Comeback der Pinselohren! Nach Jahrhunderten schleichen wieder Luchse durch Sachsen
Dresden - Mit einem riesigen Sprung in die Freiheit: Kaum war der Schieber der Transportkiste geöffnet, sprintete Luchs Anton Anfang der Woche ein paar Meter über die Lichtung und flüchtete dann ins Dickicht des Fichtenwaldes. Er ist nunmehr der fünfte Luchs, der seit Ostern im Erzgebirge ausgewildert wurde und hier wieder heimisch werden soll. Mit Satellitentechnik verfolgen Forscher die genauen Bewegungsprofile der Pinselohren und hoffen, dass sich im kommenden Jahr in freier Wildbahn erstmals wieder Nachwuchs der vor 280 Jahren in Sachsen ausgerotteten Großkatze einstellt.
Wenn sie nicht gerade mal im Funkloch sitzt, sendet Luchs-Weibchen Nova Tag für Tag eine SMS. Darin enthalten sind GPS-Koordinaten ihrer letzten Aufenthaltsorte, welche Wissenschaftler des Görlitzer Senckenbergmuseums und der TU Dresden auswerten. Nova war am Gründonnerstag der erste mit einem Senderhalsband ausgestattete Luchs, welcher seither die Wälder des Erzgebirges und des Vogtlandes durchstreift.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die großen Katzen in weiten Teilen ihres Verbreitungsgebietes in West- und Mitteleuropa durch Verfolgung ausgerottet. In Sachsen wurde der letzte Luchs bereits 1743 bei Hinterhermsdorf erlegt. Derzeit leben in Deutschland in drei voneinander isolierten Populationen im Harz, im Bayerischen Wald und im Pfälzer Wald etwas über 100 Alttiere. Alle stammen aus Auswilderungsprojekten der letzten Jahrzehnte.
Um die streng geschützte Art zu retten, muss der Mensch nun nachhelfen. Denn der Luchs gilt als schlechter Besiedler. Die Katzen bleiben meist in der Nähe ihres Ursprungs und gebären jährlich im Mittel nur zwei Junge. Nur in seltenen Fällen begeben sich männliche Tiere - hier Kuder genannt - auf größere Wanderschaft.
Die sächsische Ansiedlung ist dabei Teil einer europäischen Strategie, der Population zwischen den Alpen und den Karpaten den genetischen Austausch zu ermöglichen - auch in Thüringen und Baden-Württemberg wird derzeit angesiedelt.
Neu gewonnene Freiheit stellt Luchse vor Herausforderungen
Die im Schweizer Jura wild gefangene Großkatzen-Dame Nova hatte im Erzgebirge offenbar keine Anpassungsprobleme. Von Anfang an erwies sie sich als geschickte Rehfängerin. Schon bald begann sie, ihre neue Heimat großräumig zu bestreifen, schnupperte dabei auch über die böhmische und die bayrische Grenze. Als ihr Revier suchte sie sich dann die Gegend zwischen Eibenstock und Zschorlau aus.
Die ebenfalls aus einem Schweizer Wildfang stammende Alva, die wenige Tage später nach Sachsen kam, ist wie Nova bereits eine erfahrene Mutter. Die Telemetriedaten ergaben, dass sich die beiden vielleicht auch begegnet sind - zumindest aber wissen sie voneinander. Alva hat sich in einem Gebiet zwischen Schönheide und Graslitz eingelebt.
Mit der neu gewonnenen Freiheit hatten es die Kuder Juno (Thüringen) und Chapo (Nürnberg) ungleich schwerer - das trifft wohl auch auf den neuen Anton (Belgien) zu. Auch wenn sie nahezu keinen Kontakt zu Menschen hatten, wurden sie doch in Gefangenschaft geboren. Und mag das Wildgehege noch so weitläufig sein, die Jagd lernt man dort nicht wirklich.
Anfangs ernährte sich Juno nur von Füchsen und Hasen. Selbst eine Amsel musste herhalten, um seinen Hunger zu stillen. Auch Chapo fing zunächst nur Kleinsäuger wie Mäuse - zu wenig für einen jungen Luchs. Sie brauchten Wochen, um ihr erstes Reh zu reißen. Eins pro Woche reicht, das verstecken sie und nähren sich daran über mehrere Tage hinweg.
Sachsen investiert 1,8 Millionen Euro
Den Speiseplan erfahren die Forscher allerdings nicht per SMS. Entweder tragen die Räuber ihr Beutetier vor eine der 60 im Gebiet verteilten Fotofallen. Oder die Biologen müssen selbst nachschauen. Dabei folgen sie mit Antennen einem UKW-Signal, welches ebenfalls aus dem Halsband sendet und den Aufenthaltsort verrät.
Weil die Großkatzen meist erst in der Dämmerung aktiv werden, kann man tagsüber auf die Suche nach Losungen und versteckten Beutetieren gehen. Ein auf Luchsspuren trainierter Schweißhund hilft dabei. Zu Gesicht bekommen die Biologen ihr Forschungsobjekt eher nicht. Die Pinselohren verhalten sich wie Waldgeister: Sie sind unsichtbar, beobachten aber alles.
Auch wenn sie Artgenossen in der Nähe zu schätzen wissen, vermeiden die Einzelgänger den Kontakt. Außer in der Paarungszeit, die von Mitte März bis Mitte April stattfindet. Während Chapo sich derzeit hauptsächlich nahe Platten hinter der böhmischen Grenze aufhält, wählte Juno sein Streifgebiet zwischen Wildenthal und Wilzschmühle - ganz in der Nähe der beiden Damen. Ob man per SMS von einem sich anbahnenden Liebesspiel erfährt, ist ungewiss. Denn die Batterien im Sendehalsband könnten dann schon leer sein.
Im kommenden Jahr sollen im Erzgebirge vier weitere Katzen und ein Kuder ausgewildert werden, bis 2027 noch zehn weitere Luchse. Vorher wird beobachtet, ob sie sich von selbst Richtung Osten ausbreiten. Denn auch das Elbsandsteingebirge ist ein vorgesehenes Ansiedlungsgebiet. Falls nicht, wird der Freilassungsort dorthin verlegt. Die Projektleitung liegt beim Landesumweltamt (LfULG) und ist dem Freistaat 1,8 Millionen Euro wert.
Info: luchs.sachsen.de
Titelfoto: LfULG/Alexander Sommer