Corona stellte unser Leben auf den Kopf: Infizierte Sachsen berichten
Dresden - Für die ersten infizierten Sachsen hat das Pandemie-Jahr vieles verändert.
Hélenè (49) und Kai Mizera (40) aus Dresden waren die ersten Sachsen, die sich im vergangenen Jahr in Ischgl im Paznauntal mit Corona infizierten. Ob sie auch ihre beiden Kinder angesteckt hatten, ist fraglich. Zoey (10) und Aimy (11) wurden nie getestet.
Nach überstandener Krankheit der Eltern brachte der Osterhase 2020 mit Mundschutz seine Eier. Das ist jetzt ein Jahr her. Wir haben nachgefragt: Wie hat die Familie das Pandemie-Jahr überstanden?
Corona hat das Leben der Mizeras kräftig durcheinander gewirbelt. Nach den überstandenen Covid-19-Erkrankungen ging das Jahr turbulent weiter.
"Zwei Wochen nach seinem Geburtstag ist im August mein Bruder mit nur 44 Jahren nach einem Aorta-Riss gestorben - genau an meinem ersten Arbeitstag nach den Sommerferien", erzählt Hélenè. "Es gab den Verdacht auf Corona, weil er Lungenprobleme hatte."
Doppelt tragisch: Wegen des Lockdowns konnte sie nicht mit ihrer Familie zusammenkommen, die in den Niederlanden lebt. "Es ist bis heute manchmal wie im Gefängnis. Ich habe Sehnsucht nach meiner Mutter und den vier Geschwistern."
Einziger Lichtblick war im August der gemeinsame Familien-Sommerurlaub in Südfrankreich.
"Die Schwiegereltern meiner Schwester haben dort ein Ferienhaus. Es war eine traumhafte Zeit am Meer." Doch kaum wieder zu Hause übernahm Corona wieder das Regime, bestimmte das Familien- und Arbeitsleben. "Zum Glück sind die zwei Mädchen pflegeleicht beim Homeschooling", schmunzelt ihre Mutti.
Doch auf Arbeit in einer Tagespflege-Begegnungsstätte ging für die Seniorenbetreuerin ab und zu das Licht aus, wenn es positive Corona-Fälle gab - einmal sogar drei Monate am Stück. "Ich betreue zwischen acht und 15 Uhr Rentner im Alter von 67 bis 85 Jahren verschiedenster Pflegestufen. Wir frühstücken gemeinsam, singen, tanzen, basteln, zeichnen, gehen spazieren und machen Sitz-Gymnastik."
Bei hohen Infektionszahlen kamen von den 16 Patienten manchmal nur fünf. "Die Rentner und wir drei Pflegekräfte werden inzwischen dreimal in der Woche getestet", erzählt Hélenè.
Weil sie den ganzen Tag die Maske tragen muss, hat sie Pickel und Hautprobleme im Gesicht: "Ich sehe aus wie eine 16-Jährige in der Pubertät, würde die Maske manchmal am liebsten gar nicht absetzen. Doch ich brauche die Arbeit, würde ohne sie durchdrehen."
Ehe von Hélenè und Kai Mizera ging zu Bruch: Wie geht es nun für die Familie weiter?
Seit ihrer Erkrankung geht Hélenè Blut spenden. Kai wollte sogar die zur Behandlung schwerkranker Covid-19-Patienten wertvollen Antikörper spenden. Doch Tests an der Uniklinik ergaben, dass in seinem Blut zu wenige zirkulieren. "Das liegt offenbar daran, dass ich nur milde Krankheitssymptome hatte", sagt er.
Dann ging Anfang Januar die Ehe zu Bruch - nach 13 gemeinsamen glücklichen Jahren. Kai hatte sich plötzlich in eine andere Frau verliebt - wie das Leben manchmal so spielt.
"Die Kinder haben zwei Wochen und ich zwei Monate fast nur geweint. Kai war die große Liebe meines Lebens", gesteht Hélenè. Zum Glück gab es keinen Streit. Im Januar zog Kai zu seinem Bruder. "Viele Gefühle blieben - bis heute", sagt Hélenè.
Sie musste die gemeinsame Wohnung aufgeben. Die alte 150 qm große war einfach eine Nummer zu groß für ihren Verdienst. "Wir sind diese Woche in eine neue, nur noch 75 qm große Wohnung umgezogen", erzählt sie. Die Schwestern Zoey (10) und Aimy (11) haben jedoch jede ihr eigenes Zimmer.
"Ich schlafe im Wohnzimmer, aber das geht", sagt Hélenè. "Schließlich hat die Wohnung den Mädchen sofort gefallen und wir müssen jetzt Abstriche machen."
Vorteil der neuen Bleibe: Der Arbeitsweg für Mutti Mizera zur Tagespflege-Station hat sich verkürzt. Gleich gegenüber befindet sich zudem eine Keramik-Manufaktur, in der die drei Damen jetzt gern gemeinsam töpfern können.
Kai ist gelernter Tischler und Messebauer, war im vergangenen Jahr viel auf Montage: "Wir bauten im Raum Leipzig und Dresden Wintergärten." Am vergangenen Dienstag wurde er runde 40 Jahre alt, will sich jetzt einen Kindheitstraum erfüllen und sein Hobby Rennsport zum Beruf machen:
"Ich will mit in die Firma meines Bruders einsteigen. Bei Racepool99 kann man im Lamborghini, Porsche oder Audi A8 über Rennstrecken wie den Lausitz- und Spreewaldring oder die Motorsport Arena Oschersleben rauschen."
Seine Noch-Frau und die Kinder feiern Ostern diesmal mitten im Umzugschaos zwischen Kisten und Kartons - und nur noch mit halbem tierischen Beistand. Denn Zwergkaninchen Anika, mit dem die Kinder im vergangenen Jahr noch Ostereier im Großen Garten suchten, ist im Corona-Jahr verstorben.
Dieses Ostern kann nur mit der verbliebenen kleinen Tess (3) geschmust werden. Für die drei ist klar: "Dieses Jahr kann alles nur besser werden."
Mit Halligalli in Ischgl fing alles an
Hélenè und Kai Mizera waren am 9. März 2020 mit Freunden auf Partyurlaub in Ischgl. Sie tingelten bei ihrer Hüttengaudi durch die später als Superspreader berüchtigten Bars "Kuhstall", "Champagnerhütte" und "Trofana Royal". Von dort wurde das damals neuartige Sars-CoV-2-Virus von Partygästen bis nach Island, Norwegen, Schweden, Dänemark, Großbritannien, die Niederlande und Irland verschleppt. Die Mizeras brachten es als Urlaubsmitbringsel nach Dresden.
"Schon auf der Rückfahrt habe ich vor Schwäche im Auto fast nur geschlafen", erzählt Hélenè. Am Freitag, dem 13. Februar, dann die Diagnose nach einem PCR-Test an der Dresdner Uniklinik: Corona-positiv! "Ich hatte 39,7 Grad Fieber, musste mich ständig hinsetzen, wurde schließlich ohnmächtig."
Es folgten die typischen Symptome: Husten, geschwollene Lymphknoten, Kopfschmerzen, Schnupfen und am Ende ein Kreislaufzusammenbruch - Notaufnahme. Sie kam an den Tropf. Auch Kai hatte sich angesteckt. Die ganze Familie kam in Quarantäne.
Titelfoto: Eric Münch