"Regeln der Kartoffeln sind kacke": Boris Palmer regt sich über Mundschutz-Verweigerer auf
Tübingen - Die Corona-Krise hat dank Maskenpflicht den Anblick im ÖPNV verändert: Überall sind Maskierte zu sehen. Überall? Nicht ganz. Es gibt genügend Zeitgenossen, die keinen Bock auf einen Mundschutz haben. Boris Palmer (48, Grüne) zeigt sich darüber gefrustet.
Doch der Reihe nach: Am vergangenen Wochenende hatte sich Deutschlands wohl bekanntestes Stadtoberhaupt auf seiner Facebook-Seite zu Wort gemeldet.
Dort postete er einen Schnappschuss aus einer Regionalbahn.
Zu sehen waren zwei junge Frauen, die in der Bahn keinen Mundschutz trugen - was Palmer empörte. Da die beiden Teenager offenbar einen Migrationshintergrund hatten und eine der jungen Damen noch dazu mollig war, zielten bald bitterböse User-Kommentare genau auf diese Aspekte ab.
Auch kritisierten viele Nutzer, dass Palmer die Teenies überhaupt ohne ihr Einverständnis und nur minimal unkenntlich gemacht auf seiner Seite mit bald 53.000 Abonnenten zeigte. Das Posting löschte er nach dem Shitstorm. Und meldete sich erneut zu Wort.
In einem weiteren Beitrag begründete der Grünen-Politiker dann die Löschung mit "der nicht beherrschbaren Flut an Kommentaren". Die User hatten sich "über die beiden Mädchen als Menschen entwürdigend geäußert".
An anderer Stelle beklagte er: "Im Zug hatte ein Drittel der Leute keine Maske auf. Alle waren jugendlich und People of Colour. Der Akzeptanzverlust der Regeln greift dort erkennbar besonders schnell um sich."
Für das Tübinger Stadtoberhaupt bleibe das eigentliche Thema relevant: "Ich möchte öffentliche Verkehrsmittel wieder benutzen können, und das geht nicht, wenn ich entweder einen Streit mit zehn Jugendlichen oder eine Corona-Infektion riskieren muss. So geht das nicht weiter."
Keinen Bock auf Mundschutz: "Die Regeln der Kartoffeln sind sowieso kacke"
Das Tragen bzw. Nicht-Tragen der Masken ließ Palmer keine Ruhe, weshalb er in einem weiteren Beitrag nochmals nachlegte. Für den 48-Jährigen gibt es bei dem Thema zwei Gruppen: Staatsverdrossene und Normverweigerer.
Die Staatsverdrossenen "finden sowieso, dass unsere Politiker überbezahlte Trottel sind, entsprechend leicht fallen sie auf Verschwörungstheorien herein (Der Staat wird von Bill Gates gekauft oder von der Masernindustrie, es geht darum, uns zu unterjochen etc.)."
Mit Fakten hätten diese es nicht so, zumindest wenn sie störten.
Dass vor allem Länder ohne Maskenpflicht eine zweite Welle erlebten, interessiere sie nicht: "Sie erklären die Masken einfach für nutzlos. Diese Gruppe besteht überwiegend aus weißer Mittelschicht. People of Colour sind dort sehr selten. Entsprechend oft besteht eine Nähe zur AfD."
Dann ging er auf die Normverweigerer ein: "Maske oder nicht Maske, das ist denen eigentlich scheiß egal. Aber die Regeln der Kartoffeln sind sowieso kacke, die Kartoffeln lassen uns eh nicht dazu gehören, in der Schule und im Beruf sind wir diskriminiert, warum also Maske, Alter?"
In dieser Gruppe seien junge Leute und "People of Colour" also Farbige stark dominant. "Weil das so ist, können sie sicher sein, vor Kritik und Bußgeldern weitgehend verschont zu bleiben, weil sie wissen, dass dann sofort die Rassismus-Debatte beginnt ('Stammbaumrecherche')."
Palmer wandte sich an beide Gruppen. Zunächst an die Staatsverdrossenen: "Masken sind eine der wenigen Schutzmaßnahmen vor einer Pandemie durch Viren in der Atemluft, die kaum Kosten verursachen. Sie sind nur lästig. Gerade weil ich generell sage, die Gegenmaßnahmen dürfen nicht mehr Schaden anrichten als die Krankheit, bin ich für die Maskenpflicht in geschlossenen Räumen wie im Zug."
Und für die Normverweigerer hatte er diese Worte im Gepäck: "Es geht hier um die Gesundheit der Mitmenschen. Wer um einen Platz in unserer Gesellschaft kämpft und sich dabei ungerecht behandelt fühlt, sollte nicht die Gesundheit anderer riskieren, sondern einen besseren Platz suchen, um solche Konflikte auszutragen. Normen gelten für alle."
Palmer spricht sich für nächtliche Ausgangssperren aus
Und schließlich wandte sich Tübingens OB noch an die Gruppe derer, die ihm Rassismus vorwerfen.
"Es macht die Probleme immer nur schlimmer, wenn man die Phänomene nicht mehr sachlich korrekt beschreibt. Dann kann man nämlich den Ursachen nicht auf Spur kommen und folglich bleiben alle Gegenmaßnahmen bestenfalls erratisch oder haben hohe Streuverluste (Alkoholverbote für alle etc)", so der Grünen-Politiker.
Es sei nicht rassistisch, den Überhang weißer Männer bei Hygienedemos zu erkennen und ebensowenig sei es rassistisch, den Überhang von "People of Colour" bei Randalen in Stuttgart und Frankfurt und in vielen anderen Städten zu beschreiben, um die dahinter stehenden Konflikte in der Gesellschaft zu verstehen und aufzulösen. "Das Ziel unterscheidet Analyse von Hetze."
Was die nächtlichen Feiern anbelangt, die in den letzten Wochen deutschlandweit wiederholt in Randale ausgeartet sind, neigt der 48-Jährige übrigens "zu der Auffassung, dass wir eine nächtliche Ausgangssperre brauchen". Begründung: "Wenn die Clubs zu sind, verkraften die Städte die Dauerparty auf Plätzen und Grünflächen nicht."
Titelfoto: Montage: SCreenshot Facebook.de, Tom Weller/dpa