Sachsen-Anhalt sucht digitale Lösungen: Tangerhütte prescht voraus!

Tangerhütte - Sachsen-Anhalt hinkt bei der Digitalisierung seiner Verwaltung hinterher. Eine Gemeinde im Landkreis Stendal aber ist vorangeprescht. Könnte das Digitale Rathaus von Tangerhütte landesweit als Vorbild dienen?

Tangerhüttes Bürgermeister Andreas Brohm (44, parteilos) ist verwundert über die lückenhafte Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes in Sachsen-Anhalt.
Tangerhüttes Bürgermeister Andreas Brohm (44, parteilos) ist verwundert über die lückenhafte Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes in Sachsen-Anhalt.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Anträge ausfüllen, Genehmigungen einholen, Gewerbe an- und abmelden: Eigentlich sollte all das längst von zu Hause aus möglich sein. Denn seit dem 1. Januar 2023 verpflichtet das Onlinezugangsgesetz (OZG) Bund, Länder und Kommunen dazu, ihre Verwaltungsleistungen auch digital anzubieten.

Doch Angaben des Bundesinnenministeriums zufolge können Bürgerinnen und Bürger in den meisten Bundesländern derzeit nicht einmal die Hälfte der 575 geplanten Online-Leistungen in Anspruch nehmen. Sachsen-Anhalt rangiert auf Platz 12 von 16.

Doch es gibt eine Ausnahme. In Tangerhütte, einer Kleinstadt südlich von Stendal, ist das Digitale Rathaus schon heute Realität. Als erste Kommune in Sachsen-Anhalt setze man die Anforderungen des OZG bereits vollumfänglich um, meldete die Gemeinde im Dezember 2022. "Wir fragen uns ja selber, warum das so ist", sagt Bürgermeister Andreas Brohm (44, parteilos), spricht man ihn auf die Gründe dafür an.

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Dabei ist Brohm wohl selbst ein Teil der Antwort. "Tangerhütte ist eine singuläre Entwicklung", sagt Heiko Liebenehm vom Städte- und Gemeindebund Sachsen-Anhalt, "und das hängt mit dem Bürgermeister zusammen."

Zwei weitere Gemeinden in Sachsen-Anhalt schließen sich Tangerhüttes Konzept an

Das Rathaus in Tangerhütte ist das erste komplett digitale Rathaus im ganzen Bundesland.
Das Rathaus in Tangerhütte ist das erste komplett digitale Rathaus im ganzen Bundesland.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Während die meisten Gemeinden auf die Initiative des Landes warteten, habe der Tangerhütter Verwaltungschef Fakten geschaffen. Eine "selbst gestrickte Lösung" nennt Liebenehm das Modell von Tangerhütte, das mittlerweile auch die Gemeinden Thale im Harz und Arneburg-Goldbeck im Landesnorden nutzen. Anderen Kommunen fehle es dafür an Geld und Personal. Zumal eigentlich das Land in der Pflicht sei, die OZG-Mehrkosten seiner Kommunen zu decken.

Würde das Land für alle Gemeinden die Tangerhütter Lösung einkaufen, kostete das rund 4,4 Millionen Euro, rechnet Hagen Woecht vor. Als Geschäftsführer der Innocon Systems GmbH ist er sozusagen Bauherr des Digitalen Rathauses von Tangerhütte. Man habe sich "bewusst für ein ganz einfaches Lizenzmodell entschieden", sagt er: Zwei Euro koste das System - pro Einwohnerin und Einwohner im Jahr.

Dem Unternehmer zufolge kann in Tangerhütte nun ein Großteil der Amtsbesuche entfallen. Nur für einzelne Vorgänge - etwa für Signaturen oder das Abholen eines Ausweises - sei es weiterhin nötig, persönlich im Rathaus zu erscheinen. Von den rund 10.600 Einwohnerinnen und Einwohnern der Gemeinde hätten bereits mehr als 3600 ein Konto bei dem Verwaltungsportal erstellt.

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Dessen Ursprünge liegen mehr als fünf Jahre zurück, wie Bürgermeister Brohm berichtet. Seit 2017 arbeite man daran, Prozesse zu verschlanken, um mit gleichem Personal eine wachsende Anzahl von Leistungen erfüllen zu können. Dabei spiele das Thema Digitalisierung eine wichtige Rolle. Dass die Gemeinde nun die Anforderungen des OZG erfülle, sei im Grunde ein "Abfallprodukt" dieses Prozesses.

