Das Geheimnis der Mittagsfrau: Begegnungen mit der sächsischen Mythengestalt enden tödlich!
Bautzen - Sachsens Geschichte ist sagenhaft vielfältig, Sachsens Mythenwelt nicht minder. Landauf, landab wimmelt es von Geistern und Untoten. Viele der Erzählungen sind Hunderte Jahre alt, manche entstanden erst um 1840. Die TAG24-Serie geht den Überlieferungen auf den Grund und erzählt sie zeitgemäß. Heute: Die Legende von der Mittagsfrau.

Diese Sage hat ziemlich reale Hintergründe. Daher muss "Die Mittagsfrau" weniger als Erzählung, sondern vielmehr als Warnung verstanden werden. Es geht um nichts weniger als den Sonnenstich.
"Die Mittagsfrau ist eine weibliche Sagengestalt, die man im slawischen Raum finden kann. Sie ist ein Feldgeist", erklärt Erzählforscherin Susanne Hose (61).
Dieser Feldgeist, zu dem im Übrigen auch die Figur der Frau Holle gehöre, finde sich aber auch in Nordbayern und Thüringen. Hose ist Vizedirektorin am Sorbischen Institut in Bautzen.
"Sie erscheint plötzlich oder sitzt am Wegesrand", so die Wissenschaftlerin. "Sie erscheint zur Tagesgeisterstunde - zwölf Uhr mittags." Der Geist ist immer weiß gekleidet, in der Hand hält er eine Sichel.

"Die Begegnung mit der Mittagsfrau geht in der Regel schlecht aus. Sie führt zum Tod!"

Eine der Geschichten geht so: Vor Jahr und Tag ist eine Bäuerin mit ihrem Kind auf dem Feld geblieben. Während die anderen nach Hause gegangen waren, wie immer um diese Tageszeit, arbeitete sie weiter. Das Kind lag mitten im Feld.
Plötzlich steht der Geist hinter ihr und stellt ihr mit grässlicher Stimme Fragen. Doch statt zu antworten, will die Bäuerin voll Panik ihr Kind nehmen und fliehen. Da dreht die Mittagsfrau ihr den Hals um.
"Die Begegnung mit der Mittagsfrau geht in der Regel schlecht aus. Sie führt zum Tod", konstatiert Frau Hose nüchtern.
Die Erzählungen hätten einen erzieherischen Ansatz; darum erscheine der Feldgeist meist Frauen mit Kind und da wiederum oft Wöchnerinnen: Zum einen hätten Wöchnerinnen nichts auf dem Feld zu suchen. Stattdessen sollten sie die Zeit im Wochenbett nutzen, um wieder Kräfte zu sammeln und für das Kind da zu sein. Zum anderen gehe es um den generellen Schutz der Bauernkinder.
Denn Kleinkinder, die im Feld abgelegt werden, könnten davonkrabbeln und verloren gehen. Im schlimmsten Fall könnten sie einem Bauern vor die Sense geraten. Zuallererst aber diene die Mittagsfrau als Abschreckung vor den Folgen eines Sonnenstichs. Jeder wisse, wie es sich anfühlt, wenn Halluzinationen auftreten oder man fröstelt. Oder wie verschwommen das Sehfeld erscheint, wenn man in der gleißenden Sonne die Augen öffnet. Die Mittagsfrau erscheine grundsätzlich mit einem Windhauch...
Sagenforscher sind sich einig: Alle Mittagsfrau-Sagen haben die Kernlehre, dass, wer bei hochstehender Sonne auf dem Feld bleibt, der Hitzeschlag trifft.

Die Mittagsfrau war sogar schon Vorlage für ein Monster in einem Videospiel

Ganz aktuell geht die Mittagsfrau auch in Abermillionen von Videospielen um: Sie ist eine Gestalt des Games "The Witcher". Die literarische Vorlage lieferte der polnische Autor Andrzej Sapkowski.
In Polen wiederum, wie im östlichen Europa überhaupt, ist der Feldgeist Mittagsfrau weit verbreitet. In Polen ist sie die Wiedergängerin toter Bräute.
Im Russland des 19. Jahrhunderts warfen sich die Bauern mittags auf den Boden, um der Geist-Frau zu entgehen. Sie beteten das Vaterunser rückwärts.
Ebenfalls helfen sollte diese List: Wer ihr zwischen zwölf und eins standhält und alle Fragen beantwortet, kommt davon. Der früheste Beleg für die Sage stammt aus dem 16. Jahrhundert.
Titelfoto: Petra Hornig und