Interview mit Sonja Jacobsen: "Im Zentrum liberaler Politik steht immer der Mensch"
Hamburg - TAG24 traf die neue FDP-Vorsitzende Hamburgs Sonja Jacobsen (51) zum Interview.
TAG24: Sie sprachen im ersten Teil des Gesprächs schon die Haltung der FDP an, dieses immer zwischen den oder auf mehreren Stühlen sitzen. Die Leute wollen der Erfahrung nach aber klare Antworten, auch wenn die am Ende nichts mehr zählen. Der FDP wird ja auch vorgeworfen, sich es sehr einfach zu machen, in dem man abwartet, wer gewinnt und danach dann die Antwort ausrichtet.
Sonja Jacobsen: Für mich ist das gelebte, tiefe Überzeugung. Die Sehnsucht nach Eindeutigkeit ist natürlich in einer immer komplexer werdenden Welt sehr groß und trotzdem wissen wir eigentlich alle, das die Welt in der Regel nicht Schwarz/Weiß ist, sondern dass es viele Graubereiche gibt. Ich halte es für unsere Pflicht, genau darauf hinzuweisen, auch wenn man uns das als Beliebigkeit auslegt.
TAG24: Trotz des von Ihnen angesprochenen Erstarken der Grünen in den letzten Jahren und den Schwierigkeiten, diese "Sowohl-als-auch"-Positionen der FDP zu vermitteln, ist es der FDP 2015 7,4 Prozent der Stimmen zu holen und damit das beste Resultat seit Jahrzehnten zu erzielen. Bereits bei der nächsten Wahl ist die FDP jedoch aus der Bürgerschaft geflogen. Was ist passiert?
Sonja Jacobsen: "Wir neigen in der FDP manchmal dazu, ein bisschen zu sehr theoretisch zu sein."
Jacobsen: Ich glaube, wie eben schon gesagt, dass die liberalen Positionen oft schwerer zu vermitteln sind. Und wir wissen auch, dass in der Politik Positionen sehr stark von den Persönlichkeiten abhängen, die diese vermitteln und die auch in der Verbindung zur Lebenswirklichkeit der Wähler stehen und diese Positionen praktisch verankern. Das halte ich für ganz entscheidend. Wir neigen in der FDP jedoch manchmal dazu ein bisschen zu sehr theoretisch zu sein, das kommt dann überheblich rüber. Wichtig ist, dass man immer auf Augenhöhe kommuniziert. Mir persönlich liegt das sehr am Herzen.
TAG24: Was muss sich ändern, damit die FDP in Hamburg wieder erfolgreicher ist?
Jacobsen: Um wieder an alte Erfolge anknüpfen zu können, müssen wir wieder stärker auf die Menschen zugehen, und zwar mit Politikern, die selber eine Verbindung zu unseren Wählern haben. Nah an der Partei ist nah am Wähler. Denn die Basis sind ja die, die im direkten Kontakt mit ihrem Umfeld stehen und mitbekommen, wo die Probleme sind. Dafür müssen wir dann Lösungen anbieten. Mein Bild von den Liberalen ist das, dass wir eben nicht auf Demos gehen und sagen "Wir sind dagegen", sondern dass wir konkrete Lösungen anbieten. Hierfür müssen wir wieder näher am Menschen sein und brauchen eine verbesserte Kommunikation.
Sonja Jacobsen: "Im Zentrum liberaler Politik steht immer der einzelne Mensch."
TAG24: In welchen Themengebieten sollte die FDP Hamburg wieder Impulse setzen und welche vernachlässigt die Partei ihrer Meinung noch?
Jacobsen: Wenn man nicht in Fraktionsstärke in der Bürgerschaft vertreten ist, hat man natürlich weniger Möglichkeiten seine Themen nach Außen zu kommunizieren. Ich persönlich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass die FDP irgendein Thema vernachlässigt. Natürlich hat jede Partei ihren Markenkern, der ist bei der FDP sicherlich die Wirtschaftskompetenz.
Ich würde das aber noch etwas weiter herunterbrechen, auf das Zentrum liberaler Politik: dort steht immer der einzelne Mensch. Die Rolle des Staates, um die sich Politiker ja kümmern sollen, sehen wir als eine, die, die vernünftigen Rahmenbedingungen schafft, unter denen sich der einzelne Mensch möglichst frei entwickeln kann.
