Als "gefleckte Kuh" beschimpft: Wird Sarah-Liv jetzt schönste Frau von Deutschland?
Stuttgart - Derzeit läuft der Wettbewerb zur Miss Baden-Württemberg. Die Gewinnerin buhlt um die Krone der Miss Germany.
Unter den Finalistinnen im Südwesten ist Sarah-Liv Weyler (35). Als sie klein war, brach bei der Stuttgarterin die Weißfleckenkrankheit (Vitiligo) aus.
Trotz dieses scheinbaren Makels fehlt es der 35-Jährigen nicht an Selbstbewusstsein. TAG24 hat mit ihr über Vitiligo, Mut und den Miss-Germany-Wettbewerb gesprochen.
TAG24: Auf den Fotos Ihres Instagram-Kontos sieht man eine selbstbewusste junge Frau. War das schon immer so?
Sarah-Liv Weyler: Nein. Ich habe tatsächlich erst vor rund sechs Jahren gelernt, mich so zu akzeptieren mit der Hauterkrankung, die ich habe.
TAG24: Sie sind an Vitiligo erkrankt. Mit dem Begriff kann vielleicht nicht jeder gleich etwas anfangen. Könnten Sie die Krankheit kurz erklären?
Sarah-Liv Weyler: Vitiligo kann man auch ganz einfach "Weißfleckenkrankheit" nennen. Das ist eine Autoimmunerkrankung, heißt also: Mein Körper zerstört die eigenen Pigmente, die dafür sorgen, dass die Haut normalerweise braun wird. Und dadurch entstehen weiße Flecken auf dem ganzen Körper.
TAG24: Wie äußert sich das bei Ihnen? Gibt es etwa Bereiche, die mehr betroffen sind als andere?
Sarah-Liv Weyler: Typischerweise ist es so, dass man rund um die Gelenke und im Gesicht kreisrunde Flecken bekommt, etwa um die Augen und um den Mund.
Bei mir hat es sich seit dem vierten Lebensjahr insofern ausgeprägt, als dass mein Gesicht mittlerweile komplett weiß ist, ebenso meine Hände.
Das ist aber von Person zu Person verschieden. Ich kenne eine Frau hier im Betrieb, die ist komplett weiß geworden.
Mobbing: Als Teenie wurde sie als "gefleckte Kuh" beschimpft
TAG24: Bei Ihnen ist Vitiligo mit vier Jahren ausgebrochen. Wann haben Sie denn selbst bewusst gemerkt, dass Sie anders aussehen, als die anderen?
Sarah-Liv Weyler: Das war eher als Teenager. Im Kindesalter war es noch nicht so prägnant.
Ich hatte da ein paar Flecken am Arm, ein bisschen was am Bauch und auch ein paar im Gesicht - aber nicht so auffällig. Je älter ich aber wurde, desto mehr wurden die Flecken.
Insbesondere in der Pubertät, da war es ganz extrem. Damals fing das Vitiligo bei mir im Gesicht stark an, ich hatte wirklich kreisrunde Flecken um die Augen und den Mund.
Und da ging es dann auch damit los, dass mein Selbstbewusstsein nicht mehr vorhanden war.
TAG24: Stichwort Pubertät: In der Zeit hadert eh schon jeder mit sich selbst. Wie hat damals Ihr Umfeld reagiert, etwa in der Schule?
Sarah-Liv Weyler: Leider ist es ja immer so: Wenn man selbst nicht so selbstbewusst ist, weil man "anders" ist, dann strahlt man das auch aus. Ich wurde damals dann teils gemobbt, als "gefleckte Kuh", "Milka-Kuh" oder "Pandabär" bezeichnet.
Das hat das Ganze natürlich nochmals sehr verstärkt. Wenn man sich eh schon nicht wohl fühlt und dann noch gehänselt und gemobbt wird... das ist dann ein Teufelskreis.
TAG24: Das Selbstbewusstsein war dann also erstmal im Keller. Wie ist es Ihnen danach gelungen, sich so anzunehmen, wie Sie sind?
Sarah-Liv Weyler: Tatsächlich erst mit Ende 20. Zunächst mal hatte ich viele Ärzte und Kliniken aufgesucht, um vielleicht eine Heilung zu finden.
Wichtig: Vitiligo ist nicht ansteckend, sondern nur ein optischer "Makel". Die Dermatologen sagen, mann kann es definitiv nicht heilen, aber es gibt Möglichkeiten, die Krankheit eventuell zu stoppen. Das ist allerdings sehr, sehr aufwendig.
So gibt es etwa Bestrahlungen, zu denen man fünf Mal die Woche gehen muss und Cremes. Es ist allerdings ernüchternd, wenn man immer wieder vom Arzt hört, dass die Chancen nicht sehr gut sind.
