Bald Bürgermeister-Wahl: Stühlerücken in Sachsen
Dresden - In 209 Städten und Gemeinden des Freistaates Sachsen werden dieses Jahr Bürgermeisterwahlen durchgeführt. Die Liste reicht von A wie Altenberg bis Z wie Zwönitz. Das Gros der Kommunen legte seine Bürgermeisterwahl auf den 12. Juni. An diesem Tag gehen in neun der zehn Landkreise auch die Landratswahlen über die Bühne. Lest hier ein Interview mit dem Chef vom Kommunalpolitischen Forum Sachsen, Patrick Pritscha (47), über Trends bei den Bürgermeisterwahlen.
TAG24: Herr Pritscha, beim Blick in die Wahllisten fällt auf, dass sich sehr viele Parteilose um Bürgermeisterposten bewerben. Verlieren die Volksparteien in den Rathäusern Einfluss?
Patrick Pritscha: Tatsächlich ist zu beobachten, dass sich in kleinen Städten und ländlichen Kommunen vor allem Parteilose als Kandidaten bewerben. Das ist ein allgemeiner Trend. Die Bewerber stammen vielmals direkt aus dem Ort und sind fest in lokalen Strukturen wie der Freiwilligen Feuerwehr, Vereinen, dem Sport oder Unternehmen verwurzelt. Mit ihrer Persönlichkeit punkten sie bei den Wahlen. Parteizugehörigkeit spielt erst wieder in größeren Kommunen eine Rolle.
Patrick Pritscha: "Die Kommunen agieren seit 2014 im Krisenmodus"
Sind die Bürgermeisterwahlen Stimmungsbarometer für die politische Großwetterlage?
Nein. Die Menschen können trennen zwischen Landes- und Bundespolitik und den Entscheidungen, die in ihrem Ort getroffen werden müssen. Es fand dort eine tiefe Entfremdung statt. Auf der kommunalen Ebene fühlt man sich seit etwa zehn Jahren von der Bundes- und der Landesregierung im Stich gelassen. Die Kommunen agieren seit 2014 im Krisenmodus. Das begann 2014/2015 mit der ersten Flüchtlingswelle, setzte sich in der Corona-Krise fort und dauert an mit den aktuellen Geschehnissen um den Ukraine-Krieg. In Berlin und Dresden werden dazu Beschlüsse gefasst. Diese müssen die Kommunen umsetzen, aber niemand hilft ihnen dabei.
Wie groß ist der Frust?
Sehr, sehr groß. Den Kommunen wurden viele Ressourcen genommen. Gleichzeitig greifen aber immer mehr Gesetze, die vom Bund oder vom Land erlassen wurden, in die Arbeit der Kommunen ein. Mitunter haben die Kommunen gar keine Chance mehr, etwas selbst zu gestalten oder zu entscheiden. Die kommunale Selbstverwaltung kann so kaum noch gelebt werden.
"Das gesellschaftliche Klima ist rauer geworden"
Viele Bürgermeister treten nicht wieder zur Wahl an, weil sie sich Angriffen als Amtsinhaber nicht weiter aussetzen wollen.
Richtig. Fast jede Person, die in der Kommunalpolitik oder -verwaltung arbeitet, hat schon verbale oder gar tätliche Angriffe erleben müssen. Das gesellschaftliche Klima ist rauer geworden. Das spiegelt diese allgemeine Bedrohungslage auch wider. Unter diesen Vorzeichen wird es immer schwieriger, Kandidaten für Ämter - besonders als Ehrenamtliche Bürgermeister - zu finden. Wir als Verein versuchen an dieser Stelle viel Hilfestellung und Unterstützung zu geben. Das geht hin bis zu geschlechterspezifischen Angeboten. Schauen Sie, zum Ende der DDR-Zeit bekleideten Frauen 30 Prozent der Bürgermeisterposten. Jetzt sind es nur noch 13 Prozent.
In manchen Orten tritt mittlerweile nur noch ein Bewerber bei der Wahl an.
Ja. Da kommt die Demokratie an ihre Grenzen.
Vier Rennen mit besonderer Würze
Charismatische Bewerber, dramatischer Wahlkampf, kuriose Umstände: In diesen Städten wird die kommende Bürgermeisterwahl besonders spannend.
• Dresden: Der Trubel um die Kandidatur von Amtsinhaber Dirk Hilbert (50, FDP) ebbt nicht ab. Nachdem das Regierungspräsidium ein Machtwort gesprochen hatte, reichte die Piraten-Partei in der vergangenen Woche nun Klage gegen Hilberts Wahlzulassung beim Verwaltungsgericht ein.
• Grimma: Matthias Berger (54, parteilos) steht seit 2008 als Oberbürgermeister der Stadt Grimma vor. Am 12. Juni strebt er seine Wiederwahl an. Dabei kann er auch auf einen Promi-Bonus setzen. Jüngst bekam er den Titel "Sprachwahrer des Jahres 2021" zugesprochen. Berger gewann die Internetabstimmung der Fachzeitung "Deutsche Sprachwelt" mit 28,8 Prozent - vor Schauspieler und Komiker Dieter Hallervorden (18,7 Prozent) und der Schriftstellerin und Literaturkritikerin Elke Heidenreich (16,8 Prozent).
Auch in Oschatz und Markneukirchen wird es spannend
• Oschatz: David Schmidt (39) lenkt erfolgreich die Geschicke der knapp 3000 Einwohner zählenden Gemeinde Liebschützberg. Auf der Suche nach neuen Herausforderungen wurde der 39-Jährige jetzt im benachbarten Oschatz fündig. Schmidt kandidiert für den Posten des Oberbürgermeisters der 14.000-Einwohner-Stadt.
• Markneukirchen: Haste Töne? Robin Jacob (42) weiß als Leiter des Adorfer Michaeliskindergartens, wie man Rasselbanden zähmt und kleine Querköpfe zur Räson bringt. Das könnte ihm beim nächsten Karriereschritt helfen. Der Familienvater bewirbt sich um den Chefsessel in der Verwaltung von Markneukirchen.
Darum wird nicht überall gewählt
In Sachsen werden die Bürgermeister für sieben Jahre ins Amt gewählt. Der Termin für den jeweiligen Urnengang wird nicht zentral festgelegt, sondern bestimmt sich nach der Situation vor Ort.
Wenn etwa ein Bürgermeister vorzeitig aus dem Amt scheidet (zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen) oder eine Neuwahl wegen seines Rücktritts nötig wird, verschiebt sich der Termin entsprechend in der Kommune.
Sachsen strebt an, dass alle Bürgermeister hauptamtlich das Amt ausfüllen. Ausnahmen sieht die Gemeindeordnung vor, wenn die Gemeinde weniger als 5000 Einwohner hat oder Mitglied eines Verwaltungsverbandes oder einer -gemeinschaft ist.
Titelfoto: Bildmontage: PR/KFS, DPA/Robert Michael