"Regierungs-Auftrag"? Deutschlands nervigste Formulierung!
Berlin - Nach der Wiederholungswahl in Berlin wird die politische Medienlandschaft Deutschlands, wie bereits nach der letzten Bundestagswahl 2021, von einem Wort geprägt - dem "Regierungsauftrag". Die Berliner CDU ist der Meinung, die Wähler hätten ihnen einen solchen Auftrag erteilt, doch darf man dieses Wort in Zeiten rückläufiger Wahlbeteiligungen überhaupt noch in den Mund nehmen?
Die erste Hochrechnung war noch keine zwei Minuten alt, da tönte es aus allen Ecken der CDU-Wahlparty und darüber hinaus. Der sagenumwobene "Regierungsauftrag" sei ihnen von der Berliner Wählerschaft erteilt worden.
"Der Regierungsauftrag liegt bei Kai Wegner", erklärte CDU-Generalsekretär Mario Czaja (47) als Erster gegenüber der ARD, kurz nachdem die ersten Prozentzahlen über den Bildschirm flackerten und den Wahlsieg der CDU projizierten.
Kurze Zeit später springt der CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner (50) auf den narrativen Zug mit auf und erklärt zuerst auf der Wahlparty selbst, dann in mehreren Interviews, dass seine Partei den Auftrag zur Bildung einer Regierung erhalten habe.
Wie ein Virus zieht sich diese Formulierung durch den Fernsehabend der Nation. In der Polit-Talkshow "Anne Will" ist schließlich Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (42, CDU) dafür zuständig, immer wieder vom Regierungsauftrag zu reden.
Dann stellt die Moderatorin eine entscheidende Frage an die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch (62): "Gibt's das eigentlich?"
Sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland ist kein Indiz für Zustimmung!
Die Antwort der Politikwissenschaftlerin verdeutlicht die Banalität des Begriffs: "Man kann sich schon beauftragt fühlen, aber das Gefühl nützt einem natürlich nichts." Damit verweist Münch darauf, dass die Regierungsbildung letztlich von dem Zustandekommen einer Mehrheits-Koalition abhänge.
Daraus ergibt sich generell die Frage, wie Politiker und Parteien es schaffen, aus der bundesweit sinkenden Wahlbeteiligung so etwas wie Bestätigung für ihre Arbeit abzuleiten.
Bloß 63 Prozent der Berliner Bevölkerung gingen zur Wahlurne, nur 2006 und 2011 waren es noch weniger. Die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen liegt schon lange hinter den Höchstwerten von 80 bis 90 Prozent der 70er-, 80er- und 90er-Jahre zurück.
2021 gingen immerhin noch 76,2 Prozent der Bürger zur Wahl, nachdem 2009 ein Rekordtief von 70,8 Prozent erreicht worden war.
Armin Laschet, die CDU und die Geburtsstunde des "Regierungsauftrags"
Doch gerade die letzte Bundestagswahl wurde zur Geburtsstunde des legendären "Regierungsauftrags".
Damals behauptete die CDU mit ihrem phänomenal gescheiterten Kanzlerkandidaten Armin Laschet (61) allen Ernstes, die Partei hätte trotz Wahlniederlage, einem Stimmenverlust von 8,9 Prozent und ihrem schlechtesten Ergebnis überhaupt einen "Regierungsauftrag" erhalten.
Seither schmeißen die politischen Parteien im Anschluss an abgehaltene Wahlen mit dem Begriff um sich, als wäre er Brot.
"Regierunsauftrag"? Stellt Inhalte über Regierungsposten!
Kommentar von TAG24-Redakteur Malte Kurtz:
Es soll gar nicht bestritten werden, dass ein Wahlsieg einer Partei aussagekräftig für den Willen des Volkes ist. Vielmehr soll dieser Artikel die Aufmerksamkeit darauf lenken, was vielen Deutschen vermutlich bereits bekannt ist: Regieren steht für die Parteien im Vordergrund, die gesetzten Wahlziele rücken schnell mal in den Hintergrund.
Sobald eine Partei als Wahlsieger hervorgeht, wird die Bevölkerung überschüttet mit einer Flut an möglichen Koalitionen und eventuellen Regierungsposten, sodass die Inhalte des eigentlichen Wahlprogramms schnell ins Abseits geraten können.
Wann habt Ihr das letzte Mal einen Politiker gesehen, der sich nach einer gewonnenen Wahl hingestellt und gesagt hat: "Jetzt können wir unser Ziel XY umsetzen" oder "Die Wähler haben gezeigt, wie wichtig ihnen unsere Programmpunkte sind"? Klar, in Nebensätzen am Wahlabend lässt sich bestimmt auch das heraushören, aber hauptsächlich hört man: "Regieren, Regieren, Regieren!"
Die Prämisse zur Wahl einer Partei liegt bei vielen Wählern in den angebotenen politischen Inhalten und Zielen. Deren Umsetzung steht an oberster Stelle. Dass die jeweilige Partei dafür auch regieren muss, ist die logische Folge.
Doch zu oft mussten Bürgerinnen und Bürger mitansehen, wie aus einem Wahlversprechen heiße Luft wird. Genau deshalb ist es für die heutigen politischen Parteien ratsam, den Ball nach einer Wahl erst mal etwas flacher zu halten.
Nicht der Auftrag zum Regieren wurde von der Wählerschaft erteilt, sondern der Auftrag, die gemachten Versprechen einzulösen! Ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Titelfoto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa