Warum mangelt es in Bayern an Pflegeeltern?

Weitnau - Menschen wie Alexander und Gisela Merz sind begehrt bei bayerischen Jugendämtern.

Alexander Merz (r.) und seine Frau Gisela Merz spielen mit ihrem 10-jährigen Pflegekind Alois im Schnee.
Alexander Merz (r.) und seine Frau Gisela Merz spielen mit ihrem 10-jährigen Pflegekind Alois im Schnee.  © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Das Ehepaar aus Weitnau im Allgäu nimmt seit 16 Jahren immer wieder Pflegekinder auf, derzeit sind es fünf.

Sie alle wurden von Jugendämtern in Obhut genommen, weil sie bei ihren leiblichen Eltern Gefahren ausgesetzt oder verwahrlost waren. Ihnen wollen Alexander und Gisela Merz ein stabiles Zuhause bieten - allen Schwierigkeiten zum Trotz.

"Es ist schon oft ein Kampf", sagt Gisela Merz. Die 50-Jährige kümmert sich um die fünf Pflegekinder.

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Alle brächten eigene Schwierigkeiten mit - etwa eine Nahtoderfahrung oder Folgeschäden von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft, sagt sie.

Menschen zu finden, die Pflegekinder aufnehmen wollen und können, wird für Jugendämter in Bayern zunehmend schwieriger. Die Gewinnung von Pflegeeltern sei "ein Dauerposten", sagt der Sprecher des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS), Michael Neuner.

Während die Zahl in Obhut genommener Kinder gestiegen sei, sei die Zahl der Bewerbungen um Pflegekinder im Freistaat gesunken.

Gleichzeitig warten Interessierte teilweise jahrelang auf das erste Pflegekind. Das liegt unter anderem daran, dass Bewerber sehr genau angeben können, welche Kinder sie betreuen wollen: Alter, Geschwisterkind, mit oder ohne Behinderung.

Je nach Antwort kann eine Vermittlung einige Zeit dauern - zumal die Ansprüche interessierter Pflegeeltern gestiegen sind, wie das ZBFS mitteilt.

Zuständigkeit der Jugendämter bereitet Pflegeeltern Schwierigkeiten

Ehepaar Merz und Alois spielen zusammen im Kinderzimmer.
Ehepaar Merz und Alois spielen zusammen im Kinderzimmer.  © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

"Das hört sich nach einem Wunschzettel oder einem Katalog an", sagt Susanne Schneider-Flentrup vom Nürnberger Jugendamt. "Es geht aber darum, abzuklopfen, was sich die Pflegefamilie zutraut." Auch die Jugendämter selbst prüfen eingehend, ob die Bewerber geeignet sind - unter anderem mit Gehaltsnachweisen und Hausbesuchen.

Allerdings können die 96 Jugendämter im Freistaat dabei in der Regel nur vor Ort und in der Umgebung nach Familien suchen. Dabei gibt es in Großstädten wie Nürnberg nach Angaben der Jugendämter oft weniger Bewerber als im ländlichen Raum, zum Beispiel im Oberallgäu.

Bayernweite Zahlen dazu gibt es nach Angaben des ZBFS nicht. Es könne aber "vermutet werden, dass es im großstädtischen Raum zusätzliche Schwierigkeiten gibt", sagt Sprecher Neuner. Ein Grund sei vor allem der Mangel an Wohnraum. Viele Jugendämter kooperieren deshalb bei der Suche mit benachbarten Behörden.

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Die Zuständigkeit der Jugendämter vor Ort bereitet auch Pflegeeltern Schwierigkeiten - zum Beispiel, wenn die leiblichen Eltern umziehen. Innerhalb der ersten zwei Betreuungsjahre wechselt dann auch die Zuständigkeit an das für den Wohnort der leiblichen Eltern zuständige Jugendamt. Das Ehepaar Merz erhielt deshalb im Fall einer Pflegetochter nach eigenen Angaben Post von Jugendämtern im Landkreis Oberallgäu, in Kempten und in Regensburg.

"Je nachdem, wie das jeweilige Jugendamt es auslegt, gibt es dann auch unterschiedlich hohe oder gar keine Zulagen für Kinder mit besonderem Pflegebedarf", sagt Alexander Merz.

Als Vorsitzender des Landesverbands der Pflege- und Adoptivfamilien in Bayern fordert er einheitlichere Regeln und mehr Rechte für Pflegeeltern.

Leiblichen Eltern haben nach der Inobhutnahme ihrer Kinder immer noch mitzureden

Alexander Merz (l.) und seine Frau Gisela Merz sitzen gemeinsam mit ihrem 10-jährigen Pflegekind Alois in ihrem Wohnzimmer.
Alexander Merz (l.) und seine Frau Gisela Merz sitzen gemeinsam mit ihrem 10-jährigen Pflegekind Alois in ihrem Wohnzimmer.  © Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Denn oft haben die leiblichen Eltern nach der Inobhutnahme ihrer Kinder immer noch viel im Alltag mitzureden - bei Arztbesuchen, Auslandsaufenthalten, der Gestaltung der Sommerferien.

"Eine unserer Pflegetöchter hat von ihrem Vater nicht erfahren, wo er gerade wohnt", sagt Gisela Merz. "Gleichzeitig durfte er verhindern, dass sie unseren Nachnamen annehmen darf."

Absprachen mit den leiblichen Eltern, Vormündern, dem Jugendamt und Familienrichtern - all das nimmt viel Zeit in Anspruch und kann einige Nerven kosten. Manche leiblichen Eltern seien sehr kooperativ und bemüht, in anderen Fällen komme es auch mal zu Bedrohungen oder Beschimpfungen, erzählt Gisela Merz. "Ein leiblicher Vater hat mich schon mal die Treppe hinuntergestoßen."

Wegen des Aufwands kümmere sich in vielen Pflegefamilien ein Elternteil in Vollzeit um die Kinder, sagt Landesverbandschef Alexander Merz. Auch deshalb sei die finanzielle Hilfe des Staates nicht so üppig, wie es auf den ersten Blick wirke. Von 884 Euro pro Monat, die Pflegeeltern nach Angaben des ZBFS für ein bis zu sechs Jahre altes Kind erhalten, dienen 534 Euro dem Unterhalt. Als "Erziehungsbeitrag" zur ehrenamtlichen Tätigkeit gibt es 350 Euro.

Reich werde man damit nicht, sagt Merz. "Aber es hat sich in den vergangenen Jahren finanziell schon viel getan." Und trotz aller Schwierigkeiten seien seine Frau und er gern Pflegeeltern. "Wenn einem die Kinder etwas zurückgeben, weiß man wieder, warum man das macht", sagt Gisela Merz.

"Zum Beispiel, wenn die Tochter nach drei Jahren fragt, ob sie uns Papa und Mama nennen darf. Für andere sind das vielleicht Kleinigkeiten, für uns bedeutet es aber enorm viel."

Titelfoto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

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