Seit einem halben Jahr auf der Flucht: Häftling nutzt Ausflug zum Baggersee
Germersheim - Nach 4576 Tagen hinter Gittern nutzt er einen entscheidenden Moment: Er kann seinen Bewachern bei einem Ausflug an den Baggersee in Germersheim entkommen, seine Fußfessel zertrennen und scheint seitdem wie vom Erdboden verschluckt.
Ist der verurteilte Mörder aus dem Bruchsaler Gefängnis von der Südpfalz aus ins Ausland geflohen?
Vom Baggersee zur französischen Grenze sind es lediglich etwas mehr als 30 Kilometer. Oder konnte der damals 43-Jährige in Deutschland unterschlüpfen?
Das Landeskriminalamt gibt sich bedeckt: "Wir gehen nach wie vor einer Reihe von Hinweisen nach", sagte eine Sprecherin. Deren Zahl habe aber nachgelassen. Ganz verstummt ist der Mann auf der Flucht aber nicht: Wiederholt hat er kurze Videos an Medienhäuser geschickt, in denen er sich als Justizopfer sieht und eine Wiederaufnahme seines Verfahrens erreichen will.
Pannen bei der sogenannten Ausführung sollen die Flucht des Mannes trotz der Überwachung durch zwei Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt möglich gemacht haben, räumte das Justizministerium nach dem Zwischenfall ein. Die beiden Disziplinarverfahren gegen die am Baggersee eingesetzten Bediensteten der JVA Bruchsal laufen noch. "Die beiden Beamten sind anwaltlich vertreten", sagte eine Sprecherin des Ministeriums.
Die Flucht des Mannes und eine weitere Flucht eines Strafgefangenen wenig später hatten Justizministerin Marion Gentges in Bedrängnis gebracht. Die CDU-Politikerin hatte sich unter anderem im Landtag gegen die Kritik verteidigt und schärfere Regelungen für Ausführungen angekündigt. Demnach sollen Gefangene grundsätzlich erst unmittelbar vor dem Verlassen der Anstalt informiert werden. Erst als Erlass vorgegeben, sollen die Änderungen laut Ministerium im nächsten Schritt in die Verwaltungsvorschrift zum Justizvollzugsgesetzbuch aufgenommen werden.
Weiterer Inhaftierter nutzte einen Arztbesuch zum Ausreißen
Nur wenige Wochen nach der Panne am Baggersee hatte ein weiterer Häftling Mitte Dezember einen Arztbesuch im Klinikum Ludwigshafen zur Flucht genutzt.
Ein Komplize hatte vor Ort gewartet, mit einer Schreckschusspistole einen Schuss in die Luft abgegeben und war mit dem Häftling auf einem Motorroller geflüchtet.
Der Gefangene und der mutmaßliche Fluchthelfer waren Ende Dezember in einem Hotel in Weinheim nahe Heidelberg festgenommen worden. Eine Mitarbeiterin der JVA Mannheim steht unter Verdacht, dem Mann bei der Planung seiner Flucht geholfen zu haben.
Gegen den mutmaßlichen Komplizen und die JVA-Mitarbeiterin wird vom 21. Mai (9 Uhr) an vor Gericht verhandelt.
Dem 21-Jährigen wird unter anderem ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und unerlaubter Waffenbesitz vorgeworfen. Die Anschuldigungen gegen die 24 Jahre alte Frau lauten unter anderem auf Gefangenenbefreiung und Strafvereitelung im Amt.
Titelfoto: Uli Deck/dpa