Ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn die Berliner Mauer noch stünde?

Sachsen - Am 13. August 1961 wurde der Grundstein für die Berliner Mauer gelegt. Am heutigen Freitag ist diese mit Steinen zementierte Teilung Deutschlands genau 60 Jahre her. Erst ab dem 9. November 1989 wurde die laut DDR-Propaganda als "antifaschistischer Schutzwall" bezeichnete Grenze wieder durchlässig.

Beginn einer über 28-jährigen Teilung: Unter Aufsicht bewaffneter Volkspolizisten errichtet eine Ostberliner Maurerkolonne im August 1961 an der sowjetisch-amerikanischen Sektorengrenze am Potsdamer Platz eine mannshohe Mauer.
Beginn einer über 28-jährigen Teilung: Unter Aufsicht bewaffneter Volkspolizisten errichtet eine Ostberliner Maurerkolonne im August 1961 an der sowjetisch-amerikanischen Sektorengrenze am Potsdamer Platz eine mannshohe Mauer.  © picture-alliance/ dpa

Doch was wäre, wenn die Mauer bis heute stünde und die DDR weiter existieren würde?

Das haben wir prominente Sachsen gefragt und sie zu einem spannenden Gedankenexperiment angeregt.

Chris Doerk (79)

Auftritt in Kooperation mit dem Staatszirkus der DDR: Schlagersängerin und Schauspielerin Chris Doerk (79) in der Fernsehshow "Nacht der Prominenten" (r.).
Auftritt in Kooperation mit dem Staatszirkus der DDR: Schlagersängerin und Schauspielerin Chris Doerk (79) in der Fernsehshow "Nacht der Prominenten" (r.).  © Bildmontage: picture alliance / Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/dpa & imago/Werner Schulze

Sie ist wohl eine der bekanntesten ostdeutschen Schlagersängerinnen und Ex-Frau von Frank Schöbel (78).

Beide spielten zusammen im DEFA-Kult-Film "Heißer Sommer".

"Gäbe es die DDR noch, würde es mir besser gehen. Ich könnte mich vor Auftrittsangeboten kaum retten. Heute denken nur noch wenige Veranstalter an uns Ostkünstler", so die 79-Jährige.

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"Dabei wollen die Menschen uns hören. Das spürte ich erst kürzlich wieder bei einem Konzert, das ich vor einer Filmaufführung von 'Heißer Sommer' gab.

Das Publikum war begeistert und schwelgte mit mir in Erinnerungen."

Wolfgang Lippert (69)

Entertainer Wolfgang Lippert (69) startete seine Karriere 1983 als Moderator von "He - Du!" im DDR-Fernsehen.
Entertainer Wolfgang Lippert (69) startete seine Karriere 1983 als Moderator von "He - Du!" im DDR-Fernsehen.  © picture alliance/dpa/Seiring Design

"Ich würde wahrscheinlich als ausgebildeter Unterhaltungskünstler durch die Lande ziehen - und dabei immer wieder an die Grenzen stoßen", so Entertainer Wolfgang Lippert.

"Gut, dass es nur ein Gedankenspiel ist und viele mutige Menschen diese Grenzen aufgestoßen haben.

Denen allen gehört mein Respekt."

Heinz Eggert (75)

Der ehemalige Innenminister und Pfarrer Heinz Eggert (75, r.) heute und als 22-Jähriger in Rostock.
Der ehemalige Innenminister und Pfarrer Heinz Eggert (75, r.) heute und als 22-Jähriger in Rostock.  © Bildmontage: Eric Münch & privat

Der Ex-Innenminister von Sachsen wäre nie "rübergemacht" und in Oybin (bei Zittau) wohnen geblieben:

"Da war ich mir mit meiner Frau einig. Wenn ein Pfarrer seine Gemeinde verlässt, um selber besser und ungefährdeter zu leben, was hätte ich da noch predigen sollen?

