Denkmal-Retter aus Sachsen: Ziegelei beliefert halb Europa!

Nossen - Wenn Holzwürmer Fachwerk zerfressen, muss der Balken ausgetauscht werden. Doch was passiert, wenn historische Backstein-Stadtmauern, -Kirchen oder -Brücken bröckeln? Dann tritt Ralf Huber (58) als Retter der Ziegelbauwerke auf den Plan. Denn Huber ist steinreich.

Retter des Rathauses von Rathenow: Geschäftsführer Ralf Huber (58) zeigt einen alten (l.) und einen neu gebrannten Stein aus seiner Ziegelei. Grundregel: Je mehr Eisen im Lehm, desto dunkler wird der Stein.  © Christian Juppe

Auf dem Betriebshof des Geschäftsführers der Ziegelwerk Klaus Huber GmbH stapeln sich aktuell 1,2 Millionen Ziegelsteine, säuberlich sortiert auf Hunderten Paletten. Jede einzelne fasst bis zu 392 Ziegelsteine und bringt dann bis zu 1,6 Tonnen auf die Waage.

Die Schwergewichte warten auf die Auslieferung nach halb Europa. Was heute noch auf dem Firmenhof steht, wird schon morgen zur Sanierung des Rathauses nach Rathenow geliefert. Oder nach Kassel, wo das Gefängnis saniert wird. Oder nach Tangermünde zur Sanierung der alten Stadtmauer. Oder zur Instandsetzung der Elstertalbrücke. Oder zur Fassadensanierung auf Schloss Kronborg im dänischen Helsingør.

Ziegel gehören zum ältesten Baumaterial der Welt, haben ganze Epochen wie die Backsteingotik geprägt. Deshalb hatten Hubers Vorgänger 1830 mit der Firmengründung in Graupzig ein gutes Näschen bewiesen. Doch dann verdrängten Beton und Glas die klassischen Klinkerfassaden.

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Das Ende der Ziegelei? Mitnichten. Denn Ziegelsteingebäude, -brücken und -kirchen halten nicht ewig. Der Zahn der Zeit nagt als Verwitterung an ihnen, sodass Fassaden, Deckengewölbe oder Fußböden irgendwann einmal ersetzt werden müssen.

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Patenter Quereinsteiger: Modellbauer Alexander Hennig (51) ist gelernter Koch, hat vorher Figuren aus Eis und Butter geformt.  © Christian Juppe

In Graupzig bei Nossen werden historische Ziegel originalgetreu nachgebaut

Beide sind gleich groß: der 1,70 Meter große Modelleur Hennig neben der neu gefertigten Turmspitze für die Emmauskirche in Leipzig.  © Christian Juppe

Doch die Steine von anno dazumal gibt's nicht einfach im Baumarkt von der Stange. Dafür müssen Extraanfertigungen nicht selten in Spezialmaßen her. Genau darauf hat sich Hubers Ziegelwerk seit 1990 spezialisiert.

Die Firma beherrscht die Kunst, Ziegel aus der Romanik oder Gotik originalgetreu nachzubauen und zu brennen. "Dabei erfüllen wir sogar die EU-Bauprodukt-Normen des 21. Jahrhunderts", versichert Huber.

In der Modellwerkstatt werden aus verwitterten oder beschädigten historischen Vorlagen neue Modelle aus Gips gefertigt. "Sie sind immer etwa zehn Prozent größer, weil sich die Masse später beim Trocknen und Brennen verkleinert - und zwar um genau diese Prozente", erklärt Modellbauer Alexander Hennig (51). Derzeit arbeitet der 1,70 Meter große Handwerker an der fast ebenso großen Turmspitze der Leipziger Emmauskirche.

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Aus Hennigs Gipsmodellen entstehen danach die Formen für Terrakotten, Baukeramik und keramische Schmuckelemente. Handformerin Jette Seifert (23) befüllt die Formen mit einem feuchten Ton. "Mit einem Draht schneide ich die über die Form stehende Masse ab", erklärt sie.

Je nach Zusammensetzung der Masse schimmern die Ziegelsteine nach dem Brand übrigens rötlich, gelblich, bräunlich oder ockerfarben - je nach Kundenwunsch.

Feuchter Ton in Form gebracht: Handformerin Jette Seifert (23) beschneidet die Masse und holt die Rohlinge aus den Formen.  © Christian Juppe
Stein für Stein ein Unikat: Handformer Andrej Schiebelbein (54) löst die Rohlinge aus Holzformen, sortiert sie für die Trocknung in ein Regal.  © Christian Juppe

Ziegelwerk Klaus Huber GmbH beschäftigt 36 Mitarbeiter

Das Original von 1872 war bis zur Unkenntlichkeit verwittert: Ornamentplatte vom Marstall am Schloss Neustrelitz.  © Christian Juppe

Nachdem die Steine getrocknet wurden, werden die Rohlinge schließlich bei 1100 Grad im firmeneigenen butanbeheizten Gegenlauf-Tunnelofen gebrannt. Dabei schrumpfen sie um die besagten rund zehn Prozent zusammen. Heraus kommen originalgetreue Ziegelzwillinge als Duplikate von Kirchenfassaden und Denkmälern.

Aber auch für Neubauten werden in Graupzig Mauerziegel, Klinker und Riemchen (frostbeständiger Wandbelag in flachem Format) hergestellt. So entstanden die typischen Klinkerfassaden am Technikum Mannheim, der Glanzfilmfabrik und dem Eierkühlhaus in Berlin oder am Kloster Hegne mit Steinen aus Mittelsachsen.

Für die neogotische Pauluskirche in Kiel wurde für sieben Fenster das Maßwerk neu gefertigt. In Zürich und Oslo wurden Schulen, in Stockholm der Gasometer mit Sanierungsmaterial aus Sachsen beliefert.

36 Mitarbeiter arbeiten in der Ziegelei, erwirtschaften Jahresumsätze zwischen zwei und drei Millionen Euro.

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Praktische Hinterlassenschaften der Eiszeit: Gleich hinter dem Betriebshof befinden sich die Ton- und Lehmgruben für den Rohstoffabbau des Ziegelwerkes.  © Christian Juppe

Ziegelproduktion ist für die nächsten 80 bis 100 Jahre gesichert

Die Ton- und Lehmgruben mit verschiedenartigsten Rohstoffen zur Ziegelproduktion gleich hinter dem Werksgelände hat übrigens die Eiszeit hinterlassen. Sie war besonders großzügig.

"Die vielfarbigen Vorkommen reichen nachweislich für die nächsten 80 bis 100 Jahre", sieht Ralf Huber die Zukunft des Ziegelwerkes an dieser Stelle gesichert.

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