Wie hart trifft die Autokrise Sachsen?

Sachsen - Jahrelang haben sich die großen Autokonzerne eine goldene Nase verdient. Nun sind die Verkaufszahlen eingebrochen und die Autokrise - vor allem VW sorgte für Schlagzeilen - nimmt ihren Lauf. Sachsen als viertgrößtes Automobilbundesland und Standort für Elektromobilität könnte dabei besonders betroffen sein. Wir sprachen mit Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Joachim Ragnitz (63) vom ifo-Institut Dresden über die Ursachen und welche Auswirkungen die Krise auf Sachsen haben könnte.

Prof. Dr. Joachim Ragnitz (63) forscht am ifo-Institut Dresden zum Thema Strukturwandel.
Prof. Dr. Joachim Ragnitz (63) forscht am ifo-Institut Dresden zum Thema Strukturwandel.  © Thomas Türpe

TAG24: Prof. Ragnitz, was sind die Ursachen für die derzeitige Krise in der Autobranche?

Prof. Dr. Joachim Ragnitz: Politisch gewünscht ist eine Transformation des Automobilsektors hin zur Elektromobilität. Elektroautos sind aber technologisch kein Hexenwerk - das hat dazu geführt, dass weltweit, insbesondere in China, neue Produzenten an den Markt getreten sind.

Allein von ihrer Größe her können diese die Vorteile von Massenproduktion weit besser nutzen als deutsche Hersteller und damit günstiger anbieten.

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Deutsche Hersteller haben sich hingegen viel zu lange auf ihren guten Ruf und auf ihr technologisches Wissen im Bereich Verbrennermotoren verlassen und die Zeichen des Wandels nicht rechtzeitig wahrgenommen. Insoweit hat die Automobilkrise zum Teil wohl auch mit Managementversagen zu tun.

TAG24: Ist die Autokrise ein weiteres Symptom für ein viel schwerwiegenderes Problem: dass Deutschland zunehmend abgehängt wird auf dem Weltmarkt?

Ragnitz: Die Industrie in Deutschland befindet sich bereits seit etwa 2017 in einer Krise. Die Produktion schrumpft seither.

Nicht ganz zufällig fällt dies zeitlich zusammen mit einer forcierten industriepolitischen Strategie in China, die darauf gerichtet war, Kapazitäten in Hightech-Bereichen aufzubauen, also bei Autos, Halbleiterprodukten, Maschinen. Das haben wir in Deutschland lange Zeit nicht wahrhaben wollen und die industrielle Rezession eher als ein temporäres konjunkturelles Phänomen gesehen.

Das hat zu folgenreichen Fehlentwicklungen geführt - Aufbau von Bürokratie, Ausbau des Sozialstaats, Priorisierung von Klimaschutz. Das wiederum hat die Kosten am Standort Deutschland erhöht und letzten Endes mit dazu beigetragen, dass die Industrie jetzt unter so hohem Anpassungsdruck steht.

Sachsen von Autokrise besonders betroffen

Bei der Agentur für Arbeit wurde im Kfz-Bereich schon Kurzarbeit angezeigt, Tendenz steigend.
Bei der Agentur für Arbeit wurde im Kfz-Bereich schon Kurzarbeit angezeigt, Tendenz steigend.  © Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

TAG24: Welche Auswirkungen hat die Autokrise auf Sachsen?

Ragnitz: Die Automobilindustrie ist die wichtigste Industriebranche in Sachsen.

Damit ist der Freistaat durch die Transformation im Fahrzeugbau besonders betroffen. Das betrifft nicht nur die Endhersteller (die vor allem unter hohem Preisdruck leiden), sondern auch viele Zulieferer, die in ihrer heutigen Form für die Produktion von Elektroautos gar nicht mehr gebraucht werden.

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Ein Hersteller, der beispielsweise Getriebe fertigt, müsste sich völlig neu orientieren, weil ein Elektroauto kein Getriebe im klassischen Sinn benötigt. Hier muss man große Zweifel haben, ob solche Unternehmen am Markt überhaupt noch eine Chance haben.

TAG24: Ist nur die Autobranche betroffen?

Ragnitz: Die Autobranche ist eigentlich nur die Spitze des Eisbergs. Gerade die CO2- und energieintensiven Sektoren - Chemie, Papier, Glas, Metall- leiden unter den hohen Energiepreisen in Deutschland und werden darüber hinaus von der Politik gezwungen, entweder ihren spezifischen Energieverbrauch deutlich einzuschränken oder ihre Produktion zurückzufahren - das nämlich ist die Implikation quantitativer gesetzlicher Vorgaben für CO2-Emissionen und Energieverbrauch.

