Soziologe erklärt Aufstieg der AfD: Ostdeutsche fühlen sich "abgewertet und missachtet"
Jena - Nach Ansicht des Jenaer Soziologen Klaus Dörre (65) profitiert die AfD in den ostdeutschen Bundesländern von einer gefühlten Entwertung vieler Menschen.
"Hier fühlen sich viele gleich dreifach abgewertet und missachtet: als Arbeiter, als Ossi, inzwischen auch als Mann", sagte Dörre dem "Spiegel". Die AfD bediene dabei das Bedürfnis der Menschen nach Anerkennung.
"Rechtsradikale werten sie auf, als Deutsche und Patrioten, als Angehörige einer Volksgemeinschaft, nicht einer Klasse."
Dabei definierten sie die soziale Frage um - "nicht mehr als Konflikt zwischen Unten und Oben, Arbeit und Kapital - sondern zwischen Innen und Außen: Die Eindringlinge - Geflüchtete und andere Migranten - beanspruchen laut dieser Erzählung unser Volksvermögen, die müssen raus", erläuterte der Experte.
Die AfD erlebte in Umfragen zuletzt einen Höhenflug - erste Wirkungen sind zu sehen: Im südthüringischen Landkreis Sonneberg ist der AfD-Politiker Robert Sesselmann (50) der erste AfD-Landrat Deutschlands, in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt wurde AfD-Politiker Hannes Loth (42) zum hauptamtlichen Bürgermeister gewählt.
Umfrage-Hoch der AfD
Dörre sagte dem "Spiegel", dass Gewerkschaften im Umgang mit der AfD vor einem "echten Dilemma" stehen. Teils gebe es unter Gewerkschaftsmitgliedern rechtspopulistische Haltungen und die Forderung nach einer politischen Neutralität der Gewerkschaften.
Dabei gehöre der antifaschistische Grundkonsens "quasi zur Geburtsurkunde der Gewerkschaften", erklärte der 65-Jährige. Zugleich seien die Gewerkschaften im Osten aber schwächer als im Westen.
"Würden sie kompromisslos gegen ihre rechtsorientierten Funktionsträger in den Betrieben vorgehen, verlören sie vollends den Rückhalt in den Belegschaften, bei denen diese oft ein hohes Ansehen genießen - und würden noch schwächer", so Dörre.
Titelfoto: Heiko Rebsch/dpa