Wird eine junge Frau im Bundestag überhaupt ernstgenommen, Merle Spellerberg?
Berlin - Nach Fabian Funke (24) von der SPD, der Linken-Abgeordneten Heidi Reichinnek (34) und dem FDP'ler Philipp Hartewig (27) schließt die Grüne Merle Spellerberg vorerst unsere Reihe zu den jüngsten Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Als parteipolitische Möbelpackerin gestartet, unterstützt die gerade einmal 25 Jahre alte Abgeordnete aus Dresden nun Annalena Baerbock (41) in ihrer feministischen Außenpolitik. Ihre Lehrer hätten das schon kommen sehen! Aber lest selbst:
TAG24: Flüchtlingsströme, Pandemien, jetzt auch noch Krieg: Warum will man in dieser Zeit eigentlich Politiker werden?
Spellerberg: Um genau diese Herausforderungen zu bewältigen. Als ich darüber nachgedacht habe zu kandidieren bzw. auch schon davor mich generell politisch zu engagieren, war klar, dass die Klimakrise als die größte Krise im Vordergrund stand. Aber genau da haben wir gesehen, dass viele Politiker und Politikerinnen, die bisher an der Macht waren, es nicht so ganz geschafft haben, in die Zukunft zu schauen, sondern mehr Gegenwartsbewältigung betrieben haben. Da traue ich meinen neuen Kolleginnen und Kollegen und mir mehr zu.
TAG24: Du bist ja gerade einmal 25 Jahre alt. Hattest du je andere Träume als Karriere zu machen?
Spellerberg: Ich habe immer noch andere Träume als Karriere zu machen! (lacht)
In der Fraktion selber spielt es tatsächlich so gut wie keine Rolle, dass ich eine der Jüngsten bin. Ich arbeite sowohl mit meinen jüngeren Kolleg:innen genauso gut zusammen wie beispielsweise Jürgen Trittin, der ja durchaus älter ist als ich. Trotzdem hatte ich nie den fixen Plan, für den Bundestag zu kandidieren. Also ich war schon immer politisch in der Schülervertretung und bei der Kinder- und Jugendarbeit der Kirche aktiv. Aber die Entscheidung für die Bundestagskandidatur war mit Sicherheit kein langgeplanter Karriereschritt, erst recht nicht mit damals 24.
Nimmt man Dich als junge Frau gar nicht ernst?
TAG24: Also wirst Du von all den Kollegen ernst genommen? Oder hast Du doch auch Probleme Dich durchzusetzen?
Spellerberg: Kaum! Also in der Fraktion so gut wie gar nicht. In anderen Kontexten, in denen ich unterwegs bin, kommt es aber durchaus vor. Ich war zum Beispiel auf Dienstreise in Ungarn vor zwei Wochen, da ist dann doch nochmal in einigen Kontexten klar geworden, dass es für eine junge Frau bei einem Fototermin mit einem anderen Politiker durchaus mit Aussagen beginnt, wie: "Nimm doch mal Deine Maske ab, Du bist eine so schöne Frau."
TAG24: Meinst Du, ein männlicher Kollege in Deinem Alter wird ernster genommen?
Spellerberg: In einigen Kontexten auf jeden Fall. Bei der letzten Debatte wurde mein Kollege Felix Banaszak (32) aber von der CDU durchweg mit "Junger Kollege" angesprochen und der ist jetzt auch keine 20 mehr. Und das hat natürlich einen Beigeschmack, weil Alter sagt nicht unbedingt etwas über Kompetenz aus.
Spellerbergs Lehrer wussten schon, dass sie Politikerin wird
TAG24: Hattest Du vor Deinem Bundestagsmandat einen "richtigen" Job?
Spellerberg: Ich habe einige Jahre gekellnert und beim Büroaufbau von Anna Cavazzini (MdEP) geholfen, aber einen Vollzeitjob hatte ich nicht.
TAG24: Hast Du da schon in der Grundschule gesagt, als alle Ärzte und Polizisten werden wollten, dass Du mal Politikerin werden möchtest?
Spellerberg: Nee, in der Grundschule wollte ich Delfintrainerin werden. (lacht) Am Ende der Schulzeit war relativ klar, dass ich irgendetwas Politisches mache. In meiner Abizeitung sind die Prophezeiungen meiner Lehrer gar nicht so weit entfernt von dem, was jetzt Realität ist. Ich hätte mir aber auch definitiv Wege abseits der Parlamente vorstellen können bzw. der Parteipolitik im engeren Sinne.
TAG24: Was würdest Du denn machen, wenn Du nicht im Bundestag wärst?
