Zehntausende fordern: Gebt uns endlich Bildungsurlaub in Sachsen!
Dresden - Dürfen die Sachsen auf jährlich fünf Tage Sonderurlaub für ihre persönliche Bildung hoffen?
Das vom Gewerkschaftsbund (DGB) angeführte Bündnis "Zeit für Sachsen" bejubelt gerade seinen großen Erfolg: Über 50.000 Unterschriften fand der Volksantrag für ein Bildungsfreistellungsgesetz.
Die politischen Hürden und Widerstände für die Umsetzung sind dennoch hoch.
Auf dieser Seite wagen wir eine Prognose auf die Erfolgsaussichten.
Immerhin kam in dieser Woche Bewegung in das Thema.
Darum geht es
Beim Bildungsurlaub haben Beschäftigte per Gesetz das Recht auf fünf Tage vom Arbeitgeber bezahlte Extrazeit für anerkannte Weiterbildungen, bei der sie die Seminarkosten selbst tragen oder Fördermöglichkeiten ausloten. Es geht um fachliche Bildung, Sprachkurse oder Qualifikationen für Ehrenämter.
In 14 Bundesländern ist das längst Normalität - lediglich Bayern und Sachsen wehren sich seit Jahren gegen dieses Gesetz für Arbeitnehmerrechte.
Situation in Sachsen
Um die berufliche Weiterbildung in Sachsen ist es nicht so schlecht bestellt. In Zeiten von Innovationsdruck und Facharbeitermangel sind die Unternehmer auch an Qualifizierung interessiert. Sie entscheiden aber selbst, welchen Weg der Mitarbeiter einschlagen soll.
Nur wenige Arbeitgeber, etwa Siemens oder die Stadtverwaltungen von Dresden und Leipzig, gewähren Beschäftigten selbst gewählte Seminare.
Ehrenamtler
Einen Befreiungsschlag hingegen könnte der Bildungsurlaub für ehrenamtliches Engagement bringen. Bei einer 2022 durchgeführten Studie gaben 38 Prozent der befragten Sachsen an, dass berufliche Termine sie an einer Weiterbildung hinderten. Zur Erläuterung drei Beispiele:
Ein Fußballfreund, der für die Betreuung der A-Jugend seines Vereins den Trainerschein braucht. Oder eine Helferin im Hospiz, welche sich für die schwere Aufgabe rüsten möchte. Ein ehrenamtlicher Bürgermeister, der für sein Dorf die Geheimnisse eines Finanzplans ergründen muss.
Alle drei haben nur zwei Chancen: Sie opfern für die Lehrgänge mehrere Wochenenden, oder sie verzichten auf wohlverdiente Urlaubstage. Als Saarländer oder Thüringer hätten sie dieses Problem nicht.
Dass Ehrenamtler eine erhebliche Stütze des Gemeinwohls sind und ohne sie viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zusammenbrechen würden, ist in der Politik wohlbekannt.
Der Freistaat legt für sie auch Förderprogramme auf, schafft Vergünstigungen mit der Ehrenamtskarte oder verteilt Bürgerpreise und Orden. Einen Sonderurlaub gibt es nur in wenigen konkreten Ausnahmefällen: in der Jugendhilfe, für Schöffen und bei der Feuerwehr.
Wer steht auf der Bremse?
Gegen den Bildungsurlaub sprechen sich vornehmlich die Arbeitgeber aus. Dresdens IHK-Sprecher Lars Fiehler: "Ein solcher Rechtsanspruch wäre nicht nur ein weiterer Eingriff in die unternehmerische Freiheit, er zöge auch weitere Bürokratie nach sich."
Er verweist auf zuletzt schon durch die Politik verursachte höhere Arbeitskosten und dass sich von 1700 sächsischen Unternehmen gerade einmal sieben Prozent für den Bildungsurlaub aussprachen. Auch Sachsens Handwerkspräsident lehnt das Gesetz ab, weil dies in kleinen Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitern nicht leistbar wäre.
