Ein Kurs zeigt, wie man Kerngesunde zu Katastrophenopfern schminkt

Sachsen - Vorsicht, dieser Artikel ist nichts für Zartbesaitete. Hier geht's um klaffende Wunden, amputierte Gliedmaßen und verbrühte Arme. Doch Entwarnung: Was so erschreckend echt aussieht, ist alles nur kunstvoll geschminkte Illusion! Zum Glück. Wir laden Euch ein zu einer Lehrstunde in Notfalldarstellung, damit bei Katastrophenübungen die Darsteller von Verletzten täuschend echt wirken. Wir enthüllen, wie mithilfe von harmlosem Rouge, Brausepulver, einem Broiler und Kondomen brutale Verätzungen und Verletzungen entstehen.

Die Schminkschule ist ein Mix aus Hexenküche und Frankensteins Labor: Philipp Müller (30), Ute Methner (56), Anja Fritzsch (40), Kristin Arndt (36) und Alma Kleber (35) zeigen ihre selbstgemachten abgetrennten Hände, offene Därme und amputierte Finger.
Die Schminkschule ist ein Mix aus Hexenküche und Frankensteins Labor: Philipp Müller (30), Ute Methner (56), Anja Fritzsch (40), Kristin Arndt (36) und Alma Kleber (35) zeigen ihre selbstgemachten abgetrennten Hände, offene Därme und amputierte Finger.  © Petra Hornig

Man nehme eine transparente Peelmaske aus der Drogerie, schneide kleine Löcher hinein und klebe sie auf den Unterarm. Die Löcher werden dann mit Vaseline aufgefüllt und mit Filmblut zu Blasen aufgespritzt, mit rotem Make-up in der Mitte sowie schwarzem an den Rändern kunstvoll verziert - fertig ist eine Brandwunde.

Selbst beste Notfallmediziner können die getürkte Verletzung nicht mehr von einer echten Wunde unterscheiden.

"Genau so ist das auch gedacht", erklärt Ute Methner (56), Leiterin des DRK-Lehrgangs "Notfalldarstellung" die erste Lektion ihres blutigen Schminkkurses.

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Am vergangenen Wochenende übte sie mit 14 freiwilligen DRK-Helfern aus verschiedenen Kreisverbänden, wie man amputierte Hände bastelt und Schnittwunden täuschend echt imitieren kann.

Kommt aus dem DRK-Kreisverband Dippoldiswalde: Ute Methner (56) leitet den DRK-Lehrgang "Notfalldarstellung"
Kommt aus dem DRK-Kreisverband Dippoldiswalde: Ute Methner (56) leitet den DRK-Lehrgang "Notfalldarstellung"  © Petra Hornig

Rotes Kreuz übt Verletzungen schminken

Zeigt her eure Wunden: Manuela Naumann (39) aus Plauen und Susann Luciur (41) aus Zwickau staunen, wie eine Spritzpistole aus gesunder Haut sprühstoßweise eine Brandwunde macht.
Zeigt her eure Wunden: Manuela Naumann (39) aus Plauen und Susann Luciur (41) aus Zwickau staunen, wie eine Spritzpistole aus gesunder Haut sprühstoßweise eine Brandwunde macht.  © Petra Hornig

Früher wurde den Darstellern von Verletzten bei Übungen einfach ein Zettel an den Fuß gebunden.

"Ich habe eine Schnittverletzung" oder "Ich habe Verbrennungen dritten Grades" stand darauf. "Doch in der Ausbildung und bei Trainings kann man sich als Retter einfach besser auf eine Verletzung fokussieren, wenn man die Wunde wirklich sieht", sagt Philipp Müller (30), Rettungssanitäter bei der Werksfeuerwehr von BASF in Schwarzheide. "Ich war immer irritiert, wenn mir gesagt wurde, stellen Sie sich jetzt mal vor, dieser Patient dort hätte eine Brandwunde."

Für Lektion zwei modelliert sich Müller einen abgetrennten Finger. "Dafür verwendet man am besten die Knochen eines Broilers, die mit Salz ausgekocht wurden", empfiehlt Methner. "Oder man modelliert künstliche Knöchelknochen mit Ytonsteinchen."

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Am Ende kann die frische "Wunde" noch mit Fremdkörpern wie Glasscherben oder Nägeln garniert werden. "Dabei muss man allerdings darauf achten, dass dem Darsteller selbst keine Verletzung zugefügt wird", warnt Methner. Ihr Anspruch: "Die angeschminkten Wunden sollen wie echte und zudem jedes Mal gleich aussehen."

Amputate sind teuer, günstiger kommt, wer es selber macht

Ytongsteinchen mimen Knöchelknochen: Unter dem geschminkten Armstumpf von Philipp steckt seine Faust - täuschend echte Simulation einer Unfallamputation.
Ytongsteinchen mimen Knöchelknochen: Unter dem geschminkten Armstumpf von Philipp steckt seine Faust - täuschend echte Simulation einer Unfallamputation.  © Petra Hornig

Hände, Füße, Finger, Därme - industriell gefertigte Amputate sind teuer.

"Eine abgetrennte Kunsthand mit zertrümmerten Knochen und abgetrennten Gefäßen kostet beispielsweise 135 Euro", weiß Methner. Und davon sind bei Großübungen mehrere vonnöten. "Deshalb lernen die DRK-Mitglieder in meinem Kurs auch, wie man sie selber basteln kann", erklärt Methner.