Pfarrer zu sein ist in einer Diktatur beklemmend und kräftezehrend. Aber es macht auch ungeheuer stark, anderen hilfreich zu sein, der Diktatur nicht in die Gefängnisse zu laufen.

Dass die DDR pleite war, wusste man. Doch ein bankrottes System geht immer aggressiver gegen Andersdenkende vor. Es gab einen Zersetzungsbefehl der Stasi gegen mich. Damit war wohl jedes Mittel recht, um einen Pfarrer aus dem Verkehr zu ziehen. Ich wäre womöglich in ein Internierungslager gekommen.

Vielleicht wäre ich aber auch an meiner Krebserkrankung gestorben, weil es in der DDR dafür keine so effektiven Behandlungsmethoden gegeben hätte."

Der 75-Jährige ist sich sicher: "Die Möglichkeit einer Wiedervereinigung wäre heute übrigens schwieriger, weil die Generation fast ausgestorben ist, die noch deutsche Einheit erlebt hat."

Tom Pauls (62)

Tom Pauls (62, l.) mit Jürgen Haase (63) und Peter Kube (64) als Zwingertrio.
Tom Pauls (62, l.) mit Jürgen Haase (63) und Peter Kube (64) als Zwingertrio.  © Bildmontage: imago images/Robert Michael & imago/stock&people

Seine Figur "Ilse Bähnert" huldigt der sächsischen Kultur und Sprache.

Außerdem ist er als Gründer des Zwingertrios bekannt.

Der Schauspieler wusste schon immer, "dass die DDR einmal den Bach runtergehen würde.

1985 wurde ich im Dresdner Schauspielhaus, wo ich engagiert war, zum Kadergespräch gebeten. Ich sollte der FZR beizutreten. Diese Freiwillige Zusatzrentenversicherung sollte später meine Rente erhöhen. Doch ich sagte der Kaderleiterin, wenn ich einmal Rentner bin, gibt es die DDR nicht mehr. Ich flog hochkantig raus.

Doch davon war ich seit der Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 fest überzeugt. Ein System, das die Kritik eines Liedermachers nicht aushält, ist zum Scheitern verurteilt."

Steffen Lukas (51)

Frühaufsteher bei Radio PSR: Morgenmoderator Steffen Lukas (51).
Frühaufsteher bei Radio PSR: Morgenmoderator Steffen Lukas (51).  © Ralf Seegers

Der PSR-Morgenmoderator ist mit seinen "Sinnlos"-Telefon-Streichen und der Kultfigur "Opa Unger" bekannt geworden.

"Stünde die Mauer heute noch, wäre ich wohl immer noch mit einem Wartburg Tourist plus Anhänger als Mobildiskotheker unterwegs. Oder als Roadie mit einer Rockband", so Lukas.

"Vielleicht hätte ich auch versucht, DDR-Schlagerstar zu werden, um mal in den Westen fahren zu können."

Hans-Jürgen "Hansi" Kreische (74)

Blieb Dynamo Dresden treu: "Hansi" Kreische (74) bei einem Punktspiel der DDR-Oberliga 1974 und heute.
Blieb Dynamo Dresden treu: "Hansi" Kreische (74) bei einem Punktspiel der DDR-Oberliga 1974 und heute.  © Bildmontage: Lutz Hentschel & Frank Kruczynski

Er spielte bei Dynamo Dresden in der DDR-Oberliga, wurde fünfmal Meister und einmal Pokalsieger.

"Ich wäre mit Sicherheit in Dresden und wie heute womöglich bei Dynamo geblieben, wo ich mit dem Nachwuchs arbeite. In der DDR wechselte man nicht so oft die Arbeitsstelle wie heute.

Ich hätte wie jetzt auch ein Leben lang Fußball gespielt, habe schon mit zehn Jahren bei Dynamo angefangen, später als Diplom-Sportlehrer gearbeitet.

