"Enteignung der Sparer": Experte betrachtet Negativzinsen als verfassungswidrig
Deutschland - Es war eine bitterböse Überraschung für Kleinsparer. Mehrere Banken kündigten in den vergangenen Wochen die Einführung von Negativzinsen an. Nun reagiert ein früherer Bundesverfassungsrichter. Er betrachtet den Negativzins als "Enteignung der Sparer".
In Foren und sozialen Netzwerken liefen die Zinssparer Sturm. Sogar die als effizient geltende Direktbank ING-DiBa führt bereits ab einem Kontostand von 50.000 Euro Negativzinsen ein und schließt sich damit 348 anderen Banken an, die ihre Privatkunden dadurch belasten.
Schuld an dem ganzen Dilemma ist die anhaltende Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Erhielten die Banken früher noch Zinsen für das bei der EZB eingelagerte Geld ihrer Kunden, liegt der Leitzins inzwischen bei minus 0,5 Prozent.
Die daraus entstehenden Kosten geben die Banken an ihre Kunden weiter - etwa im Rahmen von Kontoführungsgebühren oder durch ein sogenanntes "Verwahrentgelt".
Der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof (78) sieht in dieser Negativzinspolitik einen Verstoß gegen das Grundgesetz und gegen das im Europarecht garantierte Recht auf Privateigentum.
In seinem am Montag vorgestellten Buch "Geld im Sog der Negativzinsen" (erscheint am 18. Juli) schlussfolgert er: "Das Sparen darf nicht als Anlageform für die Bevölkerung mit kleinem Vermögen gegenüber der Aktie und der Immobilie als Anlageform für Personen mit höherem Geldeigentum benachteiligt werden".
"Das Grundrecht, Nutzen aus seinem Eigentum ziehen zu können, wird dem Sparer durch die Zinspolitik der EZB genommen", betont der Jurist. "Strafzinsen schränken die individuelle Freiheit ein, mit meinem Geld zu machen, was ich will."
Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof: "Negativzinsen der Europäischen Zentralbank enteignen die Sparer"
Den Negativzins der EZB sieht Kirchhof als "klaren Rechtsbruch". Seine Begründung: "Die EZB hat dafür gar kein Mandat, sie handelt ohne Auftrag und ohne demokratische Kontrolle. Ihre Aufgabe ist es allein, für Geldwertstabilität zu sorgen, also dafür, dass die Inflation nicht außer Kontrolle gerät."
Auch der frühere Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (74) unterstützt Kirchhofs Anliegen: "Das Buch von Professor Kirchhof hat rechtlich und politisch Wucht. Wer auch immer nach der Wahl in der kommenden Bundesregierung vertreten ist, muss sich damit auseinandersetzen."
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