"Es geht darum, mit Kraft das Richtige zu tun": MP Kretschmer im TAG24-Interview
Dresden - Am 1. September wählt Sachsen einen neuen Landtag. Der Countdown zum Urnengang läuft. "Wem diesmal die Stimme geben?", fragen sich viele Wähler. TAG24 sprach mit Ministerpräsident Michael Kretschmer (44, CDU).
TAG24: Herr Kretschmer, Ihr Nachname stammt ursprünglich vom Lausitzer Wort für Schankwirt. Treffen wir uns deshalb um 10 Uhr früh im Radeberger Spezialausschank?
Michael Kretschmer: Nein, aber es ist ein besonders schöner Ort in Dresden. Ich freue mich jedes Mal wieder, hier zu sitzen, über die Stadt zu schauen - was willst du mehr?
TAG24: Aber das Zeug zu einem guten Wirt hätten Sie schon, so viel, wie sie zuletzt zugehört haben bei hunderten Veranstaltungen …
Michael Kretschmer: Es gibt ein Phänomen, dass viele Menschen sich in einer Internet-Blase bewegen, und die kriegt man nur durch persönliche Gespräche aus dieser Blase heraus.
TAG24: Die letzten Umfragen sehen die Sachsen-CDU wieder als knapp stärkste Partei – Trendwende oder trügerische Momentaufnahme?
Michael Kretschmer: Es bestätigt unsere Arbeit. Wir sehen, dass die AfD sich damit begnügt andere zu diskreditieren und ein Zerrbild von Sachsen und Deutschland zu vermitteln, wie furchtbar und desaströs alles ist. Das ärgert zunehmend die Sachsen, wird damit doch auch ihre Lebensleistung infrage gestellt. Entscheidend sind aber keine Umfrageergebnisse, sondern das Wahlergebnis am 1. September.
TAG24: Bringen Sie doch mal die CDU-Positionen bei Schlüsselthemen auf den Punkt. In den überhitzten Debatten gehen die ja oft unter.
Michael Kretschmer: Deswegen war uns wichtig, auf den Plakaten klar zu sagen, was wir in den nächsten Jahren machen: 1000 Polizisten zusätzlich, den Meisterbonus erhöhen, in Dresden wollen wir die Schulen sanieren und neue bauen…
TAG24: Apropos Bildung – was ist da noch geplant?
Michael Kretschmer: Beim Thema Lehrereinstellung wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht. Diese Regierung hat das verstanden und arbeitet mit aller Kraft und allen Instrumenten daran, das zu korrigieren. Wir wollen die beste Bildung und grundständig ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. An jeder staatlichen Oberschule wird es einen Sozialarbeiter zur Unterstützung der Lehrer geben. Durch mehr Berufsorientierung an Oberschulen und Gymnasien wollen wir junge Leute gezielt bei ihrer Suche nach dem richtigen Beruf unterstützen.
TAG24: Warum sträubt sich Ihre Partei gegen das längere gemeinsame Lernen?
Michael Kretschmer: Das sächsische Schulsystem ist das leistungsfähigste und sozial gerechteste in Deutschland. PISA und andere Vergleiche zeigen, dass wir auf dem Bildungsniveau von Finnland ganz vorn dabei sind. In besonderen Situationen gibt es bereits heute jahrgangsübergreifenden Unterricht, etwa in ländlichen Regionen. Überall im Land sind die Schulen voll; oft fehlen die Räume und auch die Lehrer müssten sich umstellen. Deshalb muss man es sich sehr gut überlegen, wenn man Dinge verändert und ob man damit nicht vielmehr etwas, das sehr gut funktioniert, aufs Spiel setzt.
TAG24: Thema Digitalisierung und Breitbandausbau…
Michael Kretschmer: Die größte Einzelinvestitionsentscheidung, die wir in den vergangenen 18 Monaten getroffen haben: 700 Millionen Euro zahlt der Freistaat dafür, dass Breitband ausgebaut wird, bis in jedes Dorf und bis an jede Milchkanne. Und das ohne eine Belastung für die jeweilige Gemeinde. Das ist ein klares Bekenntnis zum ländlichen Raum.
TAG24: Was kann man noch für ländliche Regionen tun? Dort ist der Frust ja offenbar am größten und dort werden – heißt es – auch die Wahlen entschieden.
Michael Kretschmer: Die Landarztquote wird kommen, wir bauen den öffentlichen Nahverkehr aus, damit auch die Verbindung zu den großen Städten gestärkt wird. Außerdem haben wir entschieden, das Ehrenamt stärker zu fördern. Und die finanzielle Ausstattung der kleinen Gemeinden ist wichtig, damit sie selber ihre Dinge entscheiden können.
TAG24: Wie steht die CDU zum Thema Flüchtlinge und Asylbewerber einerseits, geregelten Zuzug von Arbeitskräften andererseits?
Michael Kretschmer: Wir haben bei Flüchtlingen und Asylbewerbern momentan ungefähr zehn Prozent der Zuzugs-Zahlen, die wir 2015 hatten. Die Zusage der Politik, dass sich 2015 nicht wiederholen darf, wird eingehalten. Wir dürfen nicht das Geschäft der Schlepper befördern, müssen die EU-Außengrenzen stark kontrollieren. Auch im Mittelmeer muss noch mehr passieren, damit diejenigen, die in Seenot geraten, selbstverständlich gerettet, aber auch zurück nach Afrika gebracht werden.
