Kleine Enna hat wahren Todeskampf hinter sich: Gibt sie krebskranken Kindern jetzt neue Hoffnung?

Erzhausen/Heidelberg - Sie wirft die Arme hoch, hüpft und dreht sich zur Musik im Kreis. Enna mit den wilden braunen Locken ist ein Wirbelwind. Die Siebenjährige aus Südhessen wärmt sich auf für das Training der Dancing Moskitos. Das sind Gardemädchen, für die mit dem Karneval die turbulenteste Zeit des Jahres beginnt. Dort tobt sich auch Enna mit Gleichaltrigen aus. Nichts deutet darauf hin, dass das lebhafte Mädchen einen jahrelangen Leidensweg hinter sich hat.

Daniela Bilke (l.) und ihre beiden Töchter Enna (6, M.) und Luisa sitzen in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa.
Daniela Bilke (l.) und ihre beiden Töchter Enna (6, M.) und Luisa sitzen in ihrem Wohnzimmer auf dem Sofa.  © Uwe Anspach/dpa

Kurz vor Ennas viertem Geburtstag erhielten sie, ihre Eltern und ihre eineinhalb Jahre ältere Schwester Luisa eine Hiobsbotschaft, die ihr Leben total veränderte. Enna hatte zuvor über Übelkeit mit Erbrechen und Kopfschmerzen geklagt.

Die Erstdiagnose kindliche Migräne stellte sich als Irrtum heraus, als ein unübliches Wachstum des Kopfes nicht mehr zu übersehen war. Die Magnetresonanztomografie (MRT) brachte dann die traurige Gewissheit: Gehirntumor.

"Es war furchtbar, ich konnte nicht mehr atmen, ein beginnender Albtraum", erinnert sich Ennas Mutter Daniela vor dem Weltkrebstag am 4.2. an die ersten Momente nach Erhalt der Nachricht. In dieser Zeit sei sie in Todesangst um ihr Kind gewesen.

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Kein Wunder, da Krebserkrankungen bei Minderjährigen sehr selten und mangels kindgerechter Medikamente schwer zu behandeln sind. Ennas Tumor gehört zu den Krebserkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS), wie der Kinderonkologe Olaf Witt erläutert.

"Gliome wie Enna eines hat, sehen wir bundesweit vier, fünf Mal im Jahr", fügt der Mediziner vom Hopp-Kindertumorzentrum (Kitz) in Heidelberg hinzu. Nach Blutkrebs mit fast 30 Prozent stellen die ZNS-Tumore die zweithäufigste Krebsart bei Kindern und Jugendlichen mit einem Anteil von nahezu einem Viertel.

Für die Familie änderte sich nach Ennas Krebsdiagnose der Alltag radikal. "Ich blieb ein Jahr zu Hause, Enna brauchte eine Eins-Zu-Eins-Betreuung, sie konnte wegen der Chemotherapie ja nicht mal die Treppe rauflaufen", erzählt die 40-jährige Sportwissenschaftlerin.

Aus Solidarität zu schwer kranker Tochter: Eltern von Enna rasierten sich die Haare ab

Die mutige Enna hat einen jahrelangen und kräftezehrenden Kampf gegen den Krebs hinter sich.
Die mutige Enna hat einen jahrelangen und kräftezehrenden Kampf gegen den Krebs hinter sich.  © Uwe Anspach/dpa

Vater Christoph half in den ersten Monaten aus. Enna verlor wegen der Chemotherapie innerhalb weniger Tage all ihre Haare. Aus Solidarität mit ihrem Kind rasierten sich die Eltern den Kopf, Luisa schnitt sich in Verbundenheit mit ihrer Schwester eine Haarsträhne ab.

Der Stolz der beiden Mädchen ist eine riesige Stofftiersammlung. Bei jedem Krankenhausaufenthalt begleitet eines der über 100 Exemplare die kleine Patientin. Ihr Favorit ist ein großer Pinguin: "Der kann sprechen und sich bewegen und Küsschen geben", schwärmt die Erstklässlerin.

Das Kinderkrebsregister zählt jährlich 2000 Fälle von Krebsneuerkrankungen bei Minderjährigen. Zum Vergleich: 500.000 sind es bei Erwachsenen. Zwanzig Prozent der jungen Patientinnen und Patienten sterben an den bösartigen Wucherungen. Bei Rückfall von Gehirntumoren sind es sogar 90 Prozent.