Andere Branchen wie der Maschinenbau leiden unter der genannten chinesischen Industriestrategie. Und alle Industriebereiche sind betroffen von zunehmendem Arbeitskräftemangel, der zu steigenden Lohnsätzen und damit sinkender Wettbewerbsfähigkeit führt.

Was kann die Politik tun?

Die Automobilindustrie ist die wichtigste Industriebranche in Sachsen - noch.
Die Automobilindustrie ist die wichtigste Industriebranche in Sachsen - noch.  © IMAGO/Waldmüller

TAG24: Was kann die Industrie dagegen tun?

Ragnitz: Deutsche Industrieunternehmen müssten viel mehr in neue Maschinen und neue Technologien investieren als bisher, um auch längerfristig im Markt bestehen zu können.

Es ist schon auffällig: Die wesentlichen produktivitätssteigernden Innovationen stammen heute nicht mehr aus Deutschland oder Europa, sondern vor allem aus den USA und zunehmend aus China. Da müssen wir also besser werden.

TAG24: Wie sicher sind noch Arbeitsplätze im Automobilbereich?

Ragnitz: Es gibt ja Prognosen darüber, wie viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gefährdet sein könnten - das sind schon gewaltige Größenordnungen.

Auch wenn diese so nicht unbedingt eintreten werden: Sichere Arbeitsplätze bietet die Autoindustrie aktuell nicht mehr. Leider gilt das auch für viele andere Branchen.

TAG24: Sollte die Politik eingreifen?

Ragnitz: Politik neigt ja häufig zu Ad-hoc-Eingriffen, also zu selektiven Interventionen zugunsten von großen Unternehmen oder zugunsten von lobbymäßig gut vernetzten Branchen. Davon sollte man bloß die Finger lassen!

Das würde teuer und ist auch nicht wirklich gerecht gegenüber nicht begünstigten Unternehmen oder gegenüber den Steuerzahlern, die das alles bezahlen müssen.

Die Politik sollte vielmehr in sich gehen und all die Standortschwächen Deutschlands beherzt angehen: Bürokratieabbau, öffentliche Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung, Bildung und Wissenschaft und vieles anderes mehr. Und letzten Endes muss man auch überlegen, ob die politischen Prioritäten derzeit richtig gesetzt sind.

Ich glaube, wir haben inzwischen ein massives Standortproblem und da ist es mit dem Kurieren an Symptomen nicht getan, wenn wir eine neuerliche Deindustrialisierung vermeiden wollen.

Sachsens Autoindustrie in Zahlen

Das VW-Werk in Zwickau wurde komplett auf E-Mobilität umgestellt. Sparmaßnahmen werden auch hier schon umgesetzt.
Das VW-Werk in Zwickau wurde komplett auf E-Mobilität umgestellt. Sparmaßnahmen werden auch hier schon umgesetzt.  © Jan Woitas/dpa

6 Fahrzeug-, Motoren- und Batteriewerke der vier großen Autohersteller Volkswagen, BMW, Mercedes-Benz und Porsche gibt es in Sachsen.

100.000 Beschäftigte arbeiten in der Automobilbranche, davon 80 Prozent im Zuliefererbereich.

29 Prozent beträgt der Anteil der Autobranche am gesamten sächsischen Industrieumsatz und knapp 40 Prozent am Auslandsumsatz.

Jedes 8. Auto ist "Made in Saxony". 40 Prozent der deutschen E-Autos werden hier gebaut.

4169 Euro (Stand 2022) betrug der Medianlohn (mittleres Einkommen) in der sächsischen Automobilbranche (Sachsen-Wert: 3000 Euro).

Das sagt die Gewerkschaft

IG-Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze (53) will nicht, dass die Profitgier der großen Autobauer auf den Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen wird.
IG-Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze (53) will nicht, dass die Profitgier der großen Autobauer auf den Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen wird.  © Ralf Seegers

Drei Werke will VW schließen. Auch in Sachsen?

Dagegen stellt sich die IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen. "Aus Sicht der Beschäftigten ist die Lage der Automobilindustrie in Sachsen wie in ganz Deutschland schwierig und in einigen Betrieben auch besorgniserregend. Es ist für die Zukunft der gesamten sächsischen Wirtschaft ganz entscheidend, dass die Automobilindustrie als Schlüsselbranche gut durch die heikle Umbruchphase kommt", sagt IG-Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze (53).

Er kritisiert: "Wir stellen uns gegen das kurzfristige, rein renditeorientierte Handeln mancher Geschäftsleitungen. Sowohl Unternehmen als auch Politik sind in der Pflicht, gezielt in die Zukunft zu investieren und Beschäftigung zu sichern, statt einseitig und planlos auf Abbau zu setzen."

Titelfoto: Montage: Thomas Türpe, Jan Woitas/dpa

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