Das ist der älteste Krämerladen in Sachsen
Döbeln - Liköre aus Eigenproduktion, edle Weine, Kolonialwaren, Tabak: Seit 1807 kann man das alles im Ladengeschäft der Familiendynastie Roßberg im Herzen von Döbeln kaufen. Es überstand einen Axt-Anschlag der russischen Besatzer, die DDR-Zwangsenteignung, trotzte einem bewaffneten Raubüberfall und tauchte nach der Hochwasser-Katastrophe 2002 tapfer wieder aus den Fluten auf. Der Kaufladen ist das älteste familiengeführte Geschäft mindestens im Land Sachsen - seit nunmehr sechs Generationen.

Der älteste Krämerladen in Sachsen: Es sieht bis heute aus wie ein holzverkleideter Weinkeller. Eher urige Kneipe als Geschäft.
Der Grundstein für das Haus Nummer 4 an der heutigen Breiten Straße im Zentrum Döbelns wurde am 7. April 1807 gelegt.
Zuerst standen Kolonialwaren und leckere Liköre im Schaufenster, die in einer Fabrik im Hinterhaus in Eigenproduktion hergestellt wurden. Der "Eibenstocker Bitterlikör" fand besonders im Erzgebirge treue Abnehmer, wurde mit der Bahn bis nach Böhmen versandt.
Am 7. April 1885 gingen der Laden und das streng gehütete Likörrezept an den 23-jährigen Kaufmann und Destillateur Emil Roßberg über - Beginn einer Familiendynastie.

Der neue Besitzer änderte den Schriftzug am Laden, der bis heute in sechster Familiengeneration besteht: "Kolonialwaren-Handlung und Spirituosen-Fabrik Rossberg".
Von 1885 stammt auch der alte Schranktresor im Büro, in dem lange Bargeld aufbewahrt wurde.
1919 übernahm Emils Sohn Max das Unternehmen - der Großvater vom heutigen Senior-Chef Lutz Emil Roßberg (67): "Das Sortiment wurde um Selterswasser erweitert, das ich später als 13-Jähriger ganz ohne Fahrerlaubnis mit einem Framo ausfuhr - dem sächsischen Kleintransporter aus den FRAnkenberg MOtorenwerken."


Likör-Produktionsgebäude wurde 1986 abgerissen

1954 begannen die Roßbergs eine eigene Limonadensorte zu produzieren - mit Zitronengeschmack: "Zudem waren unsere hauseigenen Spirituosen wie Döbelner Silber - ein Weißer, Deutscher Weinbrand, Kräuterlikör, Magenbitter oder Stonsdorfer DDR-weit bekannt und beliebt", sagt Roßberg. Seine edelsten Tropfen wurden in einem extra angefertigten dunklen Eichenholzregal präsentiert.
Bis zur Enteignungswelle 1972, als Privatbesitz in Volkseigentum umgewandelt und der beliebte Krämerladen ein HO wurde. Roßberg: "Die Handelsorganisation schob 1974 eigene hässliche Regale vor unser Eichenregal und Aushängeschild der Roßberger Liköre." Die süffige Tradition starb. Das Likör-Produktionsgebäude wurde 1986 schließlich abgerissen.
"Als wir im Fernsehen sahen, wie die Volkskammer beschloss, Staatseigentum zurückgeben zu wollen, waren wir die ersten in Döbeln, die einen Antrag auf Rückgabe unseres Ladens stellten", sagt Petra Roßberg (65).
Ostern 1990 war es nach nur vier Wochen so weit und ihr Ehemann Emil Lutz wieder Herr im eigenen Haus. "Ein paar Tage vor der Währungsunion bin ich von einem Ladendieb überfallen und mit einem Messer bedroht worden", erzählt er.



Zwei Jahrhundertfluten waren existenzbedrohend

"Wir hatten vorher kistenweise DDR-Schnaps wie 'Goldkrone' verkauft, doch das Geld war längst bei der Bank. Der Dieb entführte mich aus dem Laden, demonstrierte seine Wurfkünste. Er warf das Messer so geschickt, dass es im Holztor steckenblieb. Das sollte wohl Eindruck schinden." Der Mann entkam. Der Fall ist bis heute ungeklärt.
Nach dem Krieg, den Haus und Geschäft nahezu unbeschadet überstanden, wurde das Tor schon einmal malträtiert.
Roßberg: "Die russischen Besatzer rückten mit Äxten an und wollten das Tor einschlagen. Sie hatten es wohl auf unsere edlen Tropfen abgesehen." Das Tor blieb standhaft.
Existenzbedrohend waren die zwei Jahrhundertfluten. "2002 kletterte die Mulde bis in die erste Etage, 2013 stand sie einen Meter hoch im Geschäft", erinnert sich Petra Roßberg.
"Bei der ersten Flut schwamm auch meine Geldkassette mit rund 2000 Euro Ersparnissen auf und davon, die für eine Fahrt nach Ägypten zur Silberhochzeit angespart waren." Die Reise musste warten.

Das Wasser ließ auch den alten Tresorschrank aufquellen, sodass er unbenutzbar wurde. Das dunkle Eichenholzregal hat jedoch überlebt. "Darin präsentieren wir heute edle Tropfen aus der ganzen Welt", sagt Tochter Yvonne Roßberg (45). Doch auch das Geheimrezept des "Eibenstocker Bitterlikörs" wurde zum Flutopfer. Yvonne: "Unser Opa hat es für immer mit ins Grab genommen. Sein Rezeptbuch hat 2002 die Flut weggespült."
Die Brennrechte von damals haben die Roßbergs übrigens behalten. Wer weiß, vielleicht gibt es irgendwann mal wieder einen echten Likör made in Döbeln?!
Titelfoto: Petra Hornig