Schließlich bin ich auf Facebook auf eine Vitiligo-Selbsthilfegruppe gestoßen. Da merkte ich: Ich bin doch nicht so alleine. Denn betroffen sind gerade mal 0,2 bis 5 Prozent der Weltbevölkerung, da fühlt man sich natürlich schon mal sehr einsam.
Der erste Austausch mit den Leuten dort, der hat mir Mut gemacht. Dort war auch eine junge Studentin, die Modelle für ein Fotoprojekt gesucht hat. Da dachte ich mir: Warum sollte ich eigentlich nicht mitmachen?
Und als ich dann die Fotos gesehen habe, da fand ich sie gar nicht so schlecht. (lacht)
Sarah-Liv will anderen Mut machen
TAG24: Wann war dieses Fotoprojekt?
Sarah-Liv Weyler: Vor etwa sechseinhalb, sieben Jahren. Ich sag immer: Vor sechs Jahren habe ich dann komplett zu mir gestanden.
Das Foto-Projekt war also das erste Puzzlestück. Dann habe ich die Fotos gesehen, habe sie geteilt und es kam ganz viel Zuspruch.
Das hat mich dann natürlich auch wieder bestärkt und ermutigt. Insbesondere auch Feedback von Betroffenen, denen das Mut gemacht hat. Und so wurde es mit dem Selbstbewusstsein immer besser.
TAG24: Sie hatten es in der Teenagerzeit schwer. Welchen Tipp haben Sie für junge Menschen, die an Vitiligo erkrankt sind und damit hadern?
Sarah-Liv Weyler: Mit meiner Teilnahme bei Miss Germany will ich nicht nur den Vitiligo-Betroffenen Mut machen, sondern generell Menschen, die angebliche Makel haben. Das fängt ja an bei Dehnungsstreifen oder sie haben keine 90-60-90-Maße oder was auch immer...
Mein erster Tipp ist: Es ist ganz, ganz arg wichtig, dass man sich so akzeptiert, wie man ist. Und dann kann es nur besser werden. Es ist aber ein langer Prozess, den man mit kleinen Schritten beginnt.
Bei mir war es zum Beispiel so, dass ich irgendwann einfach den Selbstbräuner an den Händen weggelassen und gemerkt habe: Oh, das war ja gar nicht so schlimm. Danach habe ich etwa den Selbstbräuner auf den Beinen weggelassen.
Und ein zweiter Tipp: Einfach mal mit anderen Betroffenen austauschen. Das hat mir auch sehr geholfen.
Darum nimmt sie an der Miss-Wahl teil
TAG24: Ihre Teilnahme beim Wettbewerb zur Miss Baden-Württemberg bzw. letztlich Miss Germany haben Sie eben schon angesprochen. Wie kam es denn zum Entschluss, dort mitzumachen?
Sarah-Liv Weyler: Im vergangenen Jahr bin ich auf das neue Konzept von Miss Germany aufmerksam geworden und gesehen, dass es nicht mehr darum geht, wer die Schönste im Land ist.
Stattdessen geht es um Frauen, die etwas zu sagen haben. Die Interessen haben, die sie vertreten möchten.
Und da dachte ich mir: So könnte ich noch mehr Menschen erreichen und ihnen Mut machen.
TAG24: Inzwischen sind sie unter den letzten zehn Teilnehmerinnen in Baden-Württemberg. Lassen Sie uns mal frech in die Zukunft blicken. Wir nehmen mal an, Sie haben gewonnen. Wofür setzen Sie sich dann ein?
Sarah-Liv Weyler: Zunächst mal ist es wichtig, durch die eigene Akzeptanz das Leben zu genießen. Ich selbst habe mich zu lange versteckt und konnte mein Leben nicht so genießen, wie ich das jetzt kann.
Zweitens: Das Thema Mobbing. Es ist sehr extrem geworden, auch durch das Cyber-Mobbing. Man kann natürlich seine eigene Meinung vertreten, aber man sollte niemals den Respekt vor seinem Gegenüber verlieren.
Und drittens will ich mit meiner Teilnahme Mut machen, zu angeblichen Makeln zu stehen. Damit andere Menschen sagen: "Hey, wenn sie das kann, dann kann ich das auch."
Wissenswertes zu Sarah-Liv Weyler
Die Stuttgarterin arbeitet als Service Manager im Facility Management einer Modefirma. Besonders am Herzen liegen ihr die Themen Akzeptanz und Mobbing. Auch will sie anderen Mut machen. Noch bis zum 21. September läuft die Online-Wahl zur Miss Baden-Württemberg. Sarah und alle anderen Teilnehmerinnen findet Ihr hier in der Übersicht.
Titelfoto: Montage: Jette Rossol Fotografie, Screenshot Instagram.com/Sarah-Liv Weyler