Baustelle Bildung: Sachsens Kultusminister stellt jetzt alles auf den Prüfstand!
Dresden - Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (48, CDU) hat sich auf den Weg gemacht, Schule und Ausbildung im Freistaat neu in Richtung Zukunft zu denken und gestalten. Er ist dabei zum Erfolg verdammt. Lest hier, woran das System heute krankt, vor welchen Herausforderungen es steht und wie und wann Piwarz 2024 Veränderungen plant.
Genau 34.921 Lehrer sowie sonstige pädagogische Fachkräfte sind gegenwärtig an öffentlichen Schulen in Sachsen tätig (plus 578 Personen gegenüber Vorjahr).
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beziffert den Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften mit über 3000. Das Kultusministerium spricht von knapp 1100 Fachkräften, die im Grundbereich fehlen.
"Die Einstellungsverfahren laufen das ganze Jahr. Wir machen jedem grundständig ausgebildetem Lehrer ein Angebot, der sich bei uns bewirbt", sagt ein Ministeriumssprecher. Er betont: Es besteht hierzulande kein Mangel an Geld oder Stellen.
Es fehlt schlicht an ausgebildeten Lehrkräften. Alle Bundesländer werben gegenwärtig um Pädagogen.
Lehrermangel ist ein großes Problem
Sachsen setzt bei seiner Suche auf Ausbildung. Seit 2015 wurden die Kapazitäten an den Universitäten um 1000 auf inzwischen 2700 Plätze erhöht. Die Auslastung der Studiengänge ist allerdings mangelhaft. 2022 wurden lediglich 2340 Studenten immatrikuliert.
Zur geringen Auslastung kommen hohe Abbrecher-Quoten. Zudem entscheiden sich zahlreiche Absolventen nach dem Staatsexamen für Karrieren jenseits des Schuldienstes.
"Es muss uns unbedingt gelingen, mehr Studentinnen und Studenten zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen", sagt Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (45, CDU).
Er und Kultusminister Piwarz wollen gemeinsam in der Kabinettssitzung am 9. Januar 2024 einen Katalog an Maßnahmen vorstellen, mit dessen Hilfe diese Probleme angegangen und mehr Nachwuchskräfte angeworben werden sollen - speziell für die Naturwissenschaften sowie den Einsatz abseits der Städte Leipzig, Dresden und Chemnitz.
Kontroverse Debatte zum "Bildungsland 2030"
"Bildungsland 2030" heißt das Projekt, das Fragen gestellt und Antworten mit Experten und einer breiten Öffentlichkeit gesucht hat. Spätestens im Mai 2024 will das Kultusministerium präsentieren, was kurz-, mittel- und langfristig umgesetzt werden soll.
Über folgende Themen wurde kontrovers debattiert:
Lernen
Soll der Bio-Rhythmus Anfang und Ende von Schule bestimmen?
Pro: Forscher empfehlen das und ein schlagen ein Modell mit Gleitzeit in verschiedenen Jahrgangsstufen vor. Die Schule sollte dazu ganztägig etwa von 8 bis 18 Uhr geöffnet sein. Unterricht und fakultative Angebote (also Zeiten von An- und Entspannung) wechseln sich idealerweise ab, damit das Lernen kinderfreundliche wird.
Contra: Die Organisation und Verzahnung mit dem Hort ist aufwendig. Schule wäre dann mit anderen Hobbys/Lebensbereichen schwer vereinbar.
Braucht es eine sachsenweite Regelung zu hitze- und kältefrei bzw. verkürztem Unterricht analog zu geltenden Arbeitsschutzverordnungen?
Pro: So könnte für das Thema sensibilisiert werden.
Contra: So wird überflüssige Bürokratie aufgebaut.
Wäre Schulurlaub statt Schulferien das bessere Konzept?
Pro: Selbstbestimmtes Arbeiten und Lernen - wie in der Arbeitswelt
Contra: Enormer Aufwand für Lehrkräfte und problematisch für Familien, die Geschwister an anderen Schulen haben.
Sollten die Schüler die Gestaltung von Unterricht und Lernen mitbestimmen?
Pro: Die altersgemäße Ausgestaltung des Unterrichts fördert die Motivation der Schüler.
