Garantiert schwindelfreie Experten rüsten derzeit Hunderte Windräder in Sachsen um!
Dresden - 881 Windräder drehen sich derzeit in Sachsen. Die meisten davon müssen bis Jahresende umgerüstet sein - damit sie nachts nicht ständig blinken, Anwohner also entlastet werden. Fachleute installieren dafür in luftiger Höhe neue Technik und müssen dazu auch im Freien arbeiten.
Einer davon ist Eric Schacht (36) von der Dresdner VSB-Gruppe. Etwa viermal im Monat wechselt er seinen Platz am Schreibtisch mit den "Herzkammern" dieser Energieform: den "Gondeln" in der Mitte der drei Rotorblätter.
Um dort hinaufzukommen, muss Schacht erst einmal in eine Art simplen Aufzug steigen, der im Fachjargon "Aufstiegshilfe" heißt. Ruckelnd und zuckelnd hievt die klapprige Kiste maximal zwei Personen langsam in die Höhe.
Allerdings nicht ganz nach oben - etwa 10 Meter unterhalb der Nabenhöhe ist Schluss.
Dann muss Eric Schacht den Steigschutzläufer seines Gurtzeugs an einer Art Steigleiter festmachen und Sprosse um Sprosse den Rest des Weges erklimmen.
Beim "Enercon E70-E4", dem Windrad-Typ, den er heute kontrollieren und umrüsten muss, befindet sich sein Arbeitsplatz in exakt 98,2 Metern Höhe.
Sachsens Windräder: Im Herz der Gondel
"Maschinenhaus" wird dieser Teil der Gondel auch genannt. Eine fast kugelförmige Kunststoffkapsel mit viel Technik drinnen. Vor allem der Steuerschrank wirkt auf Laien beeindruckend.
"Das Herz der Gondel", nennt Schacht diese wundersame Kiste. "In der Hauptplatine werden alle Daten gesammelt", erklärt der Mann aus der Lausitz, der früher einmal beim Braunkohle-Verstromer Vattenfall gearbeitet und dann "die Seiten gewechselt" hat, wie er lachend bemerkt.
Der Steuerschrank stecke voller Technik und Detektoren, die zum Beispiel melden, wenn sich Eis an der Nabe bildet oder ein loses Teil - was normalerweise nicht passiert - Geräusche verursacht.
Dann werde die Anlage automatisch abgeschaltet, den Grund dafür könne man dann auf Rechnern im Dresdner Büro ablesen.
Darum werden Windräder abgeschaltet
Apropos abschalten: Windräder müssen per Vorschrift immer auch aus der Ferne gestoppt werden können. "Einmal vom Service-Betreiber", wie Eric Schacht erklärt.
Das kann zum Beispiel nötig werden, wenn ein Bauer in der Nähe des Windparks seine Felder aberntet und damit den geschützten Rotmilan anlockt, der zwischen den Stoppeln reiche Mäuse-Beute wittert. Oder bei Manövern.
"Aber auch Netzbetreiber und Direktvermarkter können die Anlagen stoppen." Erstere, wenn zum Beispiel an heißen, windigen Wochenenden sonst mehr Strom erzeugt als verbraucht werden würde, dem Netz also eine Überlastung droht.
Zweitere, wenn sich wegen eines Überangebots die Produktion von Windenergie einfach nicht rechnet.
Schacht weiß: "Manchmal wundern sich die Leute, wenn die Räder sich trotz guter Windverhältnisse nicht drehen." Aber das Geflecht aus Angebot, Nachfrage und dem Mix aus verschiedenen Stromformen, die einen stets schwankenden Bedarf decken müssen, sei eben kompliziert.
Künftig blinken die Windräder anders
In festgelegten Abständen werden die Windenergieanlagen, wie die Räder offiziell heißen, von unten nach oben exakt überprüft.
Einmal von den Betreiberfirmen selbst, aber auch z. B. vom TÜV. Selbst in die Rotorblätter gehen dann Fachleute hinein und prüfen alles auf eventuelle Schadstellen.
Momentan haben die Betreiber der Anlagen auch damit zu tun, die Windräder auf eine "bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung" umzurüsten. Das soll laut Gesetz bis Jahresende geschehen und betrifft alle Windräder, bis auf die ganz alten.
Im Klartext: Während die Anlagen bisher die ganze Nacht hindurch rot geblinkt haben, sollen sie künftig nur noch dann ein (Infrarot-)Signal absetzen, wenn sich ein Flugzeug nähert.
Dessen Transponder-Signal muss dazu von einem Empfänger im Windpark (wird nicht an jedem einzelnen Windrad installiert) aufgenommen werden. Und um die roten Lampen umzurüsten, die meist auf den Gondeln, also den Naben, verbaut sind, muss Eric Schacht heute eine Luke öffnen, sich mittels Gurtzeug gesichert in die Höhenluft lehnen und mit Werkzeug an der Leuchte hantieren.
"Schwindelfrei sollte man in meinem Beruf schon sein", sagt der Projektmanager für technische Betriebsführung, der diesen Teil seiner Arbeit aber sichtlich genießt. Verständlich: Wer darf schon während der Dienstzeit so einen Ausblick genießen?
Sachsens Windenergie in Zahlen
Erst 1 neue Windenergieanlage wurde in diesem Jahr errichtet (Stand Ende Juni), 881 gibt es damit insgesamt. Im letzten Jahr kamen 11 neue Anlagen dazu.
Im ersten Quartal dieses Jahres wurden laut Umweltministerium 7 neue Anlagen mit einer Leistung von 41 Megawatt (MW) Leistung genehmigt (aber noch nicht gebaut). Sie liefern den Jahresertrag von etwa 80 alten Anlagen. 34 neue Anlagen (Windräder) mit einer Leistung von 191 MW sind aktuell im Genehmigungsverfahren.
Im Freistaat sind bisher nur 0,3 Prozent der Gesamtfläche für die Gewinnung von Windenergie freigegeben. Allerdings beschloss der Landtag im Dezember 2022 die sogenannte Flexibilisierungsklausel. In deren Rahmen können Kommunen in eigener Hoheit außerhalb der Regionalplanung künftig eigene Flächen für Windparks auf den Weg bringen. Außerdem wurde beschlossen, dass die regionalen Planungsverbände bis 2027 das 2-Prozent-Flächenziel des Bundes erfüllen - fünf Jahre vor der vom Bundesgesetzgeber genannten Frist.
Die beiden größten Windräder Sachsens mit einer Gesamthöhe von 244 Metern (Leistung je 5,6 MW) stehen in Zwickau-Mosel.
Bundesweit decken die erneuerbaren Energien (Wind, Solar, Biomasse etc.) etwa die Hälfte des Strombedarfs und ein Fünftel des Gesamtenergiebedarfs. Innerhalb der "Erneuerbaren" macht die Leistung der Windräder etwa die Hälfte des erzeugten "grünen" Stroms aus.
Titelfoto: Steffen Füssel