TAG24: Und wie lockt man ausländische Fachkräfte nach Sachsen?
Michael Kretschmer: Der Zuzug ist notwendig. Wir werden uns engagieren, um denen die deutsche Sprache zu vermitteln, die als Fachkräfte zu uns kommen. Ich erlebe eine große Bereitschaft in Unternehmen, zum Beispiel Fachkräfte aus der Ukraine, aus Polen oder aus Spanien einzusetzen. Das werden anfangs einige wenige sein, die dann über Mund-zu-Mund-Propaganda ihre Freunde einladen. Ich sage noch einmal: Wer hier arbeitet, Geld verdient und sich integriert, der ist herzlich willkommen.
TAG24: Allem Geunke mal zum Trotz: Da niemand mit der AfD koalieren will, steht Ihre Wiederwahl zum Ministerpräsidenten doch fest, oder!?
Michael Kretschmer: Die Frage, die sich am 1. September entscheidet, ist: Bekommen wir einen Landtag und damit eine Staatsregierung, die handlungsfähig ist, und die mit Kraft in einer Zeit von vielen Veränderungen das Richtige tut? Im Gegensatz zur Regierung in Berlin haben wir [CDU und SPD, Anm. d. Red.] hier zusammengehalten und Zukunftsentscheidungen getroffen. Manchmal hat es weh getan, aber am Ende ist es möglich gewesen. Jedem muss klar sein: Die Stimmen für die AfD sind verlorene Stimmen, da sie keinen Partner finden werden. Aber sie verhindern möglicherweise eine klare und eindeutige Regierung im Land.
TAG24: Das wird einige nicht schocken ...
Michael Kretschmer: Ich weiß auch, dass ein Teil der Menschen zurzeit nicht erreichbar scheint, ich gebe aber niemanden auf und werde auch in den nächsten Jahren intensiv die Bürgerdialoge fortsetzen.
TAG24: Was ist Ihnen lieber – die „Kenia-Koalition" mit SPD und Grünen oder eine Minderheitsregierung?
Michael Kretschmer: Weder, noch. Eine Minderheitsregierung ist aus meiner Sicht ein Phantom.
TAG24: Eine mit wechselnden Mehrheiten. Fliegen auf Sicht, sozusagen.
Michael Kretschmer: Ist es denn besser, auf Zuruf und durch Zufall Entscheidungen zu bekommen? Oder sollten sich erwachsene Menschen nicht lieber so lange an einen Tisch setzen, bis sie einen Plan haben, der fünf Jahre lang hält? Wechselnde Mehrheiten haben keinen Charme. Das ist Chaos und bringt unser Land nicht voran.
TAG24: Bei welchem Wahlergebnis würden Sie persönliche Konsequenzen ziehen – wenn Sie Ihren Wahlkreis nicht gewinnen oder wenn die CDU unter eine bestimmte Prozentzahl rutscht?
Michael Kretschmer: Es geht doch gar nicht um mich. Es geht bei dieser Wahl um den Freistaat Sachsen. Darum, dass wir die Zukunft gestalten können und dass wir vernünftige und richtige Dinge tun.
TAG24: In der Gaststätte, in der wir gerade sitzen, war schon Putin zu Gast. Ihre Forderung nach einem Ende der Russland-Sanktionen ist CDU-intern kritisiert worden. Würden Sie es rückblickend anders machen?
Michael Kretschmer: Nein, ich würde es genau so wieder machen. Wir leben in einer Demokratie, und Ministerpräsidenten müssen die Interessen und Positionen des eigenen Bundeslandes vertreten. Wir haben übrigens in der Sanktionen-Frage auch viel Zustimmung bekommen. Alle ostdeutschen Bundesländer haben sich positiv geäußert, dazu Ministerpräsident Stephan Weil aus Niedersachsen, die deutsche Wirtschaft. Es war notwendig, dass jemand diese Diskussion mit Kraft beginnt.
TAG24: Ein paar CDU-Größen kommen noch zu Wahlkampfveranstaltungen nach Sachsen. Auf wen freuen Sie sich besonders? Friedrich Merz?
Michael Kretschmer: Zunächst mal möchte ich, dass diese Landtagswahl eine Sachsenwahl wird und wir keine Bundestags- oder Protestwahl daraus machen. Wir sollten uns mit sächsischen Themen beschäftigen: Ländliche Regionen, wachsende Städte, gesellschaftlicher Zusammenhalt und so weiter. Wir haben sehr aufgeholt in den letzten 30 Jahren, sind aber noch nicht zufrieden. Wir wollen mehr wirtschaftliche Stärke, die zu mehr Arbeitsplätzen mit anständigen Löhnen führt. Und da haben wir einige Leute, die uns dabei auch helfen können, weil sie sehr viel Erfahrung haben. Da gehört Friedrich Merz zum Beispiel mit dazu, aber eben auch Annegret Kramp-Karrenbauer und mein Kollege Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen, die den Strukturwandel schon erlebt haben.
TAG24: Seit Ihrer Wahl zum MP im Dezember ‘17 sind Sie im Wahlkampf-Dauermodus. Für wie viel Privates bleibt da noch Zeit?
Michael Kretschmer: Ich habe schon noch Privatleben, das muss auch sein. Ich freue mich aber auch sehr, dass meine Frau genauso wie ich klar sieht: Wir sind Sachsen, wir haben Familie hier, wir engagieren uns dafür, dass dieses Land genauso großartig bleibt, wie es jetzt gerade ist.