Gelenau - Mit 70 Jahren schwang sich Johannes Breitfeld vom wohlverdienten Ruhestandssofa und machte sich noch mal auf die Socken. Trotz Wirtschaftsflaute gründete er vor einem Jahr im Erzgebirge eine Textilfirma. Der Grund, warum er damit einer treuen und begeisterten Fangemeinschaft ihre "Erzgebirgssocke" rettet, hört sich zunächst kurios und verwirrend an: Er tut dies aus purer Dankbarkeit!
Der aus Bärenstein stammende Johannes Breitfeld (71) ist sicher kein unerfahrener Jungunternehmer. Ganz im Gegenteil: Was die Herstellung von Strümpfen und die Gründung von Fabriken betrifft, ist er ein ganz alter Hase. Und zwar ein richtig erfolgreicher. Zur Socke kam er aber einst wie die Jungfrau zum Kinde …
Nach dem Mathematik-Studium in Jena sollte er beim VEB Gelkida (Gelenauer Kinder- und Damenstrümpfe) die EDV-Abteilung aufbauen. Weil die Leiterin einer Produktionsabteilung gerade in den Kinderschutz ging, fragte man ihn, ob er sich da mal versuchen wolle. Er konnte. Dann die nächste Abteilung. Und noch eine. Irgendwann war er Produktionsdirektor bei Europas größtem Kinderstrumpfhersteller.
Kurz vor der Wende fragte eine Schweizer Firma, ob er für sie in der DDR eine Strumpffabrik aufbauen könnte. Nach der Wende entstand so Leosocks in Burkhardswalde. Und weil Breitfeld überzeugte, durfte er für das Unternehmen gleich noch federführend eine Strumpffabrik in Riga (Lettland) errichten.
Gemeinsam mit einer ehemaligen Gelkida-Kollegin gründete er 1996 sein eigenes Unternehmen. Damals war der Markt von asiatischer Billigware überschwemmt, man konnte nur in sehr kleinen Nischen mit regionaler Qualität operieren. Doch die setzte sich nach und nach durch.
Eigentlich hatte er ausgesorgt, doch dann kam alles anders
Bis 2020 war die Breitex GmbH in Dittersdorf (Gemeinde Amtsberg) auf 62 Mitarbeiter angewachsen und machte mit Qualitätsstrümpfen 2,5 Millionen Euro Jahresumsatz. Da er selbst so langsam auf das Rentenalter zuging, arbeitete Breitfeld noch einen Geschäftsführer als Nachfolger ein und verkaufte das Unternehmen an den größten Kunden. Eigentlich hatte er ausgesorgt.
Wäre nicht das Drama vom 20. Juni 2017 gewesen. In der Nacht brannte die obere Etage seiner Strumpffabrik - gleich 33 Maschinen wurden zerstört. Immerhin löschten die fünf Feuerwehren so geschickt, dass die untere Maschinenhalle nahezu unversehrt blieb. Dennoch drohte das Aus.
Was Breitfeld dann erlebte, war eine überwältigende Welle der Hilfsbereitschaft. Viele Strickunternehmer aus dem Erzgebirge boten ihre Unterstützung an. Bereits am ersten Morgen kam das Unternehmer-Ehepaar Rolf-Jürgen und Ursula Hauer vom Strumpfhersteller Epesa in Leukersdorf und krempelte an der Brandstelle die Ärmel hoch.
Johannes Breitfeld: "Er hat sich sofort ans Telefon gesetzt und Hilfe organisiert. Dann übernahm er auf eigene Kosten einige Aufträge, damit wir unsere Kunden nicht verlieren. Und er hatte in seiner Firma einige Spezialisten, welche sechs unserer verkohlten Maschinen wieder auf Vordermann brachten." Erzgebirgische Strickunternehmer sind wohl eher Kumpel statt Konkurrenten.
Aus Dankbarkeit zurück an die Strickmaschinen
Breitfeld sieht es realistisch: "Wir hätten nach diesem Brand eigentlich keine Chance gehabt, uns noch einmal zu erholen. Was Familie Hauer selbst aufopfernd geleistet hat, werde ich mein Leben lang nicht vergessen."
Die Zeit, sich zu revanchieren, begann vor über einem Jahr. Aus Altersgründen musste Ehepaar Hauer ihre 99 Jahre bestehende Firma Epesa (Emil Pfau Erzgebirge Sachsen) aufgeben. Die großen Aufträge für Puma-Strümpfe (u.a. Borussia Dortmund und Arsenal London) hatten sie schon vor längerer Zeit auslaufen lassen. Letztlich produzierten sie nur noch ihr patentiertes Schmuckstück: die Erzgebirgssocke.
Glaubt man den teils überschwänglichen Kundenrezensionen, handelt es sich hierbei um ein Wunderwerk für Tragekomfort, Wohlbefinden und Langlebigkeit. Sie habe wärmende Effekte, sei butterweich, man schwitze nicht und sie rutsche nie. Offenbar sind die Dehnungsfalten und Lüftungslöcher mit den entsprechenden Materialien an den richtigen Stellen eingestrickt.
Zurück an den Ort, wo Breitfelds Sockenkarriere begann und inzwischen das "Erste Deutsche Strumpfmuseum" steht: In Gelenau produziert er seit April vorigen Jahres mit Epesa-Maschinen die Erzgebirgssocke. Eine Strickerin und drei Minijobber sorgen dafür, dass die Fangemeinschaft weiterhin das angenehme Fußklima genießen kann.
Breitfeld: "Die erste Saison lief viel besser als erwartet. Besonders in der Vorweihnachtszeit konnten wir mit der Produktion kaum die Nachfrage bedienen." Um das Risiko zu streuen, produziert er auch für andere Abnehmer. Sogenannte Silbersocken. Oder Karzl-Socken - nach der erzgebirgischen Mundart-Figur. Oder er veredelt die Wolle erzgebirgischer Alpaka-Züchter.
Doch allein die Erzgebirgssocke würde genügen. Sie verkauft sich völlig ohne Werbekampagnen. Demnächst soll es auch den Erzgebirgskniestrumpf in sieben Farben geben. Breitfeld: "Falls ich geeignete Mitarbeiter finde, werden wir im April auf ein Zweischicht-System umstellen. Das Abenteuer Erzgebirgssocke geht weiter." Weitere Infos findet Ihr unter: epesa.de.