Und Kay Ritter (53), handwerkspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, hat ausgerechnet, dass 61 Millionen Arbeitsstunden ausblieben, wenn ein Drittel der sächsischen Arbeitnehmer Bildungsurlaub nutzen würden.
Und wer ist dafür?
Die Initiatoren des jetzt erfolgreichen Volksantrages entgegnen, dass in den anderen Bundesländern gerade einmal zwei Prozent der Arbeitnehmer den Bildungsurlaub nutzen - davon breche keine Wirtschaft ein. DGB-Landesvize Daniela Kolbe: "Bei gut zwei Millionen Beschäftigten im Freistaat wären das 40.000 Menschen."
Zum Bündnis gehören neben Gewerkschaften unterschiedlichste sächsische Organisationen, vom Landessportbund über den Chorverband bis zum Katholikenrat. Mit SPD, Grünen und Linken sind auch drei Parteien dabei, die sich seit Jahren gegen den Widerstand der Konservativen dafür einsetzen.
Doch auch bei der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), dem "Sozialflügel" der CDU, gibt es Befürworter. Selbst Landeschef Alexander Krauß (48) hat unterzeichnet.
So geht's mit dem Volksantrag weiter
Der Volksantrag mit 50.000 überprüften Unterschriften (40.000 wären nötig gewesen) wird im August dem Landtagspräsidenten überreicht. Das verpflichtet das Parlament, über den Gesetzentwurf zu beraten und abzustimmen.
Dies wird aber nicht vor der Landtagswahl am 1. September geschehen. Wirtschaftsminister Martin Dulig (50, SPD) geht davon aus, dass das Gesetz ein zentrales Thema für die Koalitionsverhandlungen ist. Vielleicht stürmt er da gegen offene Türen.
Denn möglicherweise haben die 50.000 Unterschriften auch beim Ministerpräsidenten Eindruck hinterlassen. Am Rande des Sportgipfels Anfang der Woche räumte Michael Kretschmer (49, CDU) ein, dass er beim Bildungsurlaub inzwischen etwas Bewegung sehe.
Und Innenminister Armin Schuster (63, CDU) zeigte sich bereit, über eine "Qualifizierungszeit" etwa für Übungsleiter und Trainer nachzudenken.
Prognose
Die große Ungewissheit besteht im Wahlergebnis. Da Kretschmer weder mit AfD, Linken noch Grünen regieren möchte und wohl eine weiter geschrumpfte SPD vorfinden wird, ist er auf neue Mehrheitsbeschaffer angewiesen.
Mit der wirtschaftsfreundlichen FDP oder den Freien Wählern wird der Bildungsurlaub kein Kernthema sein, mit dem BSW schon eher.
Abgestimmt wird über das Gesetz im Landtag auf jeden Fall. Da kommt es auch auf das Verhalten der größten Oppositionspartei an. Eine TAG24-Anfrage beantwortete die AfD-Fraktion nicht.
Doch 2018, als auf Antrag der Grünen schon einmal über den Bildungsurlaub abgestimmt wurde, enthielt sich die AfD. Damals bevorzugte die SPD die Koalitionsdisziplin und stimmte dagegen.
Hürden bleiben
Wird der Volksantrag vom Parlament abgelehnt, kann das Bündnis ein Volksbegehren initiieren, welches in einen Volksentscheid münden würde. Dieses ist eigentlich zum Scheitern verurteilt, weil die Hürden dafür in Sachsen besonders hoch sind. Dazu wären 450.000 Unterschriften (13,2 Prozent der Wahlberechtigten) nötig.
Im aktuellen Koalitionsvertrag wurde die Senkung dieser Schwelle versprochen und nicht gehalten.
Titelfoto: Bildmontage: 123RF/nomadsoul1, PR/Benno Kraehahn