Mini-Bergwerke: Erzgebirger führen alte Tradition fort
Königswalde - Das ganze Jahr über hat Wolfgang Süß (71) Wurzeln, Moos und Mineralien gesammelt. Nun zückt der 71-Jährige in seiner Werkstatt in Königswalde (Erzgebirge) die Schnitzmesser, um kleine Figuren aus Holz in Form zu bringen.
Als Bergmänner mit Schlägel und Eisen oder an der Haspel werden sie später einmal bewegt von einer filigranen Mechanik den Bergbau vergangener Jahrhunderte en miniature lebendig werden lassen. Dazu verwandelt der Rentner kleine Schränke mit Naturmaterialien in liebevoll arrangierte Bergwerke.
Über Jahrhunderte haben Bergleute im Erzgebirge kunstfertig nach Feierabend Szenen ihrer Arbeitswelt nachgebaut. Davon zeugen Geduldflaschen, die ähnlich wie bei einem Buddelschiff den Bergbau in einer Glasflasche darstellen.
Entstanden sind auch Bergwerksmodelle zunächst als unbewegliche Szenerien. Später hauchten die Bergleute ihnen mit viel Einfallsreichtum mechanisch Leben ein. Stück für Stück entstanden so eindrucksvolle, oft mehrere Meter große Heimatberge.
"Ein Heimatberg zeigt immer den Broterwerb des Bergmanns", erklärt Eckart Holler, der schon viele solch historischer Modelle restauriert hat. Heute kümmert er sich um die Schätze im Depot Pohl-Ströher in Gelenau, zu dessen umfangreichen Fundus an Volkskunst auch solche Berge gehören.
"Früher gab es noch keine Besucherbergwerke und die Bergleute wollten zeigen, wie es unter Tage aussieht." Gegen Ende des 19. Jahrhunderts seien solche Modelle dann mit Darstellungen aus der Weihnachtsgeschichte ergänzt worden: Aus Heimat- wurden Weihnachtsberge.
Traurig: Einige Modellbergwerke wurden einfach zu Feuerholz gemacht
Für manchen Bergmann war das Modellbergwerk auch Einnahmequelle, vor allem wenn er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr unter Tage einfahren konnten.
Einige zogen dann mit sogenannten Kasten- oder Buckelbergwerken - getragen auf dem Rücken, umgangssprachlich Buckel genannt - übers Land und veranstalteten Schauvorführungen in Wirtshäusern und auf Festen. So konnten Berginvaliden ihre dürftige Pension aufstocken und über die Arbeiten unter Tage informieren.
Viele historische Heimat- und Weihnachtsberge in Privatbesitz seien in vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen, bedauert Holler. Das habe mit Veränderungen der Lebensbedingungen und im Freizeitverhalten zu tun.
Mancher habe mit dem Fund auf dem Dachboden wenig anfangen können und daraus Feuerholz gemacht, berichtet der Experte. Auch sei mit der Zeit oft das Wissen um die alte Mechanik verloren gegangen. Deswegen seien sie heute vor allem in Museen zu finden; neu gebaut würden solche Berge kaum noch.
"Die Mechanik ist relativ einfach wie vor 100 Jahren"
"Mit der Zeit sind immer mehr Weihnachtsberge verschwunden", weiß auch der studierte Maschinenbauer Süß zu berichten. Früher seien sie noch häufiger in Privathäusern an Weihnachten zu sehen gewesen. Und mancher Tüftler habe sich wohl lieber der Modelleisenbahn statt dem Bergwerk gewidmet.
Als erfahrener Schnitzer hat sich Süß deswegen seit Ende der 1980er-Jahre einer Renaissance der Buckelbergwerke verschrieben. Er schätzt, dass es heute etwa eine Handvoll Leute im Erzgebirge gibt, die diese noch bauen.
Zunächst nutzte er dafür Setzkästen, später Schränkchen, um darin Bergwerke mit ihren verschiedenen Szenerien darzustellen. "Sie sind nicht so groß, brauchen nicht auf- und abgebaut werden und lassen sich gut verstauen", schildert er die Vorzüge.
Mit Liebe zum Detail bildet Süß die Untertagewelt der Bergwerke nach mit Leitern und Wasserrädern, Bergmännern, die das Erz aus dem Berg schlagen, es im Hunt abtransportieren oder selbst am Seil in den Berg hinabgelassen werden. Kleine Lämpchen erhellen die Stollen und auf Knopfdruck beginnen sich die Bergmänner zu bewegen.
Möglich macht das etwa eine kleine Walze mit Noppen, die von einem Elektromotor in Gang gesetzt wird und per Faden mit den Figuren verbunden ist. "Die Mechanik ist relativ einfach wie vor 100 Jahren."
"Im Jahr schaffe ich etwa ein Buckelbergwerk"
150 bis 200 Stunden arbeite er an solch einem Buckelbergwerk, schätzt Süß. Die Zeit zum Sammeln der Materialien bei seinen Wanderungen ist da noch nicht berücksichtigt.
"Im Jahr schaffe ich etwa ein Buckelbergwerk." Abnehmer finden die vorrangig in der Familie und im Bekanntenkreis. Mehr als 30 habe er inzwischen gebaut.
Und die Ideen für weitere gehen ihm längst noch nicht aus. So steht auf seinem Tisch in seiner Werkstatt schon das nächste parat. Das Gestein unter Tage ist bereits modelliert, die erste Figur hat ihren Platz an der Haspel über Tage eingenommen. Auch für die Weihnachtsgeschichte ist ein Platz reserviert.
Süß kramt kleine Figuren aus einem Kästchen hervor und stellt sie zur Probe auf. "Die kommen hier hinten hin: Krippe, Hirte, Schaf und Engel."
Titelfoto: Hendrik Schmidt/dpa