Spellerberg: Erstmal mein Studium beenden. Ich werde schauen, dass ich das parallel hinbekomme. Denn ich glaub, dass meine fachliche Arbeit davon profitiert. Weil ich eben nicht nur auf meine wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen angewiesen bin, die mir Aktuelles aus der Wissenschaft zuarbeiten, sondern selber dazu quasi verpflichtet werde, Entwicklungen zu verfolgen. Klar kann man sich dazu auch freiwillig entscheiden, aber bei dem vollen Terminkalender ist das Studium ohne Verpflichtung dahinter das Erste, was durchrutschen würde.
"Es war absehbar, dass ich in den Bundestag komme!"
TAG24: Wie setzt man sich denn als so junger Mensch gegen die festen, alten Grünen durch, um hierherzukommen?
Spellerberg: Mit Fachexpertise und Netzwerken. Punkt.
TAG24: ... kurz und knapp! Findest du nicht den Vorwurf gerechtfertigt, dass Du ohne Berufs- und Lebenserfahrung Deinen Job hier gar nicht richtig machen kannst?
Spellerberg: Ich kann das aus bestimmten Perspektiven schon nachvollziehen, finde es aber trotzdem falsch. Es ist wichtig, dass wir in den Parlamenten einen Querschnitt der Gesellschaft haben. Das muss keine 1:1-Repräsentation sein, das wäre am Ende wahrscheinlich auch nicht umsetzbar. Aber, dass Frauen angemessen vertreten sind, dass nicht nur weiße Menschen gescheit vertreten sind - und eben auch junge Menschen - das ist wichtig für diese Perspektiven! Gerade wenn es um Fragen wie zum Beispiel Digitales geht, zeigt sich ja schon, dass es nicht ausschließlich, aber durchaus ein besseres Verständnis meiner Generation dafür gibt, als bei Politiker:innen, die sich dem Rentenalter nähern.
TAG24: Als Abgeordneter hast Du auf einmal Angestellte, die für Dich arbeiten, ein Wahlkampfbüro, das die Marke "Spellerberg" pflegt. Wie kommst du denn mit dem jungen Chef-Sein klar?
Spellerberg: Ich habe mich damit super früh beschäftigt als es absehbar war, dass hier eine realistische Chance darauf besteht. Ich habe mich fortgebildet und ein Seminar für Führungskräfte in der Politik gemacht, weil es natürlich eine große Herausforderung ist und ich hohe Anforderungen an mich als Arbeitgeberin stelle. Der Bundestag ist nicht dafür bekannt, das arbeitnehmerfreundlichste Umfeld zu sein. Wir haben krasse Kündigungsrechte als Arbeitgeber, zum Beispiel können wir aufgrund eines „gestörten Vertrauensverhältnisses” unseren Mitarbeitenden kündigen. Ganz davon abgesehen, dass hier alle Arbeitsverträge auf vier Jahre befristet sind. Auch um dem zumindest ein wenig entgegenwirken zu können, ist es mir super wichtig eine gute Arbeitgeberin zu sein und mich entsprechend weiterzubilden.
"Mit NATO und feministischer Außenpolitik habe ich genug zu tun!"
TAG24: Ist für dich mit dem Einzug in den Bundestag eigentlich alles erreicht? Oder unterhalten wir uns in vier Jahren mit der Spitzenkandidatin Spellerberg?
Spellerberg: Ich gucke in vier Jahren, was in vier Jahren ist. Erstmal bin ich sehr, sehr glücklich hier im Bundestag und schaue, dass ich in den nächsten vier Jahren hier außenpolitisch viel erreichen und Annalena Baerbock bei ihrer Arbeit wo es geht gut unterstützen kann. Mit Osteuropa, NATO-Abrüstung und feministischer Außenpolitik als einige meiner Themen habe ich jetzt auch ohne direktes Karriereziel gerade genug zu tun.
TAG24: Was genau macht Ihr denn bei der feministischen Außenpolitik?
Spellerberg: Im Prinzip geht es darum, dass nicht nur Frauen, sondern generell vulnerable Gruppen, also leicht verletzbare Gruppen wie zum Beispiel auch Minderheiten, teilhaben sollen. Also bei Friedensverhandlungen involviert sind, dass Menschenrechtsorganisationen genügend Gelder zukommen und so weiter. Letzten Endes sollen die Menschenrechte im Fokus stehen. Auf diesem Level soll Macht genauso betrachtet werden wie Ungleichheiten. Annalena Baerbock hat in ihrer Rede zum Haushalt, als verschiedene CDU-Politiker den Begriff auch noch nicht verstanden haben, an dem Beispiel der Mütter aus Srebrenica noch einmal sehr deutlich gemacht, dass feministische Außenpolitik eben kein Gedöns ist, sondern mit Leben und mit Überleben zu tun hat. Die Rede kann ich wirklich jedem empfehlen.
Titelfoto: Holm Helis & Eric Münch