1100. Geburtstag: Neuer Schwung für Sachsens ältestes Dorf
Machern - Keine andere Ortschaft in Sachsen kann auf so eine lange Geschichte verweisen wie das Dorf Püchau an der Mulde. Die urkundliche Ersterwähnung geht auf das Jahr 924 zurück.
Auch wenn Püchau über weitere Alleinstellungsmerkmale und entzückende Attraktionen verfügt, gibt es hier wie in nahezu jedem sächsischen Dorf die gleichen Probleme mit der fehlenden Infrastruktur.
Ein nicht gehaltenes Wahlversprechen allerdings brachte neuen Schwung in die Dorfgemeinschaft. Und nächstes Wochenende feiert sie ein großes 1100-Jahre-Spektakel.
Wer über den idyllischen Dorfteich hinweg auf das erhabene Schloss und zur stolzen Peterskirche schaut, möchte sich einfach setzen und staunen.
Der Leipziger Andreas Baumbach ist vor acht Jahren mit der Familie hierhergezogen und hat mit seinem Hund schon jeden Winkel des Dorfes mehrfach durchstreift: "Egal, wo man gerade steht - man erblickt überall herrliche und anheimelnde Perspektiven."
Für die Ruhe abseits der Stadt muss man aber die Nachteile in Kauf nehmen, welche das Leben auf dem Lande nun mal mit sich bringt. Nach der Wende erlebte Püchau wie so viele sächsische Dörfer eine Entvölkerung.
Dorfkonsum, Kneipe, Bäcker, Fleischer oder Apotheke findet man nicht mehr, alle machten nach und nach dicht. Immerhin gibt es noch die Kita. Und ein Verein etablierte eine freie Grundschule mit Hort.
Das sorgte dafür, dass auch wieder junge Familien Püchauer wurden und sich die Einwohnerzahl bei 500 stabilisierte.
Nachdem Michael Kretschmer sein Versprechen nicht hielt: Anwohner kämpfen für älteste Bogenbrücke Sachsens
Anders als bei den auf Hochglanz polierten und totsanierten historischen Touristenstädtchen legte die Zeit über den alten Dorfkern von Püchau eine liebevolle Patina.
Hier atmet man noch Geschichte ein. Für eine bestimmte Klientel von Besuchern, die der vorbeiführende Mulderadweg ins Dorf lockt, ist der Ort einfach atemberaubend: für jene, die den morbiden Charme des Vergehens und der Vergänglichkeit schätzen.
Ungewünscht hingegen ist der Verfall oder gar der Verlust der Substanz. Die älteste Bogenbrücke Sachsens etwa, welche seit 1564 Kirche und Schloss verbindet, wurde vor Jahren gesperrt, weil sie Steine abwarf und einsturzgefährdet ist.
Im Jahr 2019 sicherte der damalige Wahlkämpfer Michael Kretschmer (49, CDU) vor Ort Unterstützung zu. Doch wie so oft tat sich erst mal nichts.
Aus diesem Anlass gründete sich zwei Jahre später ein Heimatverein "Unser Püchau", dem inzwischen 25 Leute angehören. Als Erstes wurde mit einem großen Transparent auf die weiter vor sich hin bröckelnde Brücke verwiesen und über 500 Unterschriften wurden gesammelt. Und die Vereinsmitglieder fragten bei den zuständigen Behörden immer wieder nach.
Das wurde in Dresden so nervig oder überzeugend wahrgenommen, dass die Sanierungsmittel tatsächlich freigegeben wurden.
1100 Jahre: Weitere Herausforderungen für Heimatverein
Der Erfolg löste eine Aufbruchstimmung im Dorfleben aus. Vereinsvorsitzender Andreas Baumbach: "Gemeinsam organisieren wir zum Beispiel das Adventsfest. Und beim Frühjahrsputz sind Jahr für Jahr mehr helfende Hände dabei."
Auch eine eindrucksvolle Menschenkette von 122 Leuten wurde auf die Beine gestellt. Es geht darum, dass die Landestalsperrenverwaltung endlich eine 400-Meter-Lücke im Deich schließt.
Dazu muss man wissen, dass die Fluten 2002 und 2013 sehr viel Leid und Zerstörung nach Püchau brachten.
Derzeit steht der Heimatverein vor der nächsten Herausforderung: Er organisiert die 1100-Jahr-Feier vom 30. Mai bis 2. Juni.
Baumbach: "Natürlich hätten wir auch eine Eventagentur bestellen können. Dann hätte das Fest aber für alle Püchauer und Gäste Eintritt gekostet. Das wollen wir keinem zumuten." Also nahmen es die Mitglieder selbst in die Hand, gingen Klinken putzen und fanden reichlich Sponsoren.
MP Michael Kretschmer ist nicht dabei
Drei Tage lang werden Gaukler und Musikanten das historische Dorf und den Schlossvorhof in ein Mittelalterspektakel verwandeln. Konzerte und Tanzvergnügen sind geplant, auch ein fröhliches Wasserspritzen der Freiwilligen Feuerwehr.
Für die Kinder gibt es Theater, eine Bastelstraße und eine Hüpfburg. Und ein historischer Rundgang wird eingeweiht, für den die Vereinsleute derzeit noch die Schilder drucken lassen.
Trotz Einladung bevorzugt Ministerpräsident Michael Kretschmer an diesem Wochenende andere Termine. Vielleicht auch deshalb, weil die Kirchbrücke noch immer eingerüstet und gesperrt ist.
Die feierliche Eröffnung ist erst für August geplant. Vielleicht ist er dann mit dabei, immerhin steckt er da mal wieder im Wahlkampf.
Des Königs Zuflucht
Es war die Zeit, als die Stämme zwischen den Alpen und der Nordsee begannen, sich als Deutsche zu verstehen.
Sie hatten in Heinrich I. (auch Herzog von Sachsen) erstmals einen gemeinsamen König, welcher sie gegen den furchtbaren gemeinsamen Feind anführte: die Ungarn.
Im Jahr 924 musste der König verwundet aus dem Schlachtgetümmel fliehen. Er fand einen Zufluchtsort auf einem Bergsporn über der Mulde. Dort wurde er wieder aufgepäppelt.
In seiner berühmten Chronik hielt der Bischof Thietmar von Merseburg den slawischen Namen des Ortes fest: Bichni. Daraus wurde über die Jahrhunderte Püchau.
Titelfoto: Holm Helis