"90 Prozent ungeiler" - Steinmeier erntet Kritik für Pflichtjahr-Konzept
Berlin - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (66, SPD) hat bei einer Diskussionsrunde im Schloss Bellevue Widerspruch für sein Konzept einer sozialen Pflichtzeit für alle Menschen geerntet.
Statt einen solchen sozialen Dienst zur Pflicht zu machen, sollten ehrenamtliches Engagement und Freiwilligendienste stärker gefördert und auch besser bezahlt werden, hieß es in der Runde am Dienstag.
Eine junge Frau aus dem Publikum sagte, sie mache ein Freiwilliges Soziales Jahr, weil sie sich engagieren möchte.
"Wenn es eine Pflicht geben würde, fände ich das gleich 90 Prozent ungeiler. Ich glaube, dass Tolle an diesem sozialen Engagement ist, dass es freiwillig ist."
Steinmeier sagte zur Eröffnung der Diskussionsrunde unter dem Motto "Wie stärken wir, was uns verbindet?", ihm sei von Anfang an sehr klar gewesen, dass sein Vorschlag nicht nur Begeisterung hervorrufen werde. Ihm sei es vor allem wichtig, dass "diese Debatte jetzt nicht wieder im Nichts endet".
Millionen Menschen in Deutschland kümmerten sich täglich um ihre Kinder, um alte oder kranke Verwandte, um Freunde oder Kollegen. Millionen seien im Ehrenamt oder als freiwillige Helferinnen und Helfer für andere da, sagte Steinmeier.
"Aber es gibt eben auch Anzeichen dafür, dass das bürgerschaftliche Engagement, das Rückgrat unseres Gemeinwesens, mancherorts schwächer wird. In unserer alternden Gesellschaft altert eben auch das klassische Ehrenamt, vor allen Dingen das in Vereinen und Organisationen. Die Verantwortung verteilt sich auf weniger Schultern."
Der Bundespräsident möchte mit einem Pflichtjahr ehrenamtliche Helfer entlasten
In Deutschland gebe es immer weniger Begegnung und Austausch zwischen verschiedenen Menschen - zwischen Jungen und Alten, Armen und Reichen, Ost- und Westdeutschen, zwischen Städtern und Landbewohnern, zwischen hier Geborenen und Eingewanderten.
Steinmeier sprach von "gläsernen Wänden, die um relativ geschlossene Gruppen und ihre Lebenswelten gezogen sind".
Demokratie gehe nicht ohne Zusammenhalt. "Und sie geht nicht ohne unser aller Einsatz für dieses Gemeinwesen, in dem wir leben."
Zusammenhalt und Gemeinsinn entstünden nicht von selbst, sie müssten im Miteinander der vielen Verschiedenen eingeübt werden.
In der Diskussionsrunde lehnte die Studentin Kira Wesbuer, die auch Mentorin im freiwilligen politischen Jahr bei den internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten ist, jeglichen Zwang ab.
"Ich würde gern die Debatte führen, wie wir Freiwilligendienste generell attraktiver machen." Deutlich wurde, dass dazu vor allem auch eine angemessene Bezahlung gehört. Im Durchschnitt bekäme man im Freiwilligen Sozialen Jahr monatlich 300 Euro, sagte Hannes Wendler von der Johanniter Unfallhilfe.
"Eine Familie muss sich dieses soziale Jahr leisten können."
Titelfoto: Bernd von Jutrczenka/dpa