Unser Mann in Brüssel: Sachsens "Interessen-Vertreter" in EU-Institution berichtet
Sachsen - Brüssel ist berühmt für gute Schokolade und feine Spitze. Die Stadt glänzt als Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Belgien und Zentrum der Macht. Die NATO hat dort ihr Hauptquartier angesiedelt. Das politische Herz der Europäischen Union (EU) schlägt dort, denn vor Ort sind mit der Europäischen Kommission, dem Rat der EU sowie der EU-Institution die wichtigsten Institutionen des Staatenverbundes beheimatet. Der Freistaat Sachsen besitzt im Zentrum des Brüsseler Europaviertels in der Nähe der europäischen Institutionen eine Landesvertretung. Warum? Das erklärt hier Jiří Zapletal (45), Chef der sächsischen EU-Vertretung, im Interview.
TAG24: Herr Zapletal, darf ich Sie Lobbyist nennen?
Jiří Zapletal: Oh, das Wort "Lobbyist" ist in Deutschland negativ konnotiert. Deshalb würde ich "Interessenvertreter im Auftrag des Freistaates Sachsen" bevorzugen. Von mir aus auch "staatlich bezahlter Interessenvertreter".
TAG24: Warum braucht der Freistaat ein Büro im teuren Brüsseler Regierungsviertel?
Zapletal: Es wäre schädlich, wenn wir dort nicht präsent wären! In Brüssel sind alle deutschen Bundesländer vertreten. Auch andere Länder sind vor Ort. So gibt es Büros von polnischen Woiwodschaften, tschechischen Kraje oder französischen Départements.
TAG24: Die Bundesregierung ist die offizielle Vertretung Deutschlands in der EU. Was können die Bundesländer in Brüssel ausrichten?
Zapletal: Die deutschen Länder sind durch den Bundesrat in den EU-Gesetzgebungsprozess eingebunden. Sie können auch eigene Interessen und Prioritäten in EU-Angelegenheiten haben und arbeiten oft eng mit der Bundesregierung zusammen, um deutsche Positionen auf EU-Ebene zu beeinflussen.
Sachsen-Lobbyisten haben auch EU-Fördergelder im Visier
TAG24: Wie machen Sie das? Sie haben doch gar keine Stimme im Europäischen Parlament.
Zapletal: Wir sind Katalysator. Wir sondieren und beobachten die Themen, die in Brüssel verhandelt werden, und brechen diese auf Relevanz für den Freistaat Sachsen herunter. Gleichzeitig sind wir Transmissionsriemen. Wir bringen unsere Interessen vor allem über wichtige beratende Gremien, wie den Europäischen Ausschuss der Regionen, ein - bestenfalls zusammen mit anderen Partnerregionen.
TAG24: Der Freistaat braucht also die Vertretung, um in der großen EU nicht untergebuttert zu werden?
Zapletal: Ja, kann man so sagen. Unsere Landesvertretung ist die Schnittstelle zwischen EU und Freistaat. Wir bilden eine Miniatur der Sächsischen Staatsregierung ab. Jedes Fachressort ist bei uns mit einem oder zwei Kollegen vertreten, die ihre Expertise einbringen. Der entscheidende Vorteil in der Präsenz ist, an der Quelle der EU-Gesetzgebung zu sein und die Landesregierung frühzeitig über aktuelle Vorhaben der EU zu informieren, um ein rasches Eingreifen zu ermöglichen. Sie können unsere Arbeit mit einem europäischen Fünfkampf vergleichen. Wir sind Mikrofon, Lautsprecher, Verstärker, Trüffelschwein und Schaufenster.
TAG24: Bitte erklären Sie das konkret an Beispielen.
Zapletal: Sachsen profitiert erheblich von EU-Strukturfonds wie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung - EFRE - sowie dem Europäischen Sozialfonds - ESF. Diese Mittel unterstützen die regionale Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Verbesserung der Infrastruktur und die Förderung von Bildung und Ausbildung in Sachsen. Wir wirken in Brüssel auf günstige Förderbedingungen für den Freistaat Sachsen hin - auch für die künftige Förderperiode. Dort sind wir stark mit bilateralen Gesprächen, eigenen Veranstaltungen und in Netzwerken unterwegs.
Starke Partner bei der EU: Sachsen setzt auf Kooperation mit anderen Regionen
TAG24: Haben Sie noch ein weiteres Thema?
