Sächsische Firma revolutioniert die Verpackungs-Industrie

Freital - Egal, ob Joghurt, Margarine oder Tütensuppe: Erst kommt beim Abziehen das blecherne Ratschen vom Verschluss, dann der Genuss. Doch der Aludeckel kommt bald auf den Müllplatz der Geschichte.

Von Suppentüte bis Joghurtbecher: Bei einigen Discountern stehen die neuen durch Watttron-Technik verschweißten Verpackungen schon heute im Verkaufsregal.
Von Suppentüte bis Joghurtbecher: Bei einigen Discountern stehen die neuen durch Watttron-Technik verschweißten Verpackungen schon heute im Verkaufsregal.  © IMAGO/Funke Foto Services

Neue Verschlussmaterialien sind im Anmarsch. Die Keramiktech-Firma Watttron aus Freital fungiert dabei als "Hochzeitsausstatter". Sie vermählt mit ihrer neuen digitalen Heiztechnologie Becher und Schutzfolie zu einem festen Verbund.

Die so verheirateten leckeren "Ehepaare" stehen schon vielfach in Supermarktregalen und auf unseren Küchentischen.

Nach dem Öffnen eines frischen Margarinebechers muss man noch eine Alu-Folie abziehen, damit man an den cremigen Brotaufstrich kommt. Ebenso bei Joghurt, einem Becher Grießbrei oder Quarkschälchen.

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Vergesst das! Denn schon bald wird es diese Alu-Folie nicht mehr geben, damit Verpackungen vollständig recycelt werden können. Dafür müssen Becher und Folie künftig aus ein und demselben Stoff bestehen, zumeist aus Polypropylen oder Polyethylen.

Doch damit Becher und Schutzfolien dann perfekt miteinander verbunden werden können und akkurat verschließen, brauchte es neue Heizsensoren zum Verschmelzen von Topf und Deckel.

Hier kommt die Firma Watttron aus Freital ins Spiel. "Wir haben eine digitale Heiztechnologie mit integrierten Sensoren entwickelt, die in der Lage ist, punktgenau zu heizen", sagt Marcus Stein (36), Gründer und Geschäftsführer der Watttron GmbH. "Damit werden Verpackungshersteller in die Lage versetzt, materialsparend die neue EU-Verpackungsverordnung umzusetzen."

Die schreibt vor, bis spätestens 2030 Joghurt, Margarine und andere Lebensmittel nur noch in Verpackungen oder Beuteln aus einem einzigen Material herzustellen.

Watttron-Team musste erst im Ausland nach Kundschaft suchen

Gründete das Unternehmen 2016 zusammen mit drei Geschäftspartnern: Marcus Stein (36), Geschäftsführer der Watttron GmbH. Die Firma sitzt im Freitaler Technologie- und Gründerzentrum im ehemaligen Glaswerk an der Dresdner Straße.
Gründete das Unternehmen 2016 zusammen mit drei Geschäftspartnern: Marcus Stein (36), Geschäftsführer der Watttron GmbH. Die Firma sitzt im Freitaler Technologie- und Gründerzentrum im ehemaligen Glaswerk an der Dresdner Straße.  © Watttron/tobiasritz

Eigentlich müssten dank der Freitaler Sensoren die Verpackungsriesen vor Freude im Dreieck springen. Doch Innovation hat keine Freunde, musste Stein schnell feststellen: "Die Industrie hierzulande ist sehr, sehr konservativ."

Die großen Befürchtungen der Branche: Die neuen Maschinen und die Technologie könnten ihre Hochleistungsproduktion ausbremsen, die Massenherstellung gefährden und so die Produktivität senken. Bei manchen werden immerhin 800 Tütenbeutel pro Minute abgefüllt und verschweißt. Außerdem seien Neuanschaffungen teuer. Und so winkten sie ab. Mehrfach.

Weil der Prophet im eigenen Land oft nicht zählt, musste das Watttron-Team zuerst im Ausland nach Kundschaft suchen. Erst bei Firmen wie Procter & Gamble oder Verpackungsmaschinenspezialist R.A Jones in den USA wurden die sächsischen Heizelemente dankbar abgenommen.

Marcus Stein hat Trick für deutschen Markt

Damit der Joghurtbecher auch ohne Aludeckel frisch hält, liefert Watttron die neuen Heizsysteme und -sensoren.
Damit der Joghurtbecher auch ohne Aludeckel frisch hält, liefert Watttron die neuen Heizsysteme und -sensoren.  © Watttron/tobiasritz

Für den heimischen Markt ersann Stein einen Trick, um die Verpackungsgiganten doch noch zu überzeugen.

"Wir bauten unsere Technologie einfach in eine bestehende Anlage ein, rüsteten quasi am lebenden Objekt die Produktion um", erzählt der Ideengeber.