"Einer für Alle"-Prinzip zwischen den Ländern noch mangelhaft

Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet dazu, dass Verwaltungsmaßnahmen auch online angeboten werden müssen.
Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet dazu, dass Verwaltungsmaßnahmen auch online angeboten werden müssen.  © Fabian Sommer/dpa

Allerdings sind auch in Tangerhütte nicht alle Verwaltungsleistungen online verfügbar. Denn Verwaltungsaufgaben führen in Deutschland neben Gemeinden auch Bund, Länder und Kreise aus. Die meisten komplexeren Verwaltungsleistungen wie Baugenehmigungen, Wohn- oder Bürgergeld seien auf Kreisebene angesiedelt, sagt der Geschäftsführer des Landkreistages Sachsen-Anhalt, Heinz-Lothar Theel.

"Aus kreislicher Sicht muss man sagen: Wir wollten bei dem Thema weiter sein", sagt Theel. Doch in den vergangenen Jahren hätten die Landkreise vor allem mit Krisenbewältigung zu tun gehabt. Dennoch sei er optimistisch, dass es sich beim Rückstand Sachsen-Anhalts lediglich um eine "Momentaufnahme" handele.

Voraussetzung für ein schnelles Aufholen sei nun die ausreichende Finanzierung durch das Land: "Wir würden viel schneller viel weiter sein, wenn das Land mehr Geld zur Verfügung stellen würde", sagt Theel.

Weniger optimistisch klingt Heiko Liebenehm vom Städte- und Gemeindebund. Das Land habe kein Konzept, keine Umsetzungsplanung und keine Förderrichtlinien definiert, bemängelt er. Auf Bundesebene seien zudem Verfahren nicht ausreichend geklärt.

Denn eigentlich sollte die Digitalisierung der Verwaltung auf föderaler Ebene nach dem sogenannten "Einer für Alle"-Prinzip (EfA) erfolgen. Das bedeutet, dass die Länder jeweils einzelne Themenbereiche digitalisieren und sich ihre Lösungen dann gegenseitig zur Verfügung stellen.

Konzept "Digitales Rathaus" benötigt komplizierten Vergabeprozess

Laut Tangerhüttes Bürgermeister fehlt es bisher an einer übergeordneten Vision.
Laut Tangerhüttes Bürgermeister fehlt es bisher an einer übergeordneten Vision.  © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Die Kommunen warteten nun auf diese EfA-Dienste, sagt Liebenehm, doch Bund und Länder hätten sich noch nicht darüber verständigt, wie diese flächendeckend genutzt werden können. Tangerhütte habe sich um EfA-Lösungen nicht gekümmert, sondern sei auf eigene Kosten vorangegangen.

Sachsen-Anhalt hingegen "legt konsequent den Fokus auf Nachnutzung von EfA-Diensten", teilt ein Sprecher des Ministeriums für Infrastruktur und Digitales mit. Allein für die Nachnutzung von EfA-Diensten seien im Haushaltsentwurf für 2023 drei Millionen Euro eingeplant. Rechtliche und finanzielle Fragen dieser Nachnutzung seien allerdings "teilweise nicht abschließend geklärt".

Der Einkauf von Marktlösungen wie dem Digitalen Rathaus von Tangerhütte müsse "über einen komplexen Vergabeprozess erfolgen", heißt es aus dem Ministerium weiter. Auch sei die Weitergabe solcher Lösungen an die Kommunen "gegenwärtig nicht ohne Weiteres möglich". Derzeit arbeite man "gemeinsam mit kommunalen Vertretern an der Etablierung einer Zusammenarbeitsstruktur". Diese "Zusammenarbeitsstruktur", so die Hoffnung, könnte dann eines Tages "Fragen einer gemeinsamen Beschaffung von Softwarelösungen klären".

Hört man auf den Tangerhütter Bürgermeister, fehlt es bei der Umsetzung des OZG vor allem an einer übergeordneten Vision, an einem "Big Picture", wie er es nennt. Dazu gehöre auch, dass es kein Anreizsystem gebe, dass Bemühungen um eine digitale Verwaltung belohnen würde. "Wenn ich das OZG erfülle", sagt Andreas Brohm, "gibt es dafür keinen Blumenstrauß."

Titelfoto: Bildmontage: Fabian Sommer/dpa , Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

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