Gescholtene Linkspolitikerin Wagenknecht im Interview: "Am Ende wird die AfD immer stärker"
Berlin/Jena - Sie ist gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und setzt sich für den Frieden ein: Die linke Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht (53) scheint auf der politischen Bühne fast schon zu einer Persona non grata verkommen. Groß ist der Gegenwind auch in der eigenen Partei. Warum das so ist und wieso die Alternative für Deutschland (AfD) immer stärker wird, erklärt sie im Interview mit dem Kabarettisten und Autor Serdar Somuncu (55).
Für die AfD geht es steil bergauf! In Sachen Umfragewerte erzielt die Partei, die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiert, immer neue Rekordergebnisse - im Osten Deutschlands sowie bundesweit.
Eine Teilerklärung dafür hat Sahra Wagenknecht parat - mit einem simplen Himmel-Vergleich. "Wenn die AfD sagt: Der Himmel ist blau, sagen wir alle: Der ist grün", so die 53-Jährige. "Am Ende wird die AfD dadurch natürlich immer nur stärker", betont sie - und schiebt die Erklärung gleich hinterher: Die Leute würden eben erkennen, dass der Himmel eigentlich blau ist. Doch die Einzigen, die das dann noch aussprechen, das seien eben die von der AfD.
Zuvor fragte Somuncu, ob es ein Dogma sei, "zu sagen, wenn die AfD etwas vertritt, dürfen wir das nicht vertreten." Wagenknecht halte eine solche Ansicht für "grundfalsch". Damit gebe man der Alternative für Deutschland "die Macht über unsere Positionen".
Dem Einwand des kritischen Kabarettisten, die AfD könne sich dann damit "schmücken", dass die Wagenknecht ja das Gleiche sagt, hält sie ganz nüchtern entgegen: "Ich finde, dass man sich darum nicht kümmern muss."
Wagenknecht: "Die Medien erfüllen ihre Aufgabe nicht"
Mehr zu beschäftigen scheint die in Jena geborene Wagenknecht hingegen der politische Kurs der eigenen Partei. Im März betonte sie in einem Interview, dass sie bis zum Ende des Jahres über die Gründung einer neuen Partei entscheiden wolle. Wie denn ihr Stand in der Linkspartei sei, "mögen die dich?", will Somuncu, der die 53-Jährige eigenen Angaben nach sehr schätzt, wissen.
"Es gibt [...] einen sehr, sehr starken Flügel, der [...] nichts mehr herbei fiebert als den Tag, wo ich endlich gehe", verrät sie. Allerdings gebe es auch noch einige, die sie mögen würden - "auch wenn man das öffentlich vielleicht gar nicht so wahrnimmt." Sie glaube, dass es auch in der Bundestagsfraktion noch Leute gebe, welche "die Dinge" genauso sehen würden wie sie "und die mich auch unterstützen".
Stichwort öffentliche Wahrnehmung: Auch darum geht es im Interview zwischen der Politikerin und dem Kabarettisten. Hierzu stellt Somuncu folgende These auf: "Wir leben in einer Zeit, in der es schwer ist, sich zu behaupten gegenüber dem, was die meisten sagen sollen". Ob sie das genauso empfinden würde, fragt er.
Wagenknechts Antwort: "Es gibt einen ganz massiven Mainstream, der eine bestimmte Position propagiert." Sie wähle dieses Wort "bewusst", denn "was wir erleben" habe schon Züge von Propaganda, erklärt sie.
Der Aufgabe, die Medien ihrer Ansicht nach hätten, unterschiedliche Sichtweisen darzustellen, kämen sie nicht nach. "Wenn man wirklich nur öffentlich-rechtliches Fernsehen guckt, FAZ liest, Zeit liest, Spiegel liest - da ist relativ wenig an anderer Meinung. Ab und an kommt mal was durch, aber sehr, sehr wenig", sagt sie.
Somuncu: "Man wird als Künstler gecancelt, als Politiker angefeindet"
Das sei nicht erst seit dem Ukraine-Krieg so, auch schon während Corona, "wir" hätten generell "so einen Trend zur Konformität, zu einem starken Konformitätsdruck". Von Diktatur möchte sie deshalb nicht sprechen, weil man nicht ins Gefängnis komme. Somuncu wirft ein: "Man wird sanktioniert, als Künstler gecancelt, als PolitikerIn angefeindet".
Wagenknecht lenkt ein. Es gebe zunehmend eine "Form der Repression [...] in wirklich beängstigender Weise". Als Politikerin sei sie da noch "relativ unabhängig", sie werde nicht entlassen, im schlimmsten Fall sei sie nicht wieder im Bundestag vertreten, aber sie müsse nicht Angst um ihren Job haben wie jemand, der beispielsweise als Lehrer arbeitet, im öffentlichen Dienst oder als Journalist tätig sei.
Man könne jedoch Kampagnen anzetteln - "man kann in deiner Vergangenheit kramen", wirft der aus der Türkei stammende Somuncu erneut ein. "Wenn ich Leichen im Keller hätte, die wären schon irgendwo gefunden worden", antwortet die Politikerin.
Jedoch räumt sie bei der Diskussion über die deutsche Berichterstattung über einen vermeintlichen russischen Geheimplan, wonach an einem Bündnis zwischen der AfD und Anhängern der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht gearbeitet würde, folgendes ein: "Das läuft [...] nach dem Motto: Wer viel Dreck schmeißt, der erreicht zumindest, dass irgendwas hängen bleibt."
Dabei zitiert sie indirekt den englischen Schriftsteller und Journalisten George Orwell (1903-1950), dem folgendes Zitat zugeschrieben wird: "Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten - wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit." Zumindest "ein kleines bisschen" Wahrheit bleibe, ergänzt sie.
Wagenknecht über mögliche neue Partei
Wagenknecht glaubt aber, dass viele Menschen bei solchen "Geschichten" wie der Berichterstattung über den vermeintlichen Geheimplan durchschauen würden, dass damit versucht werde, sie mit ihrer für die "Herrschenden" unbeliebten Meinung zu diskreditieren. Der 55-Jährige glaubt hingegen eher das Gegenteil.
"Brauchen wir nicht wieder ein Korrektiv?", fragt Somuncu zum Ende des Interviews. Wagenknecht: "Es wäre gut und sehr wünschenswert, wenn es in dieser politischen Landschaft eine Kraft gäbe, die diese vielen Menschen vertritt, die sich von allen anderen - aus gutem Grund - nicht mehr vertreten fühlen, weil sie einfach vergessen sind."
Der Frage, ob dies die Partei sei, die sie gründen wolle, weicht sie jedoch immer wieder aus. Sie ist jedoch der Ansicht, dass die Linke, die "Leerstelle", die es zur Gründung der Partei gegeben habe - für all diejenigen, die sich soziale Gerechtigkeit und Frieden wünschen, nicht mehr füllt.
"Welches Wort würdest du dann zentral im Namen der Partei haben?", fragt der türkischstämmige Kabarettist abschließend. Nach erneutem Nachhaken antwortet Wagenknecht: "Es gibt eigentlich drei Worte: Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit." Das komplette Interview gibt es kostenfrei und in voller Länge auf dem YouTube-Kanal von Serdar Somuncu zu sehen.
Titelfoto: Michael Kappeler/dpa