Bürokratie lässt Einäscherung stocken: Krematorium in Meißen muss sich vergrößern
Meißen - Sie verdreifachen die Flächen, weil sie es müssen: Im Meißner Krematorium stapeln sich die Särge. Dabei sterben die Leute nicht häufiger, sagt Hausherr Jörg Schaldach (61). Die Ämter seien nur träge geworden.

Seit 1993 bastelt Schaldach an einem Modell: Als er das Krematorium inmitten des Meißner Stadtfriedhofs übernahm, war es nicht mal halb so groß.
Seitdem wird jede Erweiterung zunächst mit Pappkarton, -röllchen und Stöcken am Reißbrett seines Büros erdacht. "Wenn wir aufhören zu bauen, sind wir pleite. Oder tot", witzelt Schaldach. Seit fünf Jahren bauen sie, weil es nicht anders geht.
Fünfmal tiefer als ein Sarg liegt das neue 370 Quadratmeter große Totenhaus. Die Klimaanlage ist bereits installiert, bei diesen Kühlschranktemperaturen halten sich die Toten bis zu sechs Wochen.
Obwohl nebenan noch gefliest wird, warten hier bereits Verstorbene auf ihre letzte Ruhe.

Bürokratische Mühlen in Deutschland verhindern die Einäscherung

Rund 8000 Särge verbrennt das kleinste Krematorium Sachsens im Jahr, bis zu 86 Tote aus Sachsen, Brandenburg und Berlin pro Tag.
"Früher konnten wir drei Tage nach dem Tod einäschern. Heute stehen die Särge sechs Tage im Schnitt", so Schaldach. Nur zur Pandemie stapelten sich die Särge höher. "Schon damals war es nicht das Problem, dass wir sie nicht einäschern konnten. Das Problem waren die Papiere."
Bevor die Bestatter zur Tat schreiten können, muss ein Arzt den Totenschein und ein Standesamt die Sterbeurkunde ausgestellt haben. "Wenn wir 100 Leichen liegen haben, dann haben wir für höchstens 30 vollständige Papiere. Die anderen warten auf die bürokratischen Mühlen in Deutschland", sagt Schaldach, der dafür die Digitalisierung verantwortlich macht.
Laut Meißens Stadtsprecherin Katharina Reso (42) ist die elektronische Sammelakte tatsächlich ein Hemmnis. Ein Fall mit einer papierreichen Akte dauere nun 40 statt 20 Minuten. "Inklusive Einscannen, Übertragen in das Programm und hybride Aktenführung." Das gilt auch für Ehen und Geburten. Schaldach: "Ich frage mich manchmal, wie wir das früher geschafft haben ..."
Ernste Folgen - ein Kommentar von Erik Töpfer

Egal ob Stand-up-Comedy oder Dieter Nuhr: Sobald Komiker und Kabarettisten die Wörter "Bürokratieabbau" oder "Digitalisierung" sagen, wird im Publikum seit Jahren, ach Jahrzehnten schallend gelacht. Oft hämisch und wohlwissend, welche Ausreden sich hinter den Unwörtern des Landes verbergen. Mir bleibt das Lachen langsam im Hals stecken. Was machen die denn da?
"Nahm man früher noch Zettel und Stift in die Hand, macht man heute Updates", grinst Jörg Schaldach in die Kaffeetasse. Er kenne es selber zu gut, erzählte er mir in seinem kleinen Krematoriumsbüro: Kurz vorm Frühstück herrsche Stau am Kopierer, Abwesenheitsnotizen und ähnliches kämen häufiger per Mail als gute Nachrichten. "Die Digitalisierung macht die Dinge langsamer", sagt der Chef eines Hauses, das allein wegen dieses Satzes mit Behörden zusammen arbeiten muss.
Die Stadt Meißen hat sich an einer Erklärung versucht, die nicht einfach ist. Denn Standesamtsangelegenheiten regelt jede Kommune für sich, in Sachsen gibt es dafür über 200 Bezirke. Doch diese bestätigt, was Schaldach beschreibt: Die Bearbeitung einer Akte - und damit das Einäschern eines Toten - hat sich wegen der elektronischen Sammelakte verdoppelt. In den Großstädten hat sich das laut Schaldach sogar vervielfacht.
Das liege am Einscannen, Übertragen, Aktenführung. Oder wie ich es nenne: rausreden. Das Problem sitzt meist davor - und hat trotz Gleitzeit, "Sabbaticals" und 13. Gehalt ernste Folgen.
Titelfoto: Steffen Fuessel