Arbeitsagentur zum Fachkräftemangel: "Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen"
Halle - Viele Unternehmen klagen über Fachkräftemangel. In einigen Branchen, wie etwa der Gesundheit, sei die Situation beängstigend. Für Arbeitnehmer sind die Aussichten gut.
Der Fachkräftemangel in vielen Branchen ist nach Ansicht des Chefs der Arbeitsagentur für Sachsen-Anhalt und Thüringen, Markus Behrens, nur durch Zuwanderung zu lösen.
"Ohne Zuwanderung wird es in Zukunft nicht gehen", sagte Behrens der Deutschen Presse-Agentur. In den kommenden Jahren werde sich der Arbeitskräftemangel in Sachsen-Anhalt und Thüringen noch verstärken, weil viele ältere Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen. Die beiden Länder seien deutschlandweit mit am stärksten davon betroffen.
Wie schätzen Sie die aktuelle Arbeitsmarktsituation ein und was sind die Prognosen für 2024?
Markus Behrens: 2023 war wirtschaftlich schwierig mit Stagnation, hoher Inflation und steigenden Zinsen. Es gab eine schwache Auslandsnachfrage und die Wirtschaft hat sich langsamer erholt als erwartet. Wir sehen auch saisonbereinigt einen Anstieg der Arbeitslosigkeit, das hatten wir lange nicht. Trotzdem muss ich sagen: Der Arbeitsmarkt ist trotz der schlechten Konjunktur immer noch relativ stabil.
Fachkräftemangel in Sachsen-Anhalt und Thüringen: "Gesundheitswesen ist beängstigend"
Gibt es Branchen, die besonders betroffen sind?
Behrens: Verschiedene Branchen erleben Veränderungen. Das Baugewerbe etwa, beeinflusst durch den Rückgang beim privaten Wohnungsbau und steigende Materialpreise. Und dann erleben wir Verschiebungen. Der Einzelhandel geht zurück, während Logistik aufgrund veränderter Einkaufsgewohnheiten wächst. Aber Arbeitgeber halten ihre Mitarbeiter, auch weil sie wissen, dass neues Personal schwer zu finden ist.
Der Fachkräftemangel trifft alle Branchen, oder?
Behrens: Im Gesundheitswesen ist es fast schon beängstigend, da fehlt es an allem: Krankenschwestern, Ärzte, Pfleger. Aber eigentlich hören wir das überall. Ich würde nicht einmal von Fachkräftemangel sprechen, sondern wir haben einen flächendeckenden Arbeitskräftemangel. Das war vor drei bis fünf Jahren noch anders. Und das wird sich durch die demografische Entwicklung noch verstärken. Wir haben in Sachsen-Anhalt und Thüringen die höchsten Rückgänge beim sogenannten Erwerbspersonenpotenzial. Die Babyboomer steigen aus und für zwei Aussteiger kommt nur ein Einsteiger nach, weil wir so wenig junge Leute haben. Ohne Zuwanderung wird es in Zukunft nicht gehen.
Aber woher sollen diese Arbeitskräfte kommen?
Behrens: Wichtig ist es, Strukturen zu schaffen und dass die Menschen im Ausland auf einen Blick wissen, was sie erwartet. Das fängt aber auch bei den Unternehmen an, die uns als Arbeitsagentur ihren Bedarf mitteilen müssen. Darüber hinaus müssen wir Hilfen ausbauen, wie wir sie mit den Job-Buddys schon gut etabliert haben. Ich bezeichne das als "Kümmerer", die helfen, die Leute hier dauerhaft zu integrieren. Das geht los bei der Kontoeinrichtung über den Sportverein, und, und, und. Wir sind aktuell dabei Elektrofachkräfte aus Kolumbien anzuwerben, wir haben bestehende Projekte mit Mexiko und Jordanien bei Ärzten. Ärzte sind aktuell wie Goldstaub. Wir führen Gespräche mit Indien, den Philippinen, Vietnam, Usbekistan ist neu dazu gekommen.
Arbeitsagentur-Chef Markus Behrens im Interview: "Es fehlen nicht Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte"
Aber wir hätten doch mit den Menschen aus der Ukraine hier gute Möglichkeiten? Wieso klappt da die Integration in den Arbeitsmarkt noch nicht?
Behrens: Grundsätzlich haben die Ukrainer es leichter als die Menschen aus Syrien, die ab 2015 gekommen sind. Alleine, was Kultur, Ausbildungen und die Anerkennungen betrifft. Trotzdem liegt die Beschäftigtenquote bei den Ukrainern aktuell bei 19,1 Prozent. Bei den Asylherkunftsländern sind es 34,7 Prozent.
Also bei Menschen aus Syrien oder Afghanistan. Ukrainer müssen kein Asylverfahren durchlaufen.
Behrens: Man muss aber auf die Zeiträume gucken und die Zahl der Ukrainer in Arbeit wird steigen. Wir wollen im nächsten Jahr verstärkt Arbeitgeber und Menschen aus der Ukraine zum Beispiel über Messen in den Regionen zusammenbringen. Und vielleicht muss es auch Möglichkeiten geben, schneller in Arbeit zu kommen und nicht erst den zweiten oder dritten Sprachkurs zu machen, bevor es in den Job geht, sondern das dann parallel zu machen. Wir müssen auch schon klar machen: Arbeit ist der Standard.
Welche Trends und Veränderungen sehen Sie im Arbeitsmarkt der Zukunft?
Behrens: Es gibt einen grundlegenden Wandel durch Digitalisierung und Automatisierung, wie wir ihn in unserem Beobachtungszeitraum in den letzten 30 Jahren nicht hatten. Der Arbeitsmarkt muss sich anpassen, um diese Veränderungen zu bewältigen. Wir weisen ja immer das Potenzial aus, wie viele Beschäftigte durch Technik ersetzt werden können. Da liegen wir in Thüringen und Sachsen-Anhalt bei rund einem Drittel. Und wir gewinnen da alle drei bis vier Jahre gut zehn Prozentpunkte dazu. Die Entwicklung ist enorm. Neben der Technik und dem demografischen Wandel kommen dann ja noch politische Entscheidungen hinzu, wie der Kohleausstieg und das Ende des Verbrennermotors beim Auto, was eine ganze Branche verändert. Wer neu einsteigt ins Berufsleben, der hat viele Möglichkeiten. Beim Thema Ausbildung haben wir aktuell rosige Zeiten.
Titelfoto: Bildmontage: Christoph Schmidt/dpa, Simon Kremer/dpa