Nach AfD-Sieg in Sachsen-Anhalt: "In diesem Land gerät etwas ins Rutschen"
Raguhn-Jeßnitz - Erneut kann die AfD ein kommunales Spitzenamt erringen. Der neue Bürgermeister der Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz betont zwar, dass es in seinem Wahlkampf nur um kommunale Themen gegangen sei. Trotzdem könnte sein Erfolg die Debatte über den AfD-Höhenflug befeuern.
Vor dem Hintergrund ihres bundesweiten Umfragehochs hat die AfD erneut eine kommunale Wahl in Ostdeutschland für sich entschieden. Der AfD-Kandidat Hannes Loth (42) gewann am Sonntag die Bürgermeisterwahl in der Kleinstadt Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt - nur eine Woche, nachdem im thüringischen Sonneberg erstmals ein AfD-Landrat gewählt worden war.
Während Landespolitiker von Linken und Grünen in Sachsen-Anhalt besorgt reagierten, freute sich AfD-Landeschef Martin Reichardt (53) über ein "Signal, dass wir den bundesweiten Aufwärtstrend (...) gerade auch hier in Mittel- und Ostdeutschland verstetigen können".
Erst vor einer Woche hatte im südthüringischen Sonneberg Robert Sesselmann (50) als bundesweit erster AfD-Kandidat eine Landratswahl gewonnen. Das sorgte international für Aufsehen und fachte die Debatte über den Höhenflug der AfD weiter an.
Der Verfassungsschutz stuft die Partei bundesweit als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus ein. In deutschlandweiten Umfragen rangiert die AfD bei um die 20 Prozent.
Bürgermeisterwahl in Raguhn-Jenitz: Landespolitiker zeigen sich besorgt
Nach der Stichwahl in der 8800-Einwohner-Stadt Raguhn-Jeßnitz erklärten die Linken-Landesvorsitzenden Janina Böttger und Hendrik Lange: "Es ist beunruhigend, dass es nun Vertretern rechtsradikaler AfD-Landesverbände gelingt, kommunale Spitzenämter einzunehmen." Der Grünen-Landesvorsitzende Dennis Helmich (32) bezeichnete das Ergebnis als "massiv enttäuschend".
Der CDU-Landrat des Landkreises Anhalt-Bitterfeld, in dem Raguhn-Jeßnitz liegt, warnte vor weiteren Erfolgen der AfD. "Wenn die Politik, die momentan die Ampel-Regierung vollzieht, so bestehen bleibt, werden das nicht der letzte Bürgermeister und der letzte Landrat der AfD gewesen sein", sagte Andy Grabner (48) der Deutschen Presse-Agentur.
Nicht nur in Ostdeutschland, auch bundesweit könnte das in Zukunft die politische Richtung sein, warnte er. "Das ist kein Sachsen-Anhalt-Phänomen."
Loths Wählerinnen und Wähler seien keineswegs alle Rechtsradikale. "Da sind ganz normale Menschen von nebenan - wie du und ich."
AfD-Mann wird Bürgermeister: Half das bundesweite Umfragehoch?
Der AfD-Landtagsabgeordnete Loth setzte sich in der Stichwahl mit 51,13 Prozent gegen den parteilosen Kandidaten Nils Naumann durch. Der 42-Jährige wurde damit zum ersten hauptamtlichen AfD-Bürgermeister in Sachsen-Anhalt gewählt.
Die AfD sprach auf Twitter sogar vom ersten AfD-Bürgermeister Deutschlands - wobei bis 2020 im baden-württembergischen Burladingen ein Bürgermeister amtierte, der zur AfD gewechselt war.
Loth betonte am Abend, sein Wahlkampf sei rein auf kommunalen Themen aufgebaut gewesen - es gehe um die Stärkung der Feuerwehr, um Kitas und mehr Bürgerbeteiligung. Ob ihm die Wahl Sesselmanns geholfen habe, wisse er nicht. Er stehe auch für diejenigen bereit, die ihn nicht gewählt hätten.
Angesichts des AfD-Höhenflugs warnte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (48, CDU) vor einer zunehmenden Polarisierung in Deutschland. "In diesem Land gerät etwas ins Rutschen", sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Sachsens Ministerpräsident Kretschmer warnt vor Polarisierung wie in Amerika
Die Menschen seien verstört, wie Politik gemacht werde in Deutschland. "Wir sind auf dem Weg in eine Polarisierung, wie wir sie aus Amerika kennen. Die Debatte der vergangenen Woche hat nicht erkennen lassen, dass alle das begriffen haben."
Selbst bei der Wahl in Sonneberg hätten vor allem Deutschlandthemen eine Rolle gespielt. "Energiewende, Heizungsgesetz, Flüchtlingspolitik und Russland-Embargo haben der AfD den Sieg gebracht", meint Kretschmer. "Diese Themen drohen die Gesellschaft zu zerreißen."
Politiker griffen zu "Schuldzuweisung und Abgrenzung, statt sich mit unangenehmen Wahrheiten auseinanderzusetzen", das sei nicht verantwortungsvoll.
"Es muss jetzt um Sachfragen gehen", so Kretschmer.
Titelfoto: Sebastian Willnow/dpa