"Drag-Shows sind Kindeswohl-Gefährdung": Das steckt hinter dieser Aussage

TAG24-Redakteur Florian Gürtler (45) befasst sich in seinem Kommentar mit der rechtspopulistischen AfD und dem stereotypen Vorwurf der Kindeswohl-Gefährdung gegen Dragqueens und andere Angehörige der LGBTQ-Community.

Eine Lesung von sogenannten Drag-Künstlern aus der LGBTQ-Szene für Kinder sorgte unlängst für große Aufregung - insbesondere bei Protagonisten und Anhängern der rechtspopulistischen AfD. Mit dem Slogan "Hände weg von unseren Kindern" suggerierten die Rechtspopulisten, dass die Lesung eine Gefährdung des Kindeswohls darstelle - weshalb nutzten sie gerade diesen Kniff für ihre Kampagne?

Im Juni kam es in München zu einer Demonstration gegen eine Lesung von Drag-Künstlern für Kinder in einer Bibliothek - die AfD hatte zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen.
Im Juni kam es in München zu einer Demonstration gegen eine Lesung von Drag-Künstlern für Kinder in einer Bibliothek - die AfD hatte zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen.  © Sven Hoppe/dpa

Die Frage kam am gestrigen Samstag unter einem Instagram-Video der Frankfurter Dragqueen Electra Pain (34) auf. Sie hatte eine Aufzeichnung von einem ihrer Auftritte vor fünf Jahren online gestellt und dazu geschrieben, dass damals auch Kinder im Publikum anwesend gewesen wären, doch niemand hätte sich aufgeregt.

"Warum sollen Drag-Shows plötzlich gefährlich sein? 🤷‍♀️", (Schreibweise aller Zitate redaktionell angepasst) fügte die Künstlerin - die im bürgerlichen Leben den Vornamen Daniel trägt - noch hinzu.

Um es deutlich zu sagen: In diesem Kommentar werde ich NICHT den Versuch unternehmen, den Vorwurf der "Kindeswohl-Gefährdung" dahingehend zu erklären, was die Rechtspopulisten damit meinen.

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Was ich jedoch deutlich machen möchte, ist, weshalb dieser Vorwurf überhaupt von der AfD und ihren Anhängern mit einer solchen Inbrunst erhoben wurde (die Partei nutzte für die Mobilisierung sogar ein Plakat, das ihr eine Anzeige wegen Volksverhetzung einbrachte).

Es geht mir also um den Zweck, den die AfD und ihre Strategen damit verfolgten.

Es geht Rechtspopulisten um die Konstruktion von geschlossenen Weltbildern

Die "Alternative für Deutschland" (AfD) wurde im Februar 2013 in Oberursel bei Frankfurt am Main gegründet - gegenwärtig verzeichnet die rechtspopulistische Partei deutliche Zugewinne bei Wahl-Umfragen.
Die "Alternative für Deutschland" (AfD) wurde im Februar 2013 in Oberursel bei Frankfurt am Main gegründet - gegenwärtig verzeichnet die rechtspopulistische Partei deutliche Zugewinne bei Wahl-Umfragen.  © AfD-Stefan Sauer/dpa

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer (77) legt in seinem Buch "Autoritäre Versuchungen" aus dem Jahr 2018 dar, dass Rechtspopulisten wie die AfD immer mit sogenannten geschlossenen Weltbildern arbeiten.

Es geht ihnen darum, ihre Anhänger als geschlossene Gruppe zu konstituieren, indem sie eine andere möglichst erkennbare Gruppe zu Außenstehenden und damit quasi zu Gegnern oder Feinden erklären.

Die auszugrenzende Gruppe ist dabei variabel: In der Vergangenheit (und auch heute noch immer mal wieder) nutzte die Partei mit dem roten Pfeil vor blauem Hintergrund als Symbol dafür Menschen mit erkennbarem Migrationshintergrund, im vergangenen Jahr mussten Menschen mit Trans-Hintergrund für diese Taktik als Opfer herhalten und im Juni dieses Jahres waren es Drag-Künstler.

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Dies erklärt die generelle Motivation hinter der Anfeindung von Dragqueens und Dragkings durch die Rechtspopulisten. Doch eine zweite Frage muss ebenfalls geklärt werden: Weshalb die Fokussierung auf angebliche Kindeswohl-Gefährdung?

LGBTQ-feindliche Politik der AfD ist menschenverachtend und gefährlich

TAG24-Redakteur Florian Gürtler (45) lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
TAG24-Redakteur Florian Gürtler (45) lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.  © Florian Gürtler

Diese Wendung stellt ein besonders perfides Manöver dar, denn die AfD knüpft damit unterschwellig an ein Vorbild an, das in der Vergangenheit zu gewalttätigen Pogromen gegen Juden führte: die sogenannte "Ritualmord-Legende".

Die christlich motivierte Feindschaft gegen Juden im europäischen Mittelalter (der "Antijudaismus" im Gegensatz zum modernen Antisemitismus) ging oft mit dem stereotypen Vorwurf einher, die religiöse Minderheit der Juden würde christliche Kinder entführen und ermorden, um deren Blut für religiöse Zwecke zu missbrauchen.

Dieses historische Vorbild ist gewissermaßen die Blaupause, die von den Rechtspopulisten genutzt wird, wenn sie Drag-Künstlern und anderen Angehörigen der LGBTQ-Community vorwerfen, sie würden Kinder - die selbstredend von allen Menschen als schutzbedürftig angesehen werden - durch ihr öffentliches Auftreten gefährden. Dabei wird zwar kein Mord unterstellt, aber der Missbrauchsvorwurf schwingt immer mit.

Die Pogrome gegen Juden im Mittelalter zeigen aber auch, welche Gefahr mit der strategischen Ausgrenzung und Diffamierung von Minderheiten einhergeht: Daraus kann tödliche Gewalt entstehen!

Deshalb ist auch die LGBTQ-feindliche Politik der AfD menschenverachtend und gefährlich.

Titelfoto: Montage: Sven Hoppe/dpa, Florian Gürtler

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