Tausende namenlose Tote: Doch wer sind diese Opfer des Zweiten Weltkrieges?
Mainz - In 42 langen Gräberreihen liegen Tausende namenlose Tote. Am Ende der Wiese auf dem Waldfriedhof in Mainz-Mombach steht ein Gedenkstein mit den russischen Worten: "Hier sind begraben 3330 sowjetische Bürger, gestorben in faschistischer Sklaverei".
Nicht genannt sind die tschechischen und polnischen Zwangsarbeiter, deren sterbliche Überreste von 1947 bis 1950 aus ganz Rheinland-Pfalz dorthin umgebettet wurden.
"Da gibt es eine Schieflage in der Erinnerung", sagt der Mainzer Historiker Christof Schimsheimer, der an einem jetzt gestarteten Forschungsprojekt des Deutschen Polen-Instituts mitwirkt. Vielfach seien Menschen unterschiedlicher slawischer Herkunft pauschal als "die Russen" bezeichnet worden - "das ist eine Verengung, die über Jahrzehnte bis heute fortgeschrieben wurde".
Das Projekt trägt die Bezeichnung "Lebenszeichen: Polen und der Zweite Weltkrieg – eine Spurensuche in Rheinland-Pfalz und im Saarland". Es gebe eine "Leerstelle des Erinnerns", sagt Institutsleiter Peter Oliver Loew.
Für den Start der historischen Spurensuche wurden diese beiden Bundesländer ausgewählt, weil es dort besonders wenige Hinweise auf Polinnen und Polen in der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit gibt.
Loew stellte das Projekt in den Kontext des Bundestagsbeschlusses vom Herbst vergangenen Jahres, in Berlin einen "Ort des Erinnerns und der Begegnung" zur deutsch-polnischen Geschichte einzurichten.
Vielfach wurden Menschen unterschiedlicher slawischer Herkunft pauschal als "die Russen" bezeichnet
"Wir wollen von den materiellen Spuren wie Gedenksteine, Tafeln oder besondere Gebäude ausgehen und dann die hinter den Steinen stehenden Geschichten von Menschen entdecken", sagt Projektleiterin Julia Röttjer.
In den meisten Fällen gehe es dabei um Zwangsarbeit in ihren verschiedenen Formen in der Landwirtschaft und in Fabriken der Rüstungs- oder Chemie-Industrie.
Nach einer Zählung vom Herbst 1944 gab es in Rheinland-Pfalz 131.000 Zwangsarbeiter aus verschiedenen Ländern, im Saarland 70.000 - dort vor allem in der Industrie eingesetzt. Unter ihnen waren schätzungsweise auch Zehntausende aus Polen.
Das Projekt sieht in den erhaltenen Gedenkorten nicht nur "Spuren von Opfern des menschenverachtenden NS-Regimes, sondern auch Spuren von handelnden Subjekten, die aus ihrer früheren Existenz gerissen wurden, um ihr Überleben kämpften, sich arrangierten, interagierten, Pläne schmiedeten, Heimweh hatten, hier lebten".
In Gabsheim (Kreis Alzey-Worms) erforscht Schimsheimer das Schicksal von Pjotr Flaszowski, der als Kriegsgefangener zur Arbeit in der Landwirtschaft gezwungen wurde.
Im Herbst 1944 gab es in Rheinland-Pfalz 131.000 Zwangsarbeiter, im Saarland 70.000
Ein historisches Foto zeigt ihn bei der Kartoffelernte. Er überlebte den Krieg und blieb bis zu seinem Tod im Jahr 1974 in Gabsheim - ohne je seine Frau oder seine zwei Kinder in Galizien wiederzusehen, das nach dem Krieg Teil der Sowjetunion wurde.
In Stadecken-Elsheim (Kreis Mainz-Bingen) wurde im Mai 1942 der Zwangsarbeiter Leon Szczepaniak hingerichtet, wegen der verbotenen Beziehung zu einer Deutschen. Die junge Frau kam deswegen eineinhalb Jahre in Haft. Auf Anregung des katholischen Pfarrers und durch Beschluss des Gemeinderats wurde 1975 ein Gedenkstein auf dem Friedhof zur Erinnerung an Leon Szczepaniak errichtet.
Bislang sind etwa 50 solcher Erinnerungsorte an polnische Menschen in Rheinland-Pfalz und im Saarland erfasst. Die Forscher wenden sich mit der Bitte an die Bevölkerung, weitere Erinnerungsorte anzugeben.
Gesucht werden Hinweise auf das Schicksale von Polinnen und Polen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, Spuren der Erinnerung wie Gedenksteine und Tafeln, Fotos und Dokumente wie Briefe oder Karten sowie Zeitzeugen aus der Region.
Die Ergebnisse sollen auf der digitalen Karte des Online-Portal Porta Polonica veröffentlicht werden.
Titelfoto: Peter Zschunke/dpa-Zentralbild/dpa