Maskierter Schurke? Waschbären werden zunehmend zum Problem

Kassel/Fulda - Plötzlich stehen sie auf der Straße in Kassel. Drei Waschbären, mitten in der Stadt, offenbar Jungtiere.

Ein süßes Problem: Waschbären haben längst die Städte erobert (Symbolfoto).
Ein süßes Problem: Waschbären haben längst die Städte erobert (Symbolfoto).  © Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Erschrocken springt die Bande vor einem Radfahrer auseinander, zwei Tiere flitzen auf das Gelände eines Autohauses, das dritte stellt sich weniger klug an: Es klettert erst umständlich auf einen Zaun, dann wieder herunter. 

Schließlich läuft es quiekend über das Gelände, offenbar auf der Suche nach den Artgenossen.

Begegnungen wie diese sind aktuell keine Seltenheit in Kassel. Egal ob im Park oder im Biergarten - die putzigen Raubtiere mit der maskenartigen Fellfärbung am Kopf sind momentan sehr aktiv. In Kassel, oft auch als "Hauptstadt der Waschbären" bezeichnet, ist man das gewohnt. Von 100 Tieren auf 100 Hektar geht der Landesjagdverband Hessen aus. Normal seien anderenorts vier Tiere auf so einer Fläche.

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Waschbären sind in vielen Teilen Hessens wieder Thema. Denn laut der Jägerschaft werden sie immer mehr: "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Anrufe wir hinsichtlich der Population im Stadtgebiet bekommen", sagt Rudolf Leinweber, Vizepräsident des Landesjagdverbandes aus Fulda. 

Die putzigen Tiere können enormen Schaden anrichten

im Kreis Kassel verwüstete ein Waschbär ein komplettes Büro.Heimische Arten
im Kreis Kassel verwüstete ein Waschbär ein komplettes Büro.Heimische Arten  © Polizeipräsidium Nordhessen/dpa

Wenn die Raubtiere in Dachstühlen sesshaft würden und immense Schäden über Tausende Euro anrichteten, "dann hört auch für Leute, die tierschutzaffin sind, der Spaß auf". Bekannt werden meist nur die größeren Fälle, beispielsweise als ein Waschbär 2019 im Kreis Kassel ein Büro verwüstete und 10.000 Euro Schaden anrichtete.

Dabei dürfen junge Waschbären in Hessen seit Februar ganzjährig gejagt werden. "Wenn man ein Jungtier sieht, macht es keine Laune, es zu töten", erklärt Leinweber. Doch die Jäger kämen ihrer Pflicht nach. Eigentlich gilt der Abschuss aber als unattraktiv: Wer auf den Waschbären schießt, bekommt erstmal kein anderes Tier vor das Gewehr. Der Abschuss in Städten ist wegen des Risikos so gut wie unmöglich. Für erwachsene Tiere gilt zudem eine Schonzeit von März bis Juli.

Rund 29.000 Waschbären wurden laut Leinweber im vergangenen Jahr in Hessen geschossen. Das ist bisher der zweithöchste Wert. Nur im Jagdjahr 2012/2013 waren es ein paar Tiere mehr. Für die Jäger ist das ein Zeichen, dass die Population wächst. Die sogenannten Jagdstrecken sind eines der wenigen Mittel, Bestände abzuschätzen. Bestands-Zählungen gibt es nicht.

Haben sich die Waschbär-Reviere verkleinert?

Der Waschbär setzt den heimischen Arten immens zu (Symbolfoto).
Der Waschbär setzt den heimischen Arten immens zu (Symbolfoto).  © Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Die Jagdstrecken zeigen, dass neben Nordhessen auch in Ost-, West- und Mittelhessen immer mehr Tiere geschossen werden. Der Naturschutzbund Nabu zweifelt an der Aussagekraft. "Jagdstrecken sind nur ein vager Hinweis", sagt Sprecher Berthold Langenhorst. Mehr Abschüsse bedeuteten nicht zwangsläufig, dass sich die Bestände erhöht hätten. "Waschbären haben Reviere, wenn die Reviere besetzt sind, müssen die Jungtiere auswandern." Deswegen breiteten sich die Raubtiere weiter aus, die Bestände stiegen dadurch nicht an.

Allerdings sei es durchaus möglich, dass Reviere kleiner würden - beispielsweise wenn das Nahrungsangebot wachse. Von der flächendeckenden Jagd halten Naturschützer trotzdem wenig: Wenn die Tiere getötet würden, wachse die Population, um das auszugleichen. "Es wird geschossen und geschossen und die Bestände werden nicht geringer", erklärt Langenhorst.

Dass der Waschbär zum Problem für andere Tiere werden kann, ist unstrittig. Der Räuber holt sich die Eier von Bodenbrütern wie dem fast ausgestorbenen Kiebitz. "Das ist wirklich ein Problem, wenn sich der Waschbär die letzten verbliebenen Kiebitz-Eier holt", sagt Langenhorst. Es könne daher örtlich durchaus sinnvoll sein in Rahmen eines Wildtiermanagements gegen den Waschbären mit Fallen vorzugehen. Schuld am Aussterben des Kiebitz sei aber eigentlich der Verlust von Lebensraum. "Es ist nicht der Waschbär, der den Kiebitz umbringt."

Nur wenige Kammerjäger gehen gegen Waschbären vor

Auch mit Menschen geraten die Kletterkünstler aneinander. Mit einem Anstieg der Waschbärenpopulation sei naturgemäß auch von einer Zunahme von durch Waschbären verursachten Schäden an Immobilien auszugehen, sagt Younes Frank Ehrhardt, Geschäftsführer von Haus & Grund Hessen. Der Verbandes werde durch seine Mitglieder regelmäßig mit wiederkehrenden Fragestellungen zu Waschbär-Schäden konfrontiert. Eine Zunahme von Fällen lasse sich daraus bisher aber nicht ableiten.

Laut dem Verband Deutscher Schädlingsbekämpfer in Hessen gehen bisher nur wenige Kammerjäger auch gegen Waschbären vor. Die meisten machten es nicht oder nur ungern, weil Wissen über effektive Methoden fehle, erklärt der Vorsitzende Björn Kleinlogel. Der Darmstädter bekämpft Waschbären und hat nach eigenen Angaben mehr zu tun als früher. Kleinlogel setzt dabei auf elektrische Anlagen, die den Tieren einen Schlag verpassen. 

Mit diesen könne man beispielsweise Regenfallrohre sichern. Denn an einer Hauswand kämen die Waschbären nicht hoch. "Es ist viel besser, das Gebäude zu schützen, als das Tier zu töten, denn das nächste Tier macht die gleichen Probleme."

Titelfoto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

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