TAG24: Wie sehen diese Rahmenbedingungen konkret aus?
Jacobsen: Im Wirtschaftsbereich gehört dazu natürlich die Finanzpolitik, die Antworten darauf gibt, wie besteuert wird, wie viel Eigenständiges wirtschaften zugelassen wird und wie viel der Staat abschöpft und damit dem einzelnen Individuum an Gestaltungskraft nimmt. Dazu gehört auch immer die Bildung, denn Bildung ist der Schlüssel für das liberale Aufstiegsversprechen. Ganz entscheidend ist auch eine funktionierende Infrastruktur, nicht nur die Straßen, sondern auch Ärzte oder Schulen. Das sind meiner Meinung nach die Rahmenbedingungen, die der Staat schaffen muss, damit sich der einzelne Bürger entfalten kann.
TAG24: Nehmen wir das Thema Verkehr. Jetzt ist es aber natürlich so, dass Rahmenbedingungen nicht so einfach neu geschaffen, schon gar nicht Bestehende von heute auf morgen geändert werden können. Politische Amtsträger haben auch immer mit den Hinterlassenschaften ihrer Vorgänger zu tun. Wie stellen Sie sich das vor?
Jacobsen: Die U5 ist das beste Beispiel. Wir haben in den 1960/70er Jahren Großwohnsiedlungen gebaut, den damals schon eine U-Bahn versprochen wurde, die sie aber erst 80 Jahre später bekommen, wenn die U5 tatsächlich fertig ist. Dass den Leuten Mobilität versprochen wird, die dann aber doch nicht kommt, ist ein großes Problem der Stadtentwicklung. Dass es so kommt, liegt daran, dass Mobilität so unfassbar teuer ist und so unfassbar lange dauert. Ich wünsche mir bei der Stadtentwicklung eine andere Reihenfolge: erst Infrastruktur und dann die Wohnungen.
Sonja Jacobsen: "Wir leiden in Deutschland unter dem Idealismus, das alles perfekt werden muss."
TAG24: Sie haben selbst schon angesprochen, dass gerade Großprojekte viel Zeit und Geld kosten. Außerdem fehlt es an allen Ecken an Platz in der Stadt. Rahmenbedingungen lassen sich nicht so einfach schaffen, schon gar nicht Bestehende von heute auf morgen ändern. Politische Amtsträger haben auch immer mit den Hinterlassenschaften ihrer Vorgänger zu tun. Was würden Sie, ganz konkret, unter der Berücksichtigung dieser Faktoren, machen. Wo soll zum Beispiel der Platz für Fahrradwege herkommen?
Jacobsen: Ich glaube, das ist auch eine Frage der Planungspriorität. Mir würde es schon wahnsinnig helfen, wenn die alten Radwege, untermaßig, wie der Fachbegriff heißt, einfach mal saniert würden. Wir leiden in Deutschland ja immer unter dem Idealismus, dass alles perfekt werden muss. Heute zahlt man für 800 Meter neuen Radweg eine halbe Million Euro, wenn man das alles besonders schick macht. Natürlich hat es einen gewissen Charme zu sagen, wenn wir schon etwas machen, dann richtig und dann im Zuge der gesamten Strecke. Dann können wir aber bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten, bis es so weit ist.
Wenn man aber etwas Bestehendes, was nicht mehr optimal ist, wieder fit und damit nutzbar machen würde, wäre schon viel geholfen. Das gilt für viele Bereiche der Stadt. Etwa auch für die energetische Sanierung von Häusern. Es gibt ja die berühmte 80/20-Regel die besagt, dass die letzten 20 Prozent bis zum Optimum genauso viel kosten, wie die ersten 80. Wenn wir uns an bestimmten Stellen mal mit 80 Prozent zufriedengeben würden, würden wir in der Summe mehr erreichen.
Wenn wir beispielsweise alle Häuser zu 80 Prozent gedämmt haben, sparen wir mehr CO2, als wenn wir nur zehn Prozent der Häuser 100 prozentig gedämmt haben.
Titelfoto: Markus Scholz/dpa