. Zwischendurch müssen noch drei unangekündigte Haftzellen-Durchsuchungen abgearbeitet werden. Keine dauert unter 30 Minuten.  © Paul Zinken/dpa

Zur Einordnung: Laut AOK Plus, dem größten Krankenversicherer in Sachsen, lag der Krankenstand in Sachsen 2023 bei 6,8 Prozent - im Schnitt war jeder Versicherte 24,87 Tage arbeitsunfähig.

Im Gesundheitswesen (7,7 Prozent) und bei der öffentlichen Verwaltung (7,6 Prozent) liegt der Krankenstand höher als etwa bei Dienstleistungen (6 Prozent). Die prognostizierten Zahlen für 2024 liegen auf ähnlichem Niveau.

Freilich haben nicht alle Behörden des Freistaates einen hohen Krankenstand zu beklagen. So sammelten beispielsweise die 400 Mitarbeiter der Landesbibliothek seit 2019 pro Kopf niemals mehr als 16,3 krankheitsbedingte Ausfalltage im Jahr.

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Und an der Fachhochschule Meißen, an welcher die neue Justizministerin Constanze Geiert (48, CDU) bisher als Professorin für Verwaltungsrecht lehrte, hatten die 140 Mitarbeiter von 2019 bis 2024 in keinem Jahr einen Krankenstand von über fünf Prozent und blieben immer unter elf Ausfalltagen.

An der neuen Wirkungsstätte der Ministerin spielt der Krankenstand jedoch eine erhebliche Rolle. Es gibt Gerichte, bei denen er über Jahre hinweg ununterbrochen im zweistelligen Prozentbereich liegt. Besonders die nicht verbeamteten Beschäftigten fehlen oft.

Tätigkeit der Stravollzugsbediensteten nicht mit anderen Behörden vergleichbar

Man hat es mit dem aggressivsten Promille der Bevölkerung zu tun, da gibt es keine hundertprozentige Sicherheit.
Man hat es mit dem aggressivsten Promille der Bevölkerung zu tun, da gibt es keine hundertprozentige Sicherheit.  © Markus Scholz/dpa

Viel schlimmer sieht es in einigen Gefängnissen aus.

Beispiel JVA Chemnitz: Seit 2019 lag der Krankenstand der 200 Mitarbeiter immer über 15 Prozent. Waren es 2019 noch 38 Krankheitstage pro Kopf, steigerte sich das bis 2023 auf 43,77.

In dem Frauengefängnis sind allerdings überwiegend weibliche Mitarbeiter beschäftigt, weshalb wegen kranker Kinder und der Familienplanung naturgemäß mehr Fehltage entstehen könnten.

Beispiel JVA Bautzen: Seit 2020 liegt der Krankenstand immer im zweistelligen Bereich. Besonders auffällig ist er bei den nicht verbeamteten Beschäftigten: 2023 lag er hier über 27 Prozent (67 Ausfalltage), in den ersten neun Monaten 2024 gar bei 30,7 Prozent - jede Firma würde da kollabieren.

Beispiel JVA Leipzig mit Haftkrankenhaus: Bis 2021, darunter zwei Pandemiejahre, lag der Krankenstand unter acht Prozent und hat sich danach mehr als verdoppelt. Die 270 Mitarbeiter sammelten pro Kopf 44 Ausfalltage in 2022 und 46,3 ein Jahr später. In den Haftanstalten Waldheim, Zeithain und Regis-Breitingen ist der Krankenstand ebenfalls dauerhaft zweistellig.

Das Justizministerium weist auf die Besonderheit der Strafvollzugsbediensteten hin, deren Tätigkeit nicht mit anderen Behörden des Freistaates vergleichbar sei.

Pressesprecher Alexander Melzer: "Die Berufsgruppe der Polizeibeamten hat ähnliche Belastungsfaktoren, jedoch sind Justizvollzugsbeamte durch ständigen Kontakt zu den Gefangenen höheren Belastungen ausgesetzt."

Laut Thomas Porr fehle eine klare Linie: "Bei den vielen Ausfällen haben die Schichtplaner den schwierigsten Job"

In der JVA Waldheim liegt der Krankenstand seit 2021 stets im zweistelligen Prozentbereich.
In der JVA Waldheim liegt der Krankenstand seit 2021 stets im zweistelligen Prozentbereich.  © Jan Woitas/dpa

Tatsächlich ist der Stress, sich ununterbrochen auf gefährliche Personen zu konzentrieren, nicht zu unterschätzen. Jedoch: Die Justizbeamten der Anstalten in Dresden und Görlitz sind bei der Zahl der Krankheitstage dauerhaft weit unter dem Schnitt der sächsischen Werktätigen - es muss nicht unbedingt am Beruf liegen.

In Anstalten mit krankheitsbedingter Unterbesetzung entsteht für die Belegschaft ein Teufelskreis. Thomas Porr, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Strafvollzugbediensteten (BSBD): "Manche Kollegen schieben 300 Überstunden vor sich her, praktizieren verkürzte Pausenzeiten und betreuen mitunter zwei Abteilungen, obwohl das nicht vorgesehen ist. Nicht selten muss man auf Zuruf eine zusätzliche Schicht übernehmen, da kommt die Rekonvaleszenz zu kurz." Klingt nicht nach gesundheitsfördernden Bedingungen.

Seiner Meinung nach fehle eine klare Linie für ein vorwärts orientiertes Schichtsystem. Porr: "Bei den vielen Ausfällen haben die Schichtplaner den schwierigsten Job. Wir brauchen eine professionelle EDV-unterstützte Dienstplanung, welche auch die Geschlechtsspezifika und die Altersstruktur berücksichtigt."

Um sich selbst und die Behörde bei Sicherheitsdefiziten vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen, könnten die Mitarbeiter eine Gefährdungs- oder Überlastungsanzeige beim Arbeitgeber abgeben. Das wurde in der Vergangenheit verstärkt getan, ließ aber nach - vielleicht aus Resignation.

Justizministerin Constanze Geiert (48, CDU).
Justizministerin Constanze Geiert (48, CDU).  © Eric Münch

Porr: "Man wird zu einem freundlichen Gespräch eingeladen, aber es ändert sich nichts. Außer vielleicht, dass in der Personalakte steht, dass man sich beschwert hat."

Auf Constanze Geiert wartet ein Problemfeld, was für sie neu sein dürfte. Susanne Schaper: "Die neue Justizministerin darf sich nicht damit abfinden, dass eben Personal fehlt, der Altersdurchschnitt hoch und die Aufgaben anspruchsvoll sind. Die Staatsregierung muss die Ursachen hoher Krankenstände aufklären und gezielt gegensteuern."

Titelfoto: Bildmontage: Paul Zinken/dpa, Jan Woitas/dpa

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