Anti-AfD-Demos sind wichtig, doch diese große Gefahr droht
In seinem Kommentar befasst sich TAG24-Redakteur Florian Gürtler (46) mit den großen Demonstrationen gegen Rassismus und die AfD in Deutschland infolge der Enthüllungen des Recherchezentrums "Correctiv".
Das Recherchezentrum "Correctiv" hat ein Geheimtreffen von Rechtsextremisten, AfD-Politikern und Unternehmern aufgedeckt, bei dem die millionenfache Vertreibung von Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund aus Deutschland besprochen wurde. Infolge der Enthüllung kam und kommt es zu großen Demonstrationen gegen Rassismus und die in Teilen gesichert rechtsextremistische Partei. Doch alle Demonstrierenden sollten sich einer großen Gefahr bewusst sein.
Um dies mit Nachdruck vorwegzunehmen: Die Proteste gegen Rassismus und die "Alternative für Deutschland" sind richtig und wichtig!
Es ist skandalös, wenn sich ein Netzwerk von rechtsextremen Aktivisten wie dem 35-jährigen Martin Sellner, vermögenden Unternehmern und Politikern der AfD bildet, um unter der so harmlos-steril klingenden Überschrift "Remigration" groß angelegte Vertreibungen und Deportationen zu planen, wobei ausdrücklich auch Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit im Fokus der Rechten stehen.
Mit anderen Worten: Sellner und seine Spießgesellen möchten nach eigenem Gutdünken darüber entscheiden, wer nach ihren Vorstellungen ein "guter Deutscher" ist und bleiben darf, und wer eben nicht.
Dass sie dabei neben Menschen mit familiären Wurzeln im Ausland auch Deutsche mit ihnen missliebiger politischer Einstellung meinen, ist der "Correctiv"-Recherche klar zu entnehmen.
Die Geisteshaltung, die sich in diesen Überlegungen manifestiert, erinnert auf erschreckende Art und Weise an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte: die faschistischen Jahre unter der Herrschaft der NSDAP!
Moralische Empörung ist deshalb ohne Frage angebracht. Doch genau hier liegt die große Gefahr, die mit den Anti-AfD-Protesten in Deutschland einhergeht.
"Hyperpolitik": Große Proteste, aber keine Veränderung
Der Historiker Anton Jäger (30) hat im vergangenen Jahr mit dem Buch "Hyperpolitik" (Suhrkamp-Verlag) eine Analyse zurückliegender großer Protest-Wellen in den westlichen Staaten vorgelegt.
Sein Befund: Wir leben in einer Zeit, die er als "hyperpolitisch" bezeichnet.
Damit meint der Historiker, dass zwar einerseits politische Themen große öffentliche Aufmerksamkeit und auch Erregung erzeugen, die daraus resultierenden Proteste jedoch fast immer nur wenige bis gar keine politischen Auswirkungen haben.
Ein gutes Beispiel, das der 30-Jährige anführt, sind die "Black Lives Matter"-Proteste in den USA. Diese hatten zwar enorme Ausmaße, doch am Rassismus und der Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten änderte sich so gut wie nichts, obgleich die Menschen genau hierfür auf die Straße gingen.
In Deutschland können die "Fridays for Future"-Proteste ebenfalls als ein Beispiel für "Hyperpolitik" angesehen werden: Zwar reagierte die Politik mit einigen Gesetzesänderungen, doch für einen wirklich nachhaltigen Klimaschutz reichten diese keineswegs aus.
Genau diese Gefahr droht nun auch bei der Protest-Welle gegen Rassismus und die AfD.
AfD und Rechtsextremismus: Moralische Empörung alleine reicht nicht aus
Es darf nicht bei bloßer moralischer Empörung bleiben! Überzeugte AfD-Wähler werden davon nicht von ihrer Wahl abgehalten, im Gegenteil: Die Proteste könnten sogar mobilisierend für die Anhänger der "Alternative für Deutschland" wirken.
Auch juristische Mittel wie ein AfD-Verbot oder der Entzug des Wahlrechts bei einzelnen Politikern wie Björn Höcke (51) sind keine Mittel, um die rechten bis rechtsextremen Tendenzen in der deutschen Politik zu verhindern. Neue Personen rücken nach oder eine Nachfolge-Partei wird gegründet.
Nein, um die AfD und den Rechtsdrall in unserem Land zu bekämpfen, braucht es politische Mittel, denn es war die Politik, die mit ihren neoliberalen sogenannten "Reformen" in den zurückliegenden Jahren den Nährboden für den heutigen Erfolg der AfD gelegt hat, indem bei breiten Schichten der Bevölkerung Wohlstand abgebaut wurde.
Was es braucht, um die Wiedergänger des Faschismus zurückzudrängen, ist eine linke Politik, welche breiten Massen der Bevölkerung eine spürbare Verbesserung ihrer jeweiligen Situation zukommen lässt.
Der Blick aufs große Ganze: Ein besseres Deutschland ist möglich
Der obige Kommentar war gewissermaßen ein Blick ins Detail, es folgt ein kurzer Blick auf das große Ganze, den ich so oder so ähnlich unter jeden meiner politischen Kommentare stelle.
Ein besseres Deutschland ist möglich, mit einem besseren Leben für uns alle - mit höheren Löhnen und kürzeren Arbeitszeiten, mit niedrigeren Mieten und ausreichend Wohnungen, mit auskömmlichen Renten, einem gut finanzierten Gesundheitssystem, einem wohlwollenden Sozialstaat und einem bezahlbaren und landesweit ausgebauten ÖPNV in einer Gesellschaft, die freiheitlich und sozial bedarfsgerecht sowie ökologisch und klimatisch nachhaltig ist.
Was wir dafür brauchen, ist sozialer Fortschritt, eine linke Republik und final die Überwindung des Kapitalismus in unserem Land.
Titelfoto: Montage: Oliver Berg/dpa, Florian Gürtler