Energieminister Günther im TAG24-Interview: "Wir müssen die Krise für einen Sprung nach vorn nutzen"
Dresden - Putins Krieg in der Ukraine tobt unerbittlich. Jeden Tag sterben mehr Zivilisten, darunter auch viele Kinder. Um den Druck auf den russischen Präsidenten zu erhöhen, könnten Deutschland und die Europäische Union die Importe von Gas, Öl und Kohle stoppen. Doch auch ein neuerlicher EU-Energiegipfel brachte kein Embargo. Wir sprachen mit Sachsens Energieminister Wolfram Günther (48, Grüne) über die Auswirkungen eines Boykotts, ob wir die Energiewende überdenken müssen und wie wir unabhängiger von Russland werden.
TAG24: Herr Günther, die EU überweist jeden Tag etwa eine Milliarde Euro für Gas, Öl und Kohle an Russland. Sind wir nicht moralisch verpflichtet, darauf zu verzichten?
Wolfram Günther: Wir stecken in einem Dilemma. Wir müssen solidarisch sein, können aber derzeit noch nicht auf Energieimporte aus Russland verzichten. Daran wird hart gearbeitet. Es rächt sich jetzt, dass die Energiewende lange Jahre systematisch ausgebremst wurde. Das gefährdet jetzt nicht nur die nationale Sicherheit und Versorgungssicherheit, sondern auch unsere Freiheit.
Welchen Preis müssten wir für einen Boykott, egal von welcher Seite, zahlen?
Die Überlegung, wie man verhindern kann, dass Putin mit den Einnahmen aus dem Gas- und Ölverkauf seinen Krieg bezahlt, finde ich richtig. Ein Boykott würde unsere Wirtschaft aber so sehr treffen, dass der gesellschaftliche Frieden gefährdet wäre. Das würde auch unsere Fähigkeit schwächen, der Ukraine zu helfen.
"Die Herausforderung stellt sich für den kommenden Winter"
Nun liegt es aber nicht nur an uns. Auch Putin droht, den Gashahn zuzudrehen.
Die Gasspeicher sind ausreichend gefüllt. Wenn in Russland morgen der Gashahn zugedreht werden würde, kämen wir ohne Probleme über diese Heizperiode und darüber hinaus. Übrigens finden die Gaslieferungen auf demselben Niveau statt wie vor Kriegsbeginn. Auch Erdöl und Steinkohle sind genügend vorhanden. Die Herausforderung stellt sich für den kommenden Winter.
Müssten wir uns also darauf vorbereiten, im nächsten Winter eventuell zu frieren?
Nein. Falls es zu Engpässen käme, gibt es bei der Bundesnetzagentur klare Regeln, wer das in welcher Reihenfolge tragen müsste. Soziale Einrichtungen, Krankenhäuser, die Menschen, die zu Hause heizen, wären zuallerletzt betroffen.
Die Energiepreise steigen immer weiter. Wie will die Regierung gegensteuern?
Im Kern geht es darum, diesen Krieg zu beenden und mit einem zügigen Ausbau erneuerbarer Energien – die preiswerteste Energie am Markt – Sicherheit und Unabhängigkeit herzustellen.
"Ich kann mit Braunkohle nicht russisches Gas ersetzen"
Angesichts dessen wird der Ruf lauter, den Kohle- und Atomausstieg zu stoppen.
Erdgas aus Russland wird überwiegend für Wärme und Industrieanwendungen gebraucht. Braunkohle dient überwiegend der Stromerzeugung. Das heißt, ich kann mit Braunkohle nicht russisches Gas ersetzen. Und eine Laufzeitverlängerung der verbleibenden Atommeiler würde maximal 5 Prozent des Strombedarfs liefern, bei horrenden Kosten und Sicherheitsrisiken. Das ist also nicht die Antwort.
Sie halten demnach an der Energiewende fest?
Die Energiewende machen wir, weil wir wissen, was Klimawandelfolgen weltweit auslösen, nämlich Krisen, Fluchtbewegung, Krieg. Und ich erinnere an das katastrophale Hochwasser im letzten Sommer. Die aktuelle Energiepreiskrise betrifft die fossilen Energien. Strom aus Sonne und Wind ist wesentlich preiswerter. Wäre der Ausbau in der Vergangenheit nicht behindert worden, hätten wir jetzt dieses Problem nicht. Wenn es wegen des Kriegs in der Ukraine notwendig ist, muss man bei der Energiewende einen Schritt zur Seite machen. Deswegen besorgt Bundesminister Habeck für die Bundesreserve Erdöl und Steinkohle. Das steht in keinem Widerspruch.
"Wir müssen die Krise für einen Sprung nach vorn nutzen."
Die Devise lautet nun, die Erneuerbaren Energien in "Tesla-Geschwindigkeit" auszubauen?
Wir müssen die Krise für einen Sprung nach vorn nutzen. Wir brauchen viel schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren – auch für das sogenannte Repowering, wo wir an existierenden akzeptierten Standorten mit neuen Anlagen bis zu zehnmal mehr Strom ernten können.
Die Erneuerbaren wie Wind und Solar erzeugen vor allem Strom. Was bringt uns also deren Ausbau für den Wärmemarkt, der vorwiegend auf Erdgas basiert?
Die Import-Abhängigkeit haben wir auch bei Erdöl und Steinkohle, die vor allem für Strom gebraucht werden. Wenn wir Strom aus Erneuerbaren erzeugen, sind wir da schon mal unabhängig. Beim Heizen geht es um mehr Wärmepumpen und den Einsatz von Strom in einem Bereich, der bislang durch Verbrennen geprägt war. Für Bereiche, die sich nicht elektrifizieren lassen, etwa im Schwerlasttransport oder der Industrie, brauchen wir grünen Wasserstoff. Er kann Erdgas ersetzen.
Glauben Sie, dass die Akzeptanz für die Erneuerbaren Energien durch den Ukraine-Krieg wächst?
Es gibt die Klarheit, dass wir uns unabhängig machen müssen vom Import fossiler Energieträger. Das wird auch bei der Akzeptanz helfen.
Titelfoto: ronaldbonss.com /Ronald Bonss