Als Spion in Dresden erlebte Putin das Ende eines Systems: Prägende Erfahrung oder Trauma?
Moskau/Dresden - Atemlos verfolgt die Welt den Krieg in der Ukraine. Während Bomben fallen und Panzer rollen, versuchen Greise und Mütter mit Kindern ihr Leben zu retten. Eine Welle der Hilfsbereitschaft schwappt diesen Flüchtlingen entgegen. Gleichzeitig grübeln aber auch manche: Stehen genug Unterkünfte bereit? Wäre man hier auf so einen Überfall vorbereitet? Und: Haben die Jahre in Dresden den Kreml-Chef Putin hart gemacht?
Russlands Präsident Wladimir Putin (69) verbindet mit Dresden eine ganz besondere Beziehung. Putin kam als KGB-Hauptmann mit seiner Frau Lyudmila und der neugeborenen Tochter Mariya 1985 in die Stadt. Im Rang eines Oberstleutnants zog er im Februar 1990 wieder ab.
Über der Zeit "dazwischen" liegt ein dicht gewebter Schleier aus Fakten, Lügen und Legenden.
Putin war 33 Jahre, als er in die DDR entsandt wurde. Er lebte mit seiner Familie an der Elbe in einer Plattenbau-Wohnung auf der Radeberger Straße 101. Putins Frau schwärmte später öffentlich vom Komfort und der Sauberkeit in ihrem Viertel. Putins zweite Tochter Katerina erblickte am 31. August 1986 in Dresden das Licht der Welt.
Putin selbst erzählte 2001 Reportern gerührt, dass sie ihre ersten Worte im Leben auf Deutsch gesagt habe.
Der Präsident damals: "In Dresden hatten wir unsere schönsten Jahre."
Putin arbeitete in Dresden für den KGB
Und sein Job? Der berüchtigte sowjetische Geheimdienst KGB hatte in Dresden seine Niederlassung in einer Villa in der Angelikastraße 4.
Wie Putin dem Sozialismus diente, ist nebulös. Im Vernichten von Akten war der KGB effektiver als die Stasi.
So heißt es, dass man Putin auf den angesehenen Forscher Manfred von Ardenne und Robotron-Ingenieure angesetzt hatte, um Industrie-Geheimnisse auszukundschaften. Andere wollen wissen, dass der Russe die berüchtigte Operation "Lutsch" (zu Deutsch: Strahl) leitete. Deren Ziel war es, die Machenschaften und Devisen-Schiebereien von hohen SED-Genossen und Stasi-Funktionäre zu überwachen und aufzudecken.
Die Londoner Journalistin Catherine Belton fügte den Berichten über Putins Arbeit weitere unerhörte Details hinzu.
Im Buch "Putins Netz" schreibt sie, Putin habe als KGB-Mann ein nicht namentlich genanntes ehemaliges Mitglied der linksradikalen Rote Armee Fraktion (RAF) in Dresden getroffen. Dabei ging es um die Unterstützung der Gruppe, die in den 1970er- und 80er-Jahren in Westdeutschland Angst und Schrecken verbreitete.
1990 verließ Wladimir Putin Deutschland gedemütigt nach dem Untergang vom Sozialismus
Putin galt als umgänglicher Typ. Nach der Arbeit trank er ab und an ein Pils in der Gaststätte "Am Thor" am Albertplatz.
Mit Kollegen von der Stasi spielte er auf dem Sportplatz am Jägerpark regelmäßig Fußball. Als Hauptverbindungsmann zwischen dem KGB und der Dresdner Stasi bemühte er sich um gute Stimmung.
Lediglich von einem öffentlichen Auftritt Wladimir Putins als KGB-Spitzel existieren Zeitzeugen-Berichte.
Diese stammen aus dem Herbst 1989. Nach Protesten vor dem Stasi-Gebäude auf der Bautzner Straße wollte eine aufgebrachte Menschenmenge auch das nahe gelegene KGB-Gebäude stürmen.
Putin soll dort in Zivil neben sowjetischen Soldaten mit Maschinengewehren gestanden und unmissverständlich gesagt haben: 'Das Gelände ist sehr gut bewacht von meinen Genossen. Sie haben Schusswaffen. Wenn Unbefugte in dieses Gelände eindringen, dann habe ich Schießbefehl erteilt.' Daraufhin zog sich die Menge zurück.
Diese Begegnung mit dem Mob beeindruckte Putin nachhaltig. Er gab später zu, dass er in dem Moment um sein Leben gefürchtet habe. Allem Anschein nach entwickelte er genau in diesen Tagen seine Aversion, mit feindseligen Mengen umgehen zu müssen.
Wladimir Putin verließ 1990 gedemütigt Deutschland. Der Zusammenbruch des Sozialismus hatte ihn seiner kommunistischen Ideale beraubt. Gleichzeitig wuchs damals wohl auch sein Bedürfnis nach unbedingter Macht und Kontrolle - etwa über Oppositionsgruppen.
Wladimir Putin - Aufstieg eines Arbeiterkindes
Wladimir Putin kam am 7. Oktober 1952 in Leningrad (heute Sankt Petersburg) zur Welt. Seine Eltern waren Fabrikarbeiter, Wladimir ihr drittes Kind. Zwei ältere Brüder starben bereits im Kindesalter.
Er absolvierte ein Jura-Studium und begann eine Karriere beim KGB, Abteilung Auslandsspionage. Nach der Rückkehr aus Deutschland 1990 hatte der Leningrader KGB keinen Job für ihn und er musste an die dortige Hochschule wechseln. Auch als Taxifahrer soll Putin sich damals Geld verdient haben, um seine Familie ernähren zu können.
1998/99 stieg Putin zum Direktor des Inlandsgeheimdienstes FSB und zum Ministerpräsidenten auf.
Als Boris Jelzin am 31. Dezember 1999 überraschend sein Amt niederlegte, übernahm Putin verfassungsgemäß auch die Amtsgeschäfte des Präsidenten der Russischen Föderation. Später gewann er wiederholt Wahlen, ließ in Tschetschenien Krieg führen und 2014 die Krim annektieren.
Putin regiert Russland unangefochten. Dabei bekämpft der Kreml-Chef unerbittlich die Opposition und jedwede Demokratiebewegung im Land.
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