Als erster deutscher Hersteller bissen die aufgeschlossenen Geschäftsführer der Gerhard Schubert GmbH an, ein Verpackungsmaschinenhersteller aus Crailsheim. Ergebnis des Experiments am offenen Herzen: "Mit unserer Technologie lief die Schubert-Verpackungsmaschine mindestens genauso schnell und bis heute störungsfrei", sagt Stein.

Als Nebeneffekt wird zudem die Hälfte der Energiekosten eingespart. Bei einem anderen Referenzprojekt laufen jährlich 45.000 Kilometer Verpackungsfolie robust vom Band.

"Wir haben stets den Wunsch nach Exklusivität abgelehnt", erklärt Stein die Firmenphilosophie. "Engstirnigkeit und Aussperren der Konkurrenz hilft in diesem Geschäft nicht weiter, das sich im Umbruch befindet."

Inzwischen gibt es sogar White-Label-Lösungen, bei der die Heiztechnologie aus Sachsen unter dem eigenen Namen mehrerer großer Maschinenbauer verkauft wird. Jetzt werden auch Lübecker Marzipan-Produkte mit der Watttron-Technologie verpackt und bald auch Chips, Tütensuppen und Tierfutter.

Firma sucht neue Mitarbeiter

Digitale Heiztechnologie mit integrierten Sensoren: Mit diesem System revolutioniert Watttron den Verpackungsmarkt.
Digitale Heiztechnologie mit integrierten Sensoren: Mit diesem System revolutioniert Watttron den Verpackungsmarkt.  © Watttron/tobiasritz

Im Juni trifft sich die Crème de la Crème der Suppenbeutelhersteller zum branchenweit größten Global Pouch Forum in Clearwater (Florida/USA).

"Bei dieser renommiertesten Veranstaltung der Branche haben wir exklusiv Gelegenheit bekommen, unsere Produkte mit einem Vortrag vorstellen zu dürfen", freut sich Stein über die seltene Erlaubnis. "Wir wollen den Produzenten dabei noch einmal deutlich machen, dass ihre Angst vor Produktionseinbußen durch unsere Technik unbegründet ist."

Die Firma sucht gerade neue Mitarbeiter. Kleiner Tipp an Newcomer im Watttron-Team: den Firmennamen Watttron niemals mit nur zwei "t" schreiben!

"Ansonsten muss man bei uns eine Kaffeerunde ausgeben", schmunzelt Stein. "Watttron ist ein Kunstwort, setzt sich aus 'Watt' als Einheit für elektrische Leistung und 'tron' aus Elektronik zusammen. Die ungewöhnliche Schreibweise mit drei 't' ist einmalig und bleibt bei Kunden im Gedächtnis." Genauso war's gedacht.

Befürchtung der Industrie: sinkende Produktivität. Deshalb wurde diese Verpackungsmaschine der Pharmabranche wohl auch erst mal nur zu Testzwecken angeschafft.
Befürchtung der Industrie: sinkende Produktivität. Deshalb wurde diese Verpackungsmaschine der Pharmabranche wohl auch erst mal nur zu Testzwecken angeschafft.  © Arne Dedert/dpa

Idee entstand noch an der Uni

Die Watttron GmbH entstand 2016 als Ausgründung der TU Dresden und der Fraunhofer-Gesellschaft.

"Wir hatten an der Uni winzige keramische Heizpunkte entwickelt", sagt Marcus Stein, einer von insgesamt vier Gründern. "Die einzeln digital steuerbaren Pixel lassen sich wie Legobausteine zu beliebig großen Matrix-Heizformen kombinieren."

Damit lassen sich Heizpunkte sehr genau dosieren, an welcher Stelle es zum Beispiel an einer Folie und am Joghurtbecher zur Verschmelzung heiß werden soll. Inzwischen arbeiten 85 Angestellte für Watttron. Längst gibt es Niederlassungen in Italien und Japan - die erste seit 2022 in Chicago/USA.

"Um die Produktion auszubauen, suchen wir jetzt Servicemitarbeiter vor allem für die USA, Frankreich, Brasilien und Japan", sagt Stein. Bis auf 100 Mitarbeiter soll die Angestelltenzahl dieses Jahr anwachsen. Erst Anfang des Jahres wurde die neueste Außenstelle in Schwäbisch Hall im Allgäu direkt im Auge der Verpackungsindustrie eröffnet.

Stein: "An der A6 zwischen Nürnberg und Stuttgart befindet sich das deutsche 'Packaging Valley'. Dort sind 80 Prozent der Verpackungsmaschinenbauer angesiedelt." Noch ist Watttron nicht profitabel. Nicht zuletzt die Pandemie hat die Wachstumspläne durchkreuzt. "Unser Jahresumsatz liegt im einstelligen Millionenbereich", sagt Stein. "Wir wachsen mit den Investoren. Die Gewinnzone wird in zwei Jahren angepeilt."

Titelfoto: Bildmontage: IMAGO/Funke Foto Services, Watttron/tobiasritz (2)

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