Nur das Engagement für die Nachwuchsgewinnung beim HSV hätte es dann wohl nicht gegeben."

Prof. Kurt Starke (83)

DDR-Sex-Papst Prof. Kurt Starke (83).
DDR-Sex-Papst Prof. Kurt Starke (83).  © Steffen Füssel

Der Sexualwissenschaftler und Autor des DDR-Bestsellers "Liebe und Sexualität bis 30" hielt die DDR wegen fehlender Wirtschaftskraft nicht für überlebensfähig.

"Andernfalls hätte sich vieles ändern müssen. Aus dem System des Steuerns von oben hätten das Regeln zum Grundprinzip werden müssen. Das hätte schöpferische Kräfte freigesetzt und Denkschranken aufgehoben.

Ich hätte weiter am Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig gearbeitet, das ohne Vorgaben und mit größeren internationalen Verflechtungen weiter bestanden hätte. Mit dann offenen Grenzen hätte ich gern einmal Vorlesungen in Australien gehalten.

Auch die Flüchtlingsfrage wäre gelöst. Die DDR hätte eine Million Arbeiter zum befristeten Austausch nach Afrika geschickt und dafür gleichberechtigt eine Million Afrikaner aufgenommen - nicht als Flüchtlinge, sondern gleichwertige Menschen.

Es gäbe kaum arm und reich, keine Sprache mit Gendersternchen, dafür eine bezahlbare Wohnung bis zum Lebensende, ein Recht auf Arbeit, Bildung für alle, und sozial-kulturelle Gleichheit und ökonomische Unabhängigkeit der Geschlechter.

Impfen wäre eine Frage der Normativität und würde ohne sinnlos hochgeschaukelten Streit um Pflicht oder Kür einfach gemacht.

Ich würde noch immer um einen Zeltplatz im FKK-Paradies Prerow an der Ostsee kämpfen und hätte wohl sechs statt wie heute drei Enkel. In der DDR lag die Reproduktionsquote schließlich bei 1,9 - heute bei nur noch 1,4."​

Steffen Urban (58)

Belegte beim Kleinkunstfestival 1990 den ersten Platz: Steffen Urban (58) alias August der Starke.
Belegte beim Kleinkunstfestival 1990 den ersten Platz: Steffen Urban (58) alias August der Starke.  © imago images/Sylvio Dittrich

Seine bassig-sonore Stimme ist legendär. Auf Festen erscheint er als Doppelgänger von August dem Starken.

"In der DDR wäre ich wohl weiter Abteilungsleiter in der Patientenaufnahme am Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt geblieben, wo ich 1889 gearbeitet habe", so Steffen Urban.

"Ich wollte schon immer zum Theater, hatte bereits Sprecherziehung und Stimmschulung mitgemacht und mehrere Versuche unternommen. Doch in der DDR fehlte mir dafür das 'Vitamin B' - die sprichwörtlichen 'Beziehungen'. Ich kannte einfach nicht die richtigen Leute.

Im Krankenhaus-Job hätte ich allerdings besser verdient als im Schauspielgewerbe.

Im Sommer 1989 war ich mit einem Kumpel in Budapest. Er haute von dort in der Nacht in den Westen ab, ohne mir vorher etwas davon gesagt zu haben - aus Rücksicht. Ich flog allein zurück.

Am Flughafen in Budapest haben sie mich noch gefragt, ob ich wirklich zurück in die DDR wolle. Ich wollte, wäre wie heute immer in Dresden geblieben. Ich liebe die Stadt, der Großteil meiner Verwandtschaft lebt hier.

Dabei gab es durchaus die Option, einen Ausreiseantrag zu meiner Großmutter nach Oberhessen zu stellen und im Westen auf die Bühne zu kommen."

Titelfoto: Bildmontage: picture-alliance/ dpa & picture alliance / Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/dpa & imago images/Robert Michael & Lutz Hentschel

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