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Hinzu kommt, dass sich die Tumore von Kindern und Jugendlichen in sehr viele Untergruppen aufteilen lassen. ZNS-Tumore etwa haben über 160 Untergruppen. Das ist Fluch und Segen zugleich. Witt, Direktor Translationale Kinderonkologie am Kitz:

"Wegen der geringen Patientenzahlen sind Studien schwierig zu realisieren und müssen häufig in aufwendigen internationalen Kooperationen durchgeführt werden. Andererseits werden immer wieder Unterformen gefunden, die gut auf Medikamente ansprechen."

Selbst Krebsrückkehr warf Kämpferin Enna nicht aus der Bahn

Auch der Zusammenhalt mit ihrer Schwester half Enna enorm.
Auch der Zusammenhalt mit ihrer Schwester half Enna enorm.  © Uwe Anspach/dpa

Auch Ennas Gliom, verursacht durch einen Gendefekt, gehört zu jenen Gewebeveränderungen, die auf bestimmte Arzneimittel reagieren. "Das ist wie ein Sechser im Lotto", meint Witt. Von mehr als 20.000 untersuchten Genen im Erbgut des Tumors war nur ein einziges defekt und für das Wachstum verantwortlich.

Dieses Gen ist also eine Art Achillesferse des Tumors, die genutzt werden kann, um ihn mit Medikamenten gezielt abzutöten. Diese Identifikation von Tumor-Schwachstellen ist nur mit aufwendigen molekularen Verfahren möglich, wie sie in der INFORM-Studie des Kitz eingesetzt werden.

Für Witt ist die Entwicklung neuer Medikamente speziell für Kinder vordringlich. "Denn Tumore bei Kindern unterscheiden sich erheblich von denen bei Erwachsenen und benötigen eine darauf abgestimmte Arzneimittelentwicklung."

Und die kleinen Märkte für seltene Krebsarten machen die Entwicklung für Pharmafirmen sehr teuer. Witt forderte mehr Bereitschaft der Unternehmen, bei der Entwicklung von Krebs-Arzneimitteln für Erwachsene solche für Kinder mitzuentwickeln.

Enna profitierte von den neuen molekularen Analysemethoden im Rahmen von INFORM. Das Programm hat mittlerweile Tumore von über 3000 jungen Krebspatienten aus 13 Ländern untersucht, bei denen Standardtherapien nicht mehr anschlagen.

Enna wurden nach vier Monaten Chemotherapie und elfstündiger Operation 96 Prozent des Tumors entfernt. Etwa 200 Gramm fremdes Gewebe hatte sich im Kopf des Kindes breit gemacht. Ein Jahr hatte die Familie Ruhe, dann meldete sich der Tumor aber zurück.

"Mein Tumi hat einen Freund gekriegt", so kommentierte Enna damals in kindlicher Unbeschwertheit den Rückfall.

Nebenwirkungen beschränkten sich bei Enna auf leichte Gewichtszunahme

Enna ist der beste Beweis dafür, dass eine Krebsdiagnose kein Todesurteil sein muss.
Enna ist der beste Beweis dafür, dass eine Krebsdiagnose kein Todesurteil sein muss.  © Uwe Anspach/dpa

Zu diesem Zeitpunkt stand in Heidelberg ein Medikament im Rahmen einer klinischen Studie zur Verfügung, das auf die gefundene Achillesferse in Ennas Tumor passt. Das Mittel hat innerhalb eines guten Jahres den Tumor auf Rosinengröße schrumpfen lassen.

Anderen Eltern rät Daniela eine offene Kommunikation. Eine WhatsApp-Gruppe informiert Freunde und Familie über Ennas Gesundheitszustand. "Dann müssen wir nicht immer alles mehrfach berichten und alle sind auf dem aktuellsten Stand", sagt die Mutter, deren Locken - wie auch bei Enna - inzwischen nachgewachsen sind.

Witt gibt betroffenen Eltern den Rat, insbesondere bei seltenen Tumorerkrankungen in jedem Fall eine Zweitmeinung von einem erfahrenen Expertenteam einzuholen. Dafür sei die Kinderonkologie in Deutschland gut aufgestellt und vernetzt.

Bei Enna beschränken sich mögliche Nebenwirkungen bislang auf eine leichte Gewichtszunahme.

Daniela ist mehr als ein Stein vom Herzen gefallen. "Enna lebt, und sie bleibt am Leben. Das ist ein ganz großes Glück." Sie freut sich, dass ihre Tochter trotz aller Pein ihr sonniges Gemüt behalten hat. "Sie kann ein ganz normales glückliches Leben führen mit Sport, mit Hobbys und Freunden." Daniela hofft, dass Enna in drei oder vier Jahren komplett tumorfrei ist.

Eines ist für sie nach den anfänglichen Ängsten aber jetzt schon klar: "Eine Krebsdiagnose ist noch kein Todesurteil."

Titelfoto: Uwe Anspach/dpa

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