Der große Plakate-Check: So gut funktioniert die Wahlwerbung der Chemnitzer Parteien

Chemnitz - Sie sind (fast) überall in Chemnitz zu sehen: Plakate, auf denen Parteien und Politiker um Stimmen für die Kommunal- und Europawahlen (9. Juni) werben.

Susanne Günther (42) ist an der Hochschule Mittweida Expertin für politische Kommunikation.
Susanne Günther (42) ist an der Hochschule Mittweida Expertin für politische Kommunikation.  © Ralph Kunz

Rund 26.000 Plakate hängen nach Rathaus-Zahlen an den städtischen Laternenmasten, weitere 110 Großflächen-Plakate sind aufgestellt. Grundlage dafür ist die sogenannte Wahlwerbesatzung.

Susanne Günther (42) ist Professorin für Internationale Kommunikation und Didaktik an der Hochschule Mittweida. Die Chemnitzerin und Expertin für politische Kommunikation verrät das Rezept für das perfekte Wahlplakat.

"Plakate müssen innerhalb von zwei Sekunden ihre Wirkung entfalten. Drei Komponenten sollten ineinandergreifen: Text, Bilder und Farbe. Ich würde die Arbeit mit Bildern empfehlen, da sie besser hängen bleiben. Wenn man Text dazu nimmt, sollte dieser eine klare Botschaft beinhalten und eine Verknüpfung zum Bild herstellen."

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Ist das den Chemnitzer Parteien im Wahlkampf gelungen? TAG24 hat mit der Expertin den Plakate-Check gemacht.

CDU: Ihr Polizist im Stadtrat

CDU
CDU  © Raik Bartnik

"Bei Kommunalwahlen spielt die Authentizität der Kandidaten eine große Rolle. Die Bereitschaft, die Stimme einer Person zu geben, die nicht mit der bevorzugten Partei übereinstimmt, ist höher als bei Landtags- oder Bundestagswahlen. Da Michael Specht als Polizist und Stadtrat im Themenfeld 'Sicherheit in Chemnitz' erfahren ist, wirkt das Plakat authentisch. Unentschiedene Wähler können so eventuell überzeugt werden. Solide und konventionell."

SPD: Chemnitz, na sicher!

SPD
SPD  © Kristin Schmidt

"Ein grundsolides 'Kopfplakat', das zwei SPD-Kandidaten zur Chemnitzer Kommunalwahl präsentiert. Die Kandidaten haben eine sympathische Ausstrahlung und machen durch den Spruch 'Chemnitz, na sicher' deutlich, dass sie sich für die Stadt sowie die Wähler und deren Belange einsetzen wollen. Durch die rote Signalfarbe ist es als SPD-Plakat schnell zu identifizieren. Erfüllt seinen Zweck, ist aber kein Schrei nach optischer Aufmerksamkeit."

Die Grünen: Werte verteidigen. Frieden schützen.

Die Grünen
Die Grünen  © Raik Bartnik

"Für mich das gelungenste der acht Wahlplakate mit klarer Zielgruppen-Adressierung und Botschaft: gemeinsam die europäischen Werte verteidigen und den Frieden schützen. Das Bild verstärkt das Kampagnennarrativ, das ein gutes Wahlplakat braucht. Die Sonnenblume taucht als Symbol in den Wahlkämpfen der Grünen immer wieder auf, sodass die parteipolitische Zuordnung ebenfalls leicht möglich ist. Der Schriftzug 'gruene.de' könnte noch etwas dominanter gestaltet sein. Junge Erwachsene und Erstwähler werden sich vom Plakat besonders angesprochen fühlen."

FDP: Ihre Fachfrau für mehr Fachmännern

FDP
FDP  © Kristin Schmidt

"Die Text-Bild-Verbindung passt hier nicht. Das Wahlkampf-Motto der FDP ist 'Bildung bewegt, Wirtschaft gestaltet', Yvonne Kilian will sich als 'Fachfrau' für diese Themen präsentieren. Der Hund auf ihrem Arm lässt sie sympathisch wirken, erinnert aber thematisch an ein anderes FDP-Wahlkampfthema: die Hundesteuer – für deren Abschaffung sich die FDP im Wahlkampf auch einsetzt. Halte ich nicht für besonders gelungen."

