Und plötzlich ist uns der Krieg ganz nahe: Wie können Betroffene mit ihren Ängsten umgehen?
Sachsen - Unberechenbarkeit schürt Ängste. Erst Corona, Inflation, Preisschock bei Energie und Kraftstoffen sowie im Supermarkt, jetzt Krieg in der Ukraine. Neue Ängste brechen auf, bevor alte verarbeitet sind. Wie soll das noch enden? Was und wem kann man noch glauben?
Laut einer Blitzumfrage haben 58 Prozent der Deutschen Angst davor, dass sich der Ukraine-Krieg zu einem dritten Weltkrieg mit Einsatz von Atomwaffen ausweiten könnte.
Wenn Panzer rollen und Sirenen heulen, kommen bei Älteren Ängste von früher hoch. Traumatische Bilder aus ihrer Kindheit erzeugen sogenannte Flashbacks - Bilder, die immer wieder vors geistige Auge kommen.
Für Jüngere ist es oft das erste Mal, dass ein Krieg plötzlich ganz nah ist. Insbesondere für Kinder können schmerzliche Angst-Erfahrungen gefährlich werden.
"Sie kennen Kriegsszenen zwar schon aus den Medien und Videospielen. Doch nur für jüngere Kinder ist dabei Fiktion und Realität noch nicht differenzierbar - im Alter ab der Pubertät jedoch schon", weiß die Angstforscherin Dr. Ulrike Schmidt (45), Vize-Direktorin der Uniklinik für Psychiatrie in Bonn und Leiterin der Trauma-Ambulanz der Psychiatrischen Universitätsklinik Göttingen.
Die Psychiaterin warnt: "Stress und Traumata in Kindheit und Jugend können die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen deutlich erhöhen!"
Kinder sollten ernst genommen werden
Wenn Kinder bei Kriegsbildern Ängste entwickeln, anfangen zu weinen, sollten Eltern verstärkt Präsenz zeigen: das Kind öfter mal in den Arm nehmen, ihm Stärke und Sicherheit signalisieren und seine Fragen beantworten. Dr. Schmidt: "Das Schlimmste wäre, wenn man sagt, 'das verstehst du noch nicht oder erst, wenn du älter bist'".
Doch welchen Sinn hat Angst eigentlich noch, wenn die von ihr ausgelösten Flucht- und Abwehrreflexe die Angstursachen gar nicht mehr bekämpfen können? "Die Evolution kann mit der schnellen kulturellen Entwicklung der Zivilisation nicht Schritt halten", erklärt Dr. Schmidt.
"Wer früher keine Angst vorm Säbelzahntiger hatte, überlebte nicht. Heute muss man sich einfach klarmachen, dass viele Ängste keinen Sinn ergeben. Doch sie kann uns dennoch davon abhalten, unverantwortliche Risiken einzugehen."
Wenn Ängste jedoch übermächtig und zu Phobien werden, den Alltag bestimmen oder den Schlaf rauben, ist professionelle Hilfe angesagt.
Dr. Schmidt: "Wer Selbstmordgedanken hat, sollte wie bei einem Beinbruch oder Herzinfarkt den Notarzt rufen oder direkt in eine Notaufnahme gehen!"
Titelfoto: dpa/Francisco Seco