Contra: Das entsprechende Ausverhandeln kostet wertvolle Unterrichtszeit.
Steuerung
Brauchen Schulen und schulnahe Verwaltungen standardisierte Kommunikationskanäle?
Pro: Bürokratie würde so schrumpfen. Eine Plattform für alles und alle erleichtert das Arbeiten.
Contra: Man macht sich abhängig von einem System.
Infrastruktur
Sollten Schulen ein eigenes Budget für ihre digitale Ausstattung erhalten?
Pro: Vor Ort kennt man die Bedarfe am besten.
Contra: Die Schulleitung bräuchte extra Personal, das berät und unterstützt.
Wäre es sinnvoll, dass die Schüler ihre eigene IT-Technik im Unterricht mit einsetzen (Bring-Your-Own-Device-Ansatz)?
Pro: Im Sinne des Umweltschutzes würden keine zusätzlichen Geräte geordert. Außerdem kennen sich die Schüler mit ihren eigenen Geräten bestens aus.
Contra: Die Kosten werden auf die Eltern übertragen. Soziale Ungerechtigkeit droht, könnte Kinder ins Abseits drängen. Netzsicherheit und Datenschutz sind kritisch zu bewerten. Die Kapazität der Lehrkräfte würde durch die Diversität der Geräte gebunden.
Landesschülerrat begrüßt die Initiative
Insgesamt 218 Handlungsvorschläge wurden erarbeitet und diskutiert. Stolze 388 Seiten ist der jetzt vorgestellte Zwischenbericht dick.
Zu den Themen, die viel Zustimmung erfahren haben, sagt Kultusminister Christian Piwarz: "Davon wollen wir möglichst viel umsetzen."
Der Landesschülerrat begrüßt die Initiative. "Wer täglich eine Schule besucht, weiß, dass neue Ansätze gefragt sind, um ein zukunftsfähiges, sächsisches Bildungssystem zu schaffen. Dabei sind infrastrukturelle Grundlagen wie die Digitalisierung genauso relevant, wie die Veränderung des Unterrichts", erklärt Amy Kirchhoff (16) als Vorsitzende der Schülervertretung.
Viele Handlungsvorschläge entsprechen genau den Wünschen der Schülerschaft.
"Frontalunterricht ist oft nicht die richtige Unterrichtsgestaltung. Wir begrüßen den Vorschlag, dass Schulen über 25 Prozent ihrer Unterrichtszeit eigenverantwortlich verfügen sollen, damit Defizite ausgeglichen werden können", so die Schülerin.
Sie ergänzt: "Dadurch können Schulen ihre individuellen Schwerpunkte besser umsetzen und wichtige Themen, wie beispielsweise Berufsorientierung, mehr Zeit einräumen."
Zahlen und Fakten zur Bildung in Sachsen
Gegenüber 2022 stieg die Schülerzahl im laufenden Schuljahr um 6370 auf 436.065 Schüler.
Grundschulen besuchen 141.810 Schüler, Oberschulen 106.046, Gymnasien 96.920, Berufsbildende Schulen 69.967 und 18.258 gehen auf Förderschulen (restliche Schulen: über 3000 Schüler). Die Zahl der inklusiv unterrichteten Heranwachsenden stieg um 611 auf 11.371.
Im Moment gibt es in Sachsen insgesamt 1381 öffentliche Schulen. Das sind konkret 752 Grundschulen, 287 Oberschulen, 140 Gymnasien, 136 Förderschulen, 60 Berufsschulzentren, drei Schulen besonderer Art (§63d-Schulen), einen Schulversuch sowie zwei Gemeinschaftsschulen.
Erstmals seit zehn Jahren hat sich die Unterrichtsabsicherung nicht verschlechtert. Der Lehrerbedarf zur Absicherung des Unterrichts in allen Schularten war 2023 zu 96,36 Prozent (plus 0,47 Prozentpunkte gegenüber Vorjahr) abgedeckt.
Die Unterrichtsversorgung ist nach wie vor nicht in allen Schularten vollständig sichergestellt. Die meisten Probleme und damit verbundenen Unterrichtsausfall gibt es im ländlichen Raum an Oberschulen.
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