AfD: Remigration ist Heimatschutz

AfD
AfD  © Kristin Schmidt

"Ein klassisches Textplakat in der AfD-Farbe Blau, das sich durch seine Kürze von anderen Wahlplakaten abhebt. Der Slogan soll Sachlichkeit ausdrücken, die Botschaft der Partei ist in einem 'Augen-Blick' erfassbar. Die Aussage 'Re-Migration ist Heimatschutz' provoziert, schürt Ängste und unterstellt den etablierten Parteien politisches Versagen. Eine typisch populistische Kommunikationsstrategie, die existierende Meinungen von AfD-Wählern festigt und AfD-spezifische Feindbilder verstärkt. Erfüllt wahlkampfstrategisch seinen Zweck."

Die Linke: Keine Profite auf Kosten der Gesundheit

Die Linke
Die Linke  © Raik Bartnik

"Wirkt überladen. Man muss zweimal hinsehen, um alle Aspekte der Thematik zu erfassen. Hier wird allerdings ein nationales Thema aufgegriffen, das weder für die Europa- noch für die Kommunalpolitik von Bedeutung ist. Fachkräftemangel in der Pflege oder die Kostenexplosion im Gesundheitswesen sind zwar von Interesse für eine große Mehrheit der Deutschen. Was die Linke aber auf europäischer Ebene erreichen will, erschließt sich mir nicht. Ist durch die Farbgebung sofort als Linken-Plakat zu erkennen."

Die PARTEI: Einsiedel aussiedeln!

Die PARTEI
Die PARTEI  © Kristin Schmidt

"Als selbsternannter Satire-Partei gelingt es keiner anderen Gruppierung derzeit besser, die populistischen Wahlkampfbotschaften von AfD, ProChemnitz und Freie Sachsen zu verdeutlichen. Die PARTEI nutzt dabei die Technik der 'Re-Kontextualisierung', verknüpft Bilder mit scheinbar widersprüchlichen Botschaften. Die Nazis auf dem Plakat propagieren die 'Aussiedelung von Einsiedlern', führen dem Betrachter so die Absurdität von 'Re-Migration' und 'Säxit' vor Augen. Starker Blickfang und hoher Gedächtniswert!"

BSW: Gier oder Gerechtigkeit? Sie haben JETZT die Wahl!

Bündnis Sahra Wagenknecht
Bündnis Sahra Wagenknecht  © Herrmann Tydecks

"Sahra Wagenknecht ist zentraler Blickfang des Plakats. Diese Gestaltungsform ist alternativlos, da das Bündnis untrennbar mit ihrer Person verknüpft ist. Der Wahlslogan provoziert und emotionalisiert ähnlich wie der der AfD. Es wird angedeutet, dass das politische System und dessen Repräsentanten gegenwärtig durch Gier - und nicht durch Gerechtigkeitsstreben - geleitet werden. Allerdings bleibt für den Betrachter des Plakats unklar, durch welche politischen Maßnahmen das BSW Gerechtigkeit schaffen will. Lediglich der Name ist Programm."

MLPD: Die globale Umwelt-Katastrophe hat begonnen!

MLPD
MLPD  © Kristin Schmidt

"Kein klassisches Wahlkampfplakat, die Optik erinnert an eine Buchwerbung. Auf den ersten Blick bringe ich das Bild eher mit einer radikalen Umweltbewegung wie 'Extinction Rebellion', nicht aber mit einer Partei in Verbindung. Die Botschaft der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands wird durch den Titel verdeutlicht: Das zerstörerische Treiben des Imperialismus bedroht die Menschheit, nur Sozialismus kann diese Entwicklung stoppen. Die MLPD bleibt damit eine Nischen-Partei mit geringem Wählerpotenzial."

Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung: Altern wird wahrscheinlich bald heilbar

Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung
Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung  © Kristin Schmidt

"Sorgt für Irritation. Der Betrachter weiß nicht, ob es sich um ein ernst gemeintes Wahlplakat handelt. Die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung bezeichnet sich als Ein-Themen-Partei und will als solche ernst genommen werden. Sie nutzt ein Textplakat für ihren Europawahlkampf. Die wortreichen Erörterungen dienen dazu, das Thema in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die farblich abgesetzten Begriffe 'Altern' und 'heilbar' erregen Aufmerksamkeit. Das Thema spricht allerdings nur eine begrenzte, eher esoterisch orientierte Wählerschaft an. Es fehlen die politische Relevanz und Seriosität."

Titelfoto: Bildmontage: Raik Bartnik (2), Herrmann Tydecks, Kristin Schmidt

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