Hochwasser-Bilder rufen böse Erinnerungen wach! Plötzlich ist der Schrecken von 2002 wieder da
Dresden - Überflutete Ortschaften, geborstene Häuser und Tausende Menschen, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen: Tief "Bernd" hatte in nur wenigen Stunden sintflutartig bis zu 180 Liter Regen pro Quadratmeter gebracht und hinterließ ein Bild der Zerstörung. Mehr als 140 Menschen verloren in den besonders stark betroffenen Gebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ihr Leben. Noch immer werden Menschen vermisst und die Situation bleibt angespannt. Bei den Sachsen wecken diese Schreckensbilder böse Erinnerungen an das Jahrhunderthochwasser im Jahr 2002.
Und Klimaexperten wie Dr. Andreas Marx (45), Leiter des Mitteldeutschen Klimabüros am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, sind sich sicher: Dieses Extremwetter, damals wie heute, hängt mit dem Klimawandel zusammen.
Die Erinnerung kann ein Schatz sein. Oder ein Fluch. Mitunter löst sie sich, ungewollt wie ein Schuss, wenn neue Bilder den alten zu sehr ähneln.
So ergeht es manchen Sachsen dieser Tage, die beim Hochwasser 2002 an vorderster Front kämpften.
Jörg Glöckner (59, CDU) war damals Bürgermeister in Weesenstein, als eine entfesselt tosende Müglitz den Ortskern unterhalb des Schlosses durchpflügte.
"Wer so etwas einmal erlebt hat, vergisst es nicht", sagt er. Die Brücke, auf der er heute steht, fiel der Flut damals genauso zum Opfer wie zwei Bewohner und neun Häuser, die entweder gleich zerbröselten oder später abgerissen werden mussten. "Weesenstein ist nicht mehr so, wie's früher war", sagt Glöckner leise, und meint damit nicht nur die Leere im Ortskern.
Gemeinden sollten beim Wiederaufbau nichts überstürzen
Viele Weesensteiner, die 2002 ihr Hab und Gut in den Wassermassen verloren, leben heute im benachbarten Burkhardswalde oder in umliegenden Gemeinden. Fluthilfe floss damals nicht zu knapp - 2002 war (wie 2021!) ein Wahljahr. Gab es Neid?
Glöckner, der sein Amt 2015 aus freien Stücken niederlegte, denkt kurz nach. "Ein einziges Mal habe ich auf einer Sitzung etwas in der Richtung gehört", erinnert er sich.
Den Betreffenden habe er gefragt, ob er wirklich mit denen tauschen wolle, die ihr Heim verloren hätten. Glöckner: "Dann war Ruhe."
Ratschläge an die aktuell betroffenen Gemeinden im Westen will "der Jörg", wie ihn viele Weesensteiner noch nennen, nicht unbedingt geben. Dass jetzt erstmal Sicherheit und Versorgung im Vordergrund stünden, "wissen die schon selbst".
Dann schiebt er doch noch etwas nach: "Ich würde beim Wiederaufbau nichts überstürzen. Eine gute Planung braucht manchmal Zeit."
Glashütte massiv vom Jahrhunderthochwasser 2002 betroffen
Dafür halte das neu Errichtete dann aber auch - bestenfalls auch bei der nächsten Katastrophe.
Auch Glashütte war 2002 massiv vom Hochwasser betroffen.
Der Damm eines Rückhaltebeckens der Prießnitz war oberhalb des Ortes geborsten, endlose Wassermassen ergossen sich durch den Ort. Damals wie heute war Veit Hantzsch (52) Chef der örtlichen Feuerwehr.
Auch ihn holt die Erinnerung angesichts der Bilder aus dem Westen jetzt wieder ein.
Hantzsch: "Damals bin ich mit dem Bürgermeister im Lautsprecherwagen die Stadt rauf- und runtergefahren, um vor der Welle zu warnen." Letztlich mit Erfolg: In Glashütte selbst kam - anders als in anderen Ortsteilen - kein Bewohner ums Leben.
Und das, obwohl die gewaltige Welle Autos, Container und Baumaterial durch die langgezogene Häuserschlucht peitschte. Hantzsch: "Fassaden wurden beschädigt, Straßen freigelegt, Gasleitungen zerstört." Der Horror!
Frühes Warnen, glaubt Hantzsch noch heute, sei bei Hochwasserkatastrophen das A und O. Die Schwierigkeiten dabei kennt er aber auch. Hantzsch: "Wenn schon früh flächendeckend der Strom ausfällt, funktionieren nach wie vor nicht mal die Sirenen." Und das 19 Jahre nach der sogenannten Jahrhundertflut in Sachsen.
Titelfoto: Daniel Förster