Ende einer Ära: Letztes Atomkraftwerk im Südwesten vom Netz gegangen
Neckarwestheim - Aus Baden-Württemberg fließt kein Atomstrom mehr ins deutsche Netz: Im Zuge des Atomausstiegs hat das Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 im Landkreis Heilbronn am Samstagabend die Produktion eingestellt.
Gegen 23.59 Uhr sei der Generator in Neckarwestheim 2 vom öffentlichen Stromnetz getrennt worden, teilte der Betreiber EnBW mit. "Der Abschaltvorgang verlief technisch wie geplant und ohne Besonderheiten." Neckarwestheim 2 war der bundesweit letzte Reaktor am Netz. Damit endete die Produktion von Atomstrom im Südwesten nach fast 55 Jahren.
Mit dem Abschalten auch der Meiler Isar 2 und Emsland wurde der seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 in Deutschland geplante Ausstieg aus der Atomkraft vollzogen. Kernkraftgegner feierten den Tag.
Mehrere Hundert Menschen kamen beispielsweise zu einem "Abschaltfest" nach Neckarwestheim. Sie hatten Transparente mit Aufschriften wie "Endlich ist Schluss" dabei. Erledigt sind damit aber weder das Thema Atom an sich noch die Folgen.
So hatte Landesumweltministerin Thekla Walker (54, Bündnis 90/Die Grünen) vor kurzem noch einmal erklärt, die Herausforderung sei, "wie wir riesige Mengen von Atommüll sicher endlagern". Das werde Deutschland länger beschäftigen als die Atomkraftwerke hierzulande in Betrieb gewesen seien.
Der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW machte deutlich, welche Folgen das Abschalten von Neckarwestheim 2 für Netzstabilität und Versorgungssicherheit habe.
Da die Übertragungskapazitäten vom Norden, wo vor allem mit Windkraft Strom erzeugt wird, in den Süden Deutschlands noch nicht ausreichend ausgebaut sind, steigt einer Sprecherin zufolge der Bedarf an Ausgleichsmaßnahmen aus dem Ausland und aus Reservekraftwerken.
"Die Strom-Importabhängigkeit von Baden-Württemberg nimmt weiter zu." Zusätzlich sinke der Anteil an gesicherter Leistung zur Lastdeckung in Deutschland.
Neckarwestheim 2 deckte ein Sechstel des Strombedarfs im Südwesten
Mit einer jährlichen Produktion von im Schnitt rund elf Milliarden Kilowattstunden hatte Neckarwestheim 2 nach EnBW-Angaben etwa ein Sechstel des Strombedarfs in Baden-Württemberg gedeckt. Der Meiler war 1989 als jüngstes deutsches AKW ans Netz gegangen und produzierte insgesamt rund 375 Milliarden Kilowattstunden Strom.
Allein im sogenannten Streckbetrieb in diesem Jahr seien es noch einmal über 1,9 Milliarden gewesen - das waren mehr als erwartet. Mit einer Kilowattstunde Strom kann man zum Beispiel eine Stunde staubsaugen.
Nun werde auch in der fünften und letzten Anlage des Karlsruher Konzerns der Rückbau im Mittelpunkt stehen, wurde der Geschäftsführer der EnBW-Kernkraftsparte, Jörg Michels, in einer Mitteilung in der Nacht zum Sonntag zitiert. Am Standort Neckarwestheim arbeiten rund 650 EnBW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter.
Schon seit ein paar Tagen liegt die vollständige Genehmigung für den Rückbau vom Umweltministerium vor. Weil die Laufzeit, der letzten drei AKW aber infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine über den Jahreswechsel hinaus verlängert worden war und zum Beispiel neue Verträge mit Drittfirmen nötig wurden, verschiebt sich alles um mindestens drei Monate, hatte Michels kürzlich erläutert.
Wenn mit dem Abbau begonnen werden kann, sollen zuerst die 193 Brennelemente aus dem Reaktordruckbehälter entfernt und in das benachbarte Lagerbecken überführt werden. Mit der Zeit werden dann etwa die nuklearen Systeme dekontaminiert, Hauptkühlmittelleitungen demontiert und Einbauten des Reaktordruckbehälters zerlegt.
Alles in allem soll der nukleare Rückbau in 10 bis 15 Jahren abgeschlossen sein. Dann stehen beispielsweise noch Gebäude auf dem Gelände. Was damit geschehen soll, steht laut Michels noch nicht fest.
Neckarwestheim macht große Verluste durch den Atomausstieg
Der drittgrößte Energieversorger Deutschlands schließt mit der Abschaltung allmählich das Kapitel Atomkraft ab - was ganz im Sinne der Firmenphilosophie ist: Der einstige Atomstromer EnBW hat sein Geschäftsmodell in den vergangenen Jahren umgekrempelt und baut seither die Stromerzeugung über erneuerbare Energien aus.
Für die Gemeinde Neckarwestheim mit rund 4200 Einwohnerinnen und Einwohnern bedeutet der Atomausstieg, dass der Gürtel nun enger geschnallt werden muss.
Fünf bis zehn Millionen Euro Gewerbesteuer sprudelten nach Angaben von Bürgermeister Jochen Winkler (parteilos) jedes Jahr in die Kasse - vorwiegend durch das AKW. Mit dem Geld leistete sich die Kommune unter anderem gut ausgestattete Kindergärten, ein Jugendhaus sowie die Reblandhalle als Veranstaltungslocation und großes Kulturzentrum.
Die Gemeinde kaufte sogar Schloss Liebenstein. Hinzu kam ein 27-Loch-Golfplatz. Seit klar ist, dass diese Steuerquelle versiegt, wird nach Sparmöglichkeiten gesucht.
Titelfoto: Peter Kneffel/dpa