Entsetzen nach Äußerung: Kretschmer gibt Flüchtlings-Kindern für Bildungsmisere die Schuld
Dresden/Bautzen - Scham und Entsetzen: Eine Äußerung von Regierungs-Chef Michael Kretschmer (48, CDU), die Flüchtlingskindern zwischen den Zeilen die Schuld für die sächsische Bildungsmisere in die Schuhe schiebt, sorgt für scharfe Kritik.
Kretschmer hatte in einer Diskussion mit Schülern in Bautzen in der vergangenen Woche gesagt, Sachsen könne "die Qualität der Bildung nicht mehr garantieren, weil wir Schüler beschulen müssen, die von außen kommen".
Sächsische Jugendämter hatten bis Ende September 1959 Minderjährige vorläufig in Obhut genommen. Das waren 82,1 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
Auf Geflüchtete zu zeigen sei absolut beschämend, sagte die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Sabine Friedel (49).
"Ich bin entsetzt über eine solche Verdrehung der Tatsachen", so Friedel.
MDR-Analyse: Jahrelange Versäumnisse der Staatsregierung
Tatsächlich ist Sachsens Schulproblem mit Lehrermangel und Unterrichtsausfällen viel älter als Zuwächse durch Flüchtlinge oder Zuwanderung.
2017 hatte der MDR in einer gründlichen Analyse die jahrelangen Versäumnisse der Staatsregierung belegt. Über mehr als zehn Jahre hatte sich Sachsen hartnäckig ausreichende Neueinstellungen von Lehrkräften "gespart".
Dabei war schon 2008 bekannt, dass der Bedarf steigt. Der Zuwachs der Geburten war fast ungebrochen, ebenso der von Grundschülern. 2009 war regierungsintern bekannt, dass bis 2020 mindestens 15.000 Lehrkräfte altersbedingt ausscheiden werden.
Noch im Februar 2010 erklärte der damalige Finanzminister Georg Unland, Sachsen habe 1000 Lehrerstellen zu viel, das sei zu kostspielig. Heute sucht Sachsen zwar händeringend neue Lehrer - der "Markt" ist aktuell aber quasi leer gefegt.
Linken-Politikerin spricht von "Sündenbocktheorie"
Entsprechend ist auch für die Sprecherin für Bildung der Linken im Landtag, Luise Neuhaus-Wartenberg (43), Kretschmers Äußerung inakzeptabel: "Die aktuelle Situation hat nichts mit der Beschulung von geflüchteten Minderjährigen zu tun", sagte sie.
Der Ministerpräsident verschiebe Verantwortung und befördere die "Sündenbocktheorie".
Der Unterrichtsausfall ist derzeit in Sachsen mit 13,7 Prozent an Förderschulen und mit 10,8 Prozent an Oberschulen am höchsten.
"Die Wahrheit ist doch: Wir können die Qualität der Bildung nicht mehr garantieren, weil das sächsische Bildungssystem jahrzehntelang unterfinanziert war. Weil heute in den Schulen die Lehrkräfte fehlen, die vor fünfzehn Jahren nicht eingestellt wurden", sagte Sabine Friedel.
Titelfoto: Jens Kalaene/dpa