Dresdner Politiker Matthias Ecke erklärt: Aus diesem Grund gönnt sich EU zwei Standorte
Dresden/Brüssel - Teil 2 unseres Exklusivinterviews mit Matthias Ecke (39, SPD), Sachsens neuem Mann in Europa! Nachdem der Wahl-Dresdner am gestrigen Samstag seinen Job im Europäischen Parlament genauer erklärt hat, wollen wir jetzt unter anderem mit ihm die Frage klären, warum die EU in Brüssel und Straßburg zu Hause ist.
TAG24: Die EU ist in Brüssel und Straßburg zu Hause. Wo genau haben Sie Ihr Büro?
Matthias Ecke: An beiden Standorten.
TAG24: Klingt teuer! Warum braucht es denn überhaupt zwei EU-Standorte?
Ecke: Meiner Meinung nach braucht es die nicht. Mit der bescheidenen Erfahrung von einigen Wochen würde ich mich, wenn ich müsste, für Brüssel entscheiden. Das ist schon klarer strukturiert. Straßburg ist dagegen ein Labyrinth. Im Übrigen befürwortet das Europäische Parlament auch die Zusammenlegung auf einen Sitz und spricht das regelmäßig wieder an.
Dass Straßburg der Standort des Parlaments ist, ist in den Europäischen Verträgen festgehalten und die französische Regierung ist da wenig verhandlungsbereit. Wenn es nach mir ginge, können wir das aber gerne reduzieren.
TAG24: Wie ist für Sie als Abgeordneten eigentlich das Verhältnis zwischen Anwesenheit vor Ort und daheim bei der Familie?
Ecke: Man ist sehr viel in den beiden Standorten des Europäischen Parlaments unterwegs und verbringt dort viel Zeit, noch deutlich mehr als im Bundestag oder Landtag. Man ist immer Montag bis Donnerstag in Brüssel oder Straßburg. Wahlkreiswochen, in denen Du vollständig zu Hause bist, gibt es aber leider nur sehr wenige. Aber durch zwei Jahre Pandemie haben wir gelernt, dass eine Rückkoppelung in die Heimat nicht immer nur physisch vonstattengehen muss. Ich verrate jetzt kein Geheimnis, wenn ich sage, dass Videoformate zum Austausch funktionieren.
TAG24: Heißt, man muss ziemlich genau abwägen, mit wem man seine kostbare Zeit verbringt?
Ecke: So sieht es aus. Umgekehrt muss man natürlich auch sagen, dass viele Interessenvertretungen auch in Brüssel vor Ort sind. Dort langweilen Sie sich also ganz und gar nicht, weil immer jemand kommt, der Ihnen etwas erzählen will. Ich finde, als Abgeordneter ist es sinnvoll, sich verschiedene Meinungen anzuhören. Wichtig ist es nur, dass man am Ende ausgewogen entscheidet.
Matthias Ecke: Per se nicht verkehrt, wenn Interessenvertretungen ihre Position näher bringen
TAG24: Interessenvertretungen im Sinne von Lobbyverbänden?
Ecke: Lobbyverbände, Gewerkschaften, Umweltverbände oder diejenigen, die ihre industriellen Interessen haben. Ich finde das per se nicht verkehrt, dass die ihre Positionen einbringen. Natürlich hat die chemische Industrie in Sachsen eine andere Sicht auf Umweltregulierungen als Greenpeace.
Wir als Abgeordnete haben die Aufgabe, mit vielen Seiten zu sprechen und zu schauen, was deren Argumente sind. Wichtig ist aber, dass man die Urteilsfähigkeit besitzt, zwischen relevant und nicht relevant zu unterscheiden.
TAG24: Aber sollte die Hauptaufgabe nicht sein, mit seinen Leuten vor Ort ins Gespräch zu kommen?
Ecke: Es ist eine Aufgabe, aber nicht die Hauptaufgabe. Die wichtigste Aufgabe besteht darin die Interessen der Leute wirksam zu vertreten. Europaabgeordnete haben leider weniger Zeit als lokale Abgeordnete mit den Leuten vor Ort direkt ins Gespräch zu kommen. Ich glaube, dass das Europäische Parlament nicht so gebaut ist, dass das so möglich ist. Natürlich hat jeder Bürger ein Anrecht darauf, dass man Anliegen ernst nimmt und bearbeitet. Das tue ich auch. Aber ich werde nicht jede Woche in der Fußgängerzone stehen können.
TAG24: Was verdient ein Europa-Parlamentarier?
Ecke: Das kann man nachlesen, das ist alles transparent. Meiner Kenntnis nach müsste das ungefähr so viel sein, wie auch ein Bundestagsabgeordneter verdient. Ein bisschen anders strukturiert, aber es ist vergleichbar. Sie haben eine Abgeordnetendiät, Geld für Mitarbeiter, eine Sachkostenpauschale und Tagegeld, wenn Sie irgendwo unterwegs sind.
TAG24: Sie haben ein zwei Kinder (4 Jahre und zehn Monate alt). Das ist auch heftig, oder?
Ecke: Ich muss schon manchmal schlucken, wenn ich montags aus dem Haus gehe. Das Europaparlament ist auf jeden Fall kein familienfreundliches Modell. Ich habe manche Dinge deshalb auch schon nicht gemacht. Wenn ich dann mal in Sachsen bin, will ich meine Kinder auch zur Kita bringen oder abholen. Es ist nicht einfach, aber es erdet auch.