Zapletal: Die Zukunft der Kohäsionspolitik bis 2027. Da geht es um den europäischen Zusammenhalt und den Ausgleich der wirtschaftlichen Unterschiede. Wir stehen dort im positiven Wettbewerb, denn alle wollen etwas vom europäischen Finanzkuchen abhaben. Themenabhängig schmieden wir Allianzen und verstärken unsere Positionen gemeinsam mit anderen deutschen Bundesländern sowie unseren Partnerregionen Niederschlesien, Andalusien, Latium und Okzitanien sowie mit Tschechien. Beispielsweise setzen wir uns dafür ein, dass künftig in der Kohäsionspolitik auch Parameter wie Demografie und Innovationskraft berücksichtigt werden.
TAG24: Wie wichtig sind Allianzen in Brüssel?
Zapletal: Enorm wichtig. Ein Thema bekommt in Rat und Parlament immer mehr Aufmerksamkeit, wenn es mehrere Regionen zusammen vortragen. Da haben wir als Freistaat durch unsere geografische Lage und unsere guten Beziehungen zu Tschechien und Polen sowie zu den Partnerregionen einen enormen Vorteil.
So fördert die EU den Freistaat
TAG24: Die EU investiert in Sachsen stark in Forschung, Entwicklung und in die Halbleiterindustrie. Begleiten Sie das?
Zapletal: Ja. Wir unterstützen die hiesige Verwaltung, zertifizierte EU-Tauglichkeit zu erlangen.
TAG24: Bitte, was bedeutet zertifizierte EU-Tauglichkeit?
Zapletal: Nehmen Sie den sogenannten Markteintritt von TSMC in Form der Errichtung eines Chip-Werkes in Dresden. Der bedarf gewisser Zertifizierungen auf EU-Ebene. Da entstehen mehr als 2000 Arbeitsplätze. Damit verbunden ist die höchste Einzelinvestition seit der Wende in Sachsen. Bei der EU-Tauglichkeit geht es darum, dass der Rahmen dieses Hightech-Zukunftsinvestments den Vorgaben der EU entspricht.
Sachsen darf sich auf Milliarden von der EU freuen
TAG24: Sie nannten die Vertretung ein Schaufenster. Was liegt gegenwärtig in den Auslagen?
Zapletal: Neben Wissenschaft und Forschung die Mobilität. Voraussichtlich 2030 soll der Bau des Erzgebirgstunnels beginnen. Bei diesem mehr als 30 Kilometer langen, neuen Tunnel für die Schnellbahnstrecke Dresden - Prag reden wir allein von einer politisch vereinbarten EU-Förderung von 1,4 Milliarden Euro. Unsere Aufgabe ist es, dieses Projekt mit seinen vielen Facetten und der Bedeutung für das transeuropäische Verkehrsnetz weit oben auf der Agenda zu halten, denn bis 2030 ist es noch eine lange Zeit.
TAG24: Sie haben die Wahlplakate in Dresden gesehen. Einige Parteien wollen, dass Sachsen aus der EU austritt.
Zapletal: Eine schwachsinnige Idee, die rechtlich gar nicht möglich ist. Der Freistaat Sachsen hat stark wirtschaftlich, politisch und sozial von der EU profitiert. Ein Austritt würde den Freistaat in vielen Bereichen erheblich schwächen.
TAG24: Beeinflussen die anstehenden Europa- und Landtagswahlen Ihre Arbeit?
Zapletal: Nicht direkt. Mir ist wichtig, dass wir nach außen als Freistaat wahrgenommen werden - unabhängig von politischen Konstellationen. Im Fokus unserer Arbeit steht die politische Mitwirkung in der EU und Vertretung sächsischer Interessen auf europäischer Ebene.
Jiří Zapletal: Wie geschaffen für die Laufbahn
Jiří Zapletal (45) wurde in Brünn (tschechisch Brno) geboren und wuchs auf der deutschen Seite des Erzgebirges auf. Nach einer Bank-Lehre studierte er in Chemnitz und Brüssel Volkswirtschaft/Europäische Wirtschaftsintegration.
Nach Jobs im Finanzsektor wurde der Ex-Zehnkämpfer und -Sprinter (gewann zweimal Bronze bei Welt- beziehungsweise Europameisterschaften mit der 4 x 100-Meter-Staffel) 2013 Beamter beim Bundesfinanzministerium im Bereich internationale Klimaschutzfinanzierung. Als solcher war er beim Internationalen Währungsfonds (IWF), der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU und bei der EU-Kommission tätig.
Zapletal hat zwei Töchter und lebt mit seiner Familie in Brüssel.
Titelfoto: Montage: Norbert Neumann, IMAGO/Future Image