Presse-Zensur? Aiwanger lässt unangenehme Fragen aus Exklusiv-Interview entfernen
Augsburg/München - Hat Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger unangenehme Fragen aus einem Interview streichen lassen? Dieser Vorwurf kommt nun von der Quelle selbst: der "Augsburger Allgemeinen".
Das Blatt hatte mehrere Fragen an den Freie-Wähler-Chef zur sogenannten "Flugblatt-Affaire" gestellt. Es war sogar ein Exklusiv-Interview, das der Politiker zu geben bereit war.
Dann begann der übliche Vorgang des Autorisierens durch den Befragten. Dies ist gängige Praxis bei Politikern aber beispielsweise auch Künstlern oder Unternehmenssprechern.
Damit soll verhindert werden, dass unglückliche Formulierungen auf Papier gedruckt und verbreitet werden.
Beispiel: Im allgemeinen Sprachgebrauch werden "kostenlos" und "umsonst" oft als Synonyme verwendet. Die Sätze "Deine Ausbildung war kostenlos" und "Deine Ausbildung war umsonst" haben jedoch völlig unterschiedliche Bedeutungen.
Um sprachliche oder inhaltliche Fauxpas, die während eines Gesprächs versehentlich passieren können, vor der Veröffentlichung zu korrigieren, gibt es also dieses Vorgehen.
Das Abändern oder gar Streichen ganzer Interviewpassagen sind hierbei aber keine Regel. Und genau das hat Aiwanger laut der "Augsburger Allgemeinen" getan. Nun hat das Blatt sämtliche Fragen, bei denen Aiwanger im Nachhinein den Rotstift angesetzt hat, veröffentlicht.
Hubert Aiwanger streicht Fragen über "einschneidendes Erlebnis" und Bruder
Unter anderem war dabei auch folgender Vorhalt:
"Was uns überrascht hat, ist, dass Sie sich an so viele Dinge nicht mehr erinnern können, wo es doch ein so einschneidendes Erlebnis war in Ihrer Jugend."
Angespielt wird dabei auf die 25 Fragen, die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (56, CSU) von Aiwanger zu den Themen rund um das antisemitische Flugblatt aus Schulzeiten beantwortet haben wollte.
In den ersten 22 Fragen wich Aiwanger fast durchgehend mit schwammigen Formulierungen aus oder gab an, sich nicht erinnern zu können.
Bei Frage 23 ("Welche Konsequenzen haben Sie damals aus der Angelegenheit für sich persönlich gezogen?") schrieb er dann jedoch: "Der Vorfall war ein einschneidendes Erlebnis für mich. Er hat wichtige gedankliche Prozesse angestoßen."
Das angebliche "nicht erinnern" in Kombination mit dem "einschneidenden Erlebnis" wurde von vielen Politikern, aber auch Podcastern, Journalisten und Usern Sozialer Medien kritisiert.
Ebenfalls gestrichen wurde die Frage, ab wann Aiwanger gewusst habe, dass sein Bruder für das Flugblatt verantwortlich gewesen wäre. Die Streichungen wurden kurz vor Redaktionsschluss versucht und seien entgegen den Absprachen unternommen worden, heißt es.
Der Bayerische Journalistenverband lobte auf X/Twitter den Umgang der Zeitung mit dem Vorfall: "Interview-Autorisierung dient nicht dazu, dass Politiker sich Antworten auf unangenehme Fragen nachträglich entziehen. Gut, dass die @AZ_Augsburg diesen Eingriff von #Aiwanger transparent macht."
Titelfoto: Sven Hoppe / POOL / AFP