EU-Abgeordneter Matthias Ecke: "Wir haben europäische Energiemärkte und das ist prinzipiell eine gute Sache."
TAG24: Themenwechsel: Sie sprachen in Teil 1 unseres Interviews von einer neuen europäischen Ladesäuleninfrastruktur. Nur ist Strom hierzulande aktuell ein knappes und vor allem teures Gut, genauso wie E-Autos auch. Wie passt das zusammen?
Ecke: Wir haben europäische Energiemärkte und das ist prinzipiell eine gute Sache. Im Moment sind wir in einer Situation, in der das in Europa etablierte Strommarkt-Design nicht mehr tragfähig ist, weil sich die Strompreise sehr stark daran orientieren, wo Energie kurzfristig hinzugekauft werden kann. Sprich, dem Gaspreis.
Die Europäische Kommission will das jetzt schnellstmöglich angehen. Dazu kommt, dass die billige Energie aus Russland weg ist und wir andere Beschaffungswege finden müssen. Auch die Probleme der Franzosen mit ihren Atomkraftwerken sorgen für hohe Preise. Da muss europäisch alles für getan werden, dass diese wieder sinken.
TAG24: Und die Verbindung zu den Ladesäulen?
Ecke: Aktuell fallen die relativ wenigen E-Autos in Deutschland für den Strompreis kaum ins Gewicht. Aber die Elektromobilität ist die Antriebsart der Zukunft. Wir Sachsen wissen da, wovon wir reden. Es gibt wohl keine andere Region in Europa, die wirtschaftlich so stark von einem ausgeprägten Ladesäulennetz profitiert. Daher ist das für uns ein großer Fortschritt, unabhängig von den aktuellen Strompreisen.
TAG24: Beweist der Ausgang des Gas-Gipfels nicht wieder die Handlungsunfähigkeit der EU, wenn man nach zwei Tagen ohne Ergebnisse „verschiedenste Optionen“ nur „prüfen“ möchte?
Ecke: Nein, denn wir hatten ja bislang noch gar keine Einigung. Wir hatten als Parlament Forderungen, den Vorschlag der Kommission und jetzt sind die Mitgliedsstaaten an vielen sinnvollen Stellen dem Vorschlag der Kommission gefolgt. Jetzt geht der Gesetzgebungsprozess im Einzelnen los.
EU-Abgordneter Ecke: "Ihr könnt uns nicht gegeneinander ausspielen"
TAG24: Worauf hat man sich denn geeinigt?
Ecke: Wir wollen jetzt gemeinsam Gas beschaffen. Die EU-Staaten wollen auf diesem aktuell völlig verrückten Gasmarkt gemeinsam auftreten und mit den Förderstaaten gemeinsam Verträge machen.
Die Botschaft an dieser Stelle soll ganz klar lauten: "Ihr könnt uns nicht gegeneinander ausspielen." Das ist auch eine Möglichkeit, die Gaspreise weiter herunterzubekommen.
TAG24: Die EU-Staaten wollen also gemeinsam Gas einkaufen.
Ecke: Genau. Und gleichzeitig wollen wir, wenn es zu extremen Schwankungen im Markt kommt – also Raum für Spekulation - einen Gaspreisdeckel reinhauen. Es gab natürlich auch noch andere Vorschläge, beispielsweise für einen pauschalen Gaspreisdeckel, aber da muss man ein bisschen vorsichtig sein.
Schließlich wollen wir kein Versorgungsproblem haben, weil die Förderländer ihr Gas lieber n andere Weltregionen verkaufen. Deswegen gab es, auch in der Bundesregierung, Vorbehalte gegen eine pauschale Lösung. Aber wie so oft in der EU kam die Einigung nicht mit einem großen Knall, sondern als Einigung, bei der alle Seiten aufeinander zugegangen sind.
TAG24: Wie transparent sind denn die Wege und Mittel der einzelnen Staaten, woher sie ihre Energie beziehen? Gibt es da eine Ebene in der EU, die das überwacht?
Ecke: Die Energieversorgung ist in den europäischen Staaten ganz unterschiedlich gewachsen. Es gibt einen europäischen Energiemarkt, auf dem man Angebot und Nachfrage zusammenbringt. Energie ist ja über lange Zeit ein hochreguliertes Geschäft gewesen. Da waren viele Staatsunternehmen drin, das war bis vor wenigen Jahrzehnten noch kaum verbunden. Erst nach und nach hat man das dann miteinander verknüpft, hat damit natürlich auch die Verbraucherpreise ein Stück weit mit runtergebracht.
Fest steht: Der europäische Energiemarkt muss stärker koordiniert werden. Jetzt muss gemeinsam nach vorne geschaut werden. Klimaneutralität, Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien.
TAG24: Hat denn niemand gesehen, wie anfällig das EU-Energiesystem ist?
Ecke: Hat man, insbesondere die osteuropäischen Länder, die noch einmal eine ganz andere Erfahrung mit Russland haben. Dennoch hat erst der Krieg allen die Augen geöffnet, wie groß die Abhängigkeit ist. Seitdem hat eine rasche Veränderung eingesetzt.
Titelfoto: Montage: Eric Münch, Zhang Cheng/XinHua/dpa & Philipp von Ditfurth/dpa