Schon macht sich René Weigel (47) vom DRK-Kreisverband Annaberg-Buchholz an einem Kondom zu schaffen: auswaschen, Reservoir abschneiden. Ausgestopft mit Watte und angemalt mit feinen Äderchen wird das Verhüterli zum perfekten Darmersatz: "Um Darmschlingen darzustellen, wird das Kondom aller paar Zentimeter mit Fäden abgebunden", erklärt Weigel das gerade Gelernte.

In Lektion drei kommt Methners neueste Wunderwaffe zum Einsatz - eine Airbrush-Pistole. Kostenpunkt: 35,99 Euro. "Damit lässt sich täuschend echt Farbe für Wunden auf die Haut sprayen", erklärt die Kursleiterin. Streikt anfangs noch die Düse, liefert sie später Spritzblasen vom Fließband.

Am Ende sieht der Schminktisch wie ein Schlachtfeld aus. Da sind ein paar Tropfen Blut ausgelaufen, dort liegen zersplitterte Knochen und die Hände aller Teilnehmer sind blutverschmiert. Doch halb so schlimm, es ist ja alles nur Kunstblut.

Hämatome aus Puder, Schweiß aus Glycerin

Lebensbedrohliche Verletzungen lassen sich mit einfachen Schminkutensilien aus der Drogerie kreieren: Blick in einen DRK-Schminkkoffer mit Gummihandschuhen, Make-up und künstlichen Nägeln.
Lebensbedrohliche Verletzungen lassen sich mit einfachen Schminkutensilien aus der Drogerie kreieren: Blick in einen DRK-Schminkkoffer mit Gummihandschuhen, Make-up und künstlichen Nägeln.  © Petra Hornig

Wunden sollen nicht nur ähnlich, sondern täuschend echt aussehen. Dafür braucht man spezielle Materialien und Utensilien.

Wir lüften die Geheimnisse des DRK-Schminkkoffers: An der Haut haftendes, transparentes Dermawachs lässt Wunden plastisch erscheinen. Mit Creme-Make-up werden cremige Blutfarben für Verbrennungen oder Fleischfarben geschminkt. Mit Water-Make-up kann man die "Wundtiefe" modellieren.

Brandblasen werden mit Vaseline erschaffen. Mithilfe eines Puderpinsels und Rougepalette (matter, gepresster Puder) entstehen Hämatome, verrußte Gesichter oder kann ein Sonnenstich imitiert werden. Durch Latex Gummimilch werden Verbrennungen und Verätzungen erstellt. Mit Stoppelschwämmen trägt man Glycerin auf, um Schweißperlen zu erzeugen - typisch für Schockzustände.

Stoppelschwämme braucht man auch zum Auftragen eines echt wirkenden Dreck-Blut-Gemisches bei Schürfwunden.

Make-Up-Schwämme sorgen für den richtigen Schockzustand

Kursstunde im Familienbunde: Rettungsassistent Philipp Müller (30) und seine Mutter Conny Müller (55) von der Bildungsstätte für Medizinal- und Sozialberufe haben mit nur 2 Euro Materialeinsatz eine amputierte Hand erschaffen.
Kursstunde im Familienbunde: Rettungsassistent Philipp Müller (30) und seine Mutter Conny Müller (55) von der Bildungsstätte für Medizinal- und Sozialberufe haben mit nur 2 Euro Materialeinsatz eine amputierte Hand erschaffen.  © Petra Hornig

Filmblut trocknet nicht aus und glänzt sehr lange, sieht damit lange frisch aus. Es lässt sich zudem leicht aus Kleidung sowie mit Wasser und Seife von der Haut abwaschen.

Mit Brausepulver kann schaumiger Blutauswurf erzeugt werden. Mastix ist ein matter, stark haftender Hautleim. Er oder Wimpernkleber werden zum Ankleben von Moulagen (modellierte Wunden), Bärten, Latexnasen und Glatzen verwendet.

Um Schockzustände "herzustellen", verwendet man Make-up-Schwämme und verschiedene Make-up-Farben. Zu den Schminkgerätschaften gehören außerdem Dermawachsspatel und Rotmarderpinsel (für das Kreieren von "Wundtiefen").

Am Ende braucht man jede Menge Kosmetiktücher zum Abschminken der blutrünstigen Wundenschau.

Realistische Darstellung zahlt sich beim Üben aus

Absturz, Tote und Verletzte: Ein Feuerwehrmann rettet bei einer Katastrophenschutzübung am Flughafen Dresden ein auf verletzt geschminktes Kind.
Absturz, Tote und Verletzte: Ein Feuerwehrmann rettet bei einer Katastrophenschutzübung am Flughafen Dresden ein auf verletzt geschminktes Kind.  © Thomas Türpe

"In Sachsen gibt es etwa 80 ausgebildete Ehrenamtliche im Bereich Notfalldarstellung", sagt Dr. Kai Kranich (42), Sprecher vom DRK-Landesverband Sachsen.

"Zur Ausbildung gehören zwei Grundlehrgänge und drei Aufbaulehrgänge." Notfalldarstellung kommt auch in der Berufsausbildung für Rettungsdienst und Notfallsanitäter zum Einsatz.

Durch die wundgeschminkten Darsteller kann unter realitätsähnlichen Bedingungen bei Katastropheneinsätzen geübt und geprüft werden, ob Notfall- und Krankheitsbilder richtig erkannt werden.

Titelfoto: Montage: Petra Hornig, Thomas Türpe

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