Regierung kündigt "Zeitenwende" an: Was sich für Euch zum Positiven ändern könnte
Berlin - Zugegebenermaßen: Auf den ersten Blick scheint das Justizministerium nicht sonderlich spannend zu sein. Doch hinter Bergen von Gesetzestexten und Aktenordnern arbeiten Minister Marco Buschmann (44, FDP) und seine rechte Hand Benjamin Strasser (35, FDP) daran, dass wir Deutschen schon bald ein einfacheres Leben haben. Was genau die beiden planen, verriet der Parlamentarische Staatssekretär Strasser TAG24 im gemeinsamen Gespräch.
TAG24: Justizminister Marco Buschmann hat die nächste Zeitenwende angekündigt, dieses Mal im Familienrecht. Was ist mit der geplanten "Verantwortungsgemeinschaft" gemeint?
Benjamin Strasser: Die Verantwortungsgemeinschaft ist ein Rechtsinstrument für Menschen, die weder heiraten, noch sich adoptieren möchten, aber trotzdem rechtsverbindlich für einander Verantwortung übernehmen wollen.
Also beispielsweise für zwei ältere Damen, deren Männer verstorben sind und in großen Häusern nebeneinander wohnen und nicht ins Pflegeheim wollen. Die können dann beispielsweise sagen, "wenn mir etwas passiert, dann sollst du ein Auskunftsrecht im Krankenhaus haben". Auch gegenseitige, finanzwirksame Verpflichtungen könnten möglich sein.
TAG24: Klingt gut, aber wie genau soll das umgesetzt werden?
Strasser: Wir werden da höchstwahrscheinlich ein Stufenmodell einführen. Wir wollen es im Grundsatz den Menschen einfach machen. An anderer Stelle macht es der Gesetzgeber ja bereits. Beispielsweise gibt es im Gesellschaftsrecht für fast jedes Unternehmensmodell eine eigene Rechtsform. Von der GmbH über die GbR, die GmbH & Co. KG, die Aktiengesellschaft und viele andere.
TAG24: Wo wir gerade beim Thema sind: Was sind die Top-3-Gesetze, an denen gerade im Justizministerium gearbeitet wird?
Strasser: Beispielsweise die Abschaffung von § 219a.
Es war uns sehr wichtig, hier sehr schnell zu handeln und den betroffenen Frauen
und Ärzten Rechtssicherheit zu verschaffen. Dann gehen wir sehr engagiert das
Thema Bürgerrechte an, insbesondere die Abschaffung der anlasslosen
Vorratsdatenspeicherung und die Implementierung eines Quick Freeze Verfahrens.
Das bedeutet "Quick Freeze"
TAG24: Kurze Zwischenfrage: Was genau ist das "Quick Freeze"-Verfahren?
Strasser: Quick-Freeze ist die grundrechtsschonendere Alternative zur Vorratsdatenspeicherung. Telekommunikationsanbieter sollen bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können.
Anders als bei der Vorratsdatenspeicherung, bei der die Daten aller Bürgerinnen und Bürger gespeichert werden, soll das aber nur anlassbezogen bei bestimmten Personen bei Verdacht auf schwere Straftaten erfolgen. Das ist rechtsstaatlich sauber und gibt den Ermittlern ein Instrument für die Aufdeckung von Straftaten in die Hand, das auch in der Praxis tatsächlich angewendet werden kann.
TAG24: Woran arbeitet das Justizministerium aktuell noch?
Strasser: Als Fortschrittskoalition wollen wir gerade die gesellschaftliche Realität in einen entsprechenden Rechtsrahmen gießen. Deshalb haben wir einige Gesetzentwürfe, die wir gern zeitnah vorantreiben wollen, beispielsweise die Liberalisierung des Namensrechtes oder die Verantwortungsgemeinschaft. Eigentlich gibt es für uns gar nicht diese Top 3, sondern es gibt viele offene Baustellen. Über Jahre hinweg ist vieles liegen geblieben. Die Menschen in Deutschland sind deutlich weiter als der Gesetzgeber. Es gibt also viel zu tun!
Auch Bürokratieabbau und Digitalisierung ganz oben auf der Agenda
TAG24: Das Innenministerium (BMI) will einen Digital-Check für alle Gesetze. Sind Schlagworte wie Digitalisierung und Bürokratieabbau ein Prestigewettbewerb der Ampel-Parteien? Oder kennt das Ressort seine Zuständigkeit nicht?
Strasser: Das BMI erarbeitet gerade eine Konzeption für alle Ministerien, weil jedes einzelne Ministerium bei seinem Gesetzesvorhaben diesen Digital-Check durchführen soll. Wir haben durch den Koalitionsvertrag die Zuständigkeit für den Nationalen Normenkontrollrat bekommen, der vom Kanzleramt ins Bundesjustizministerium wandert.
Dieser Normenkontrollrat ist unabhängig. Er hat bei uns nur seine Geschäftsstelle. Wir können ihm keine Weisungen erteilen, was wir auch gar nicht wollen. Und dieser Rat wird dann im zweiten Schritt prüfen, ob bei den einzelnen Vorhaben der Digital-Check auch korrekt durchgeführt worden ist.
Ich glaube, dass sich durch Digitalisierung viele Potenziale beim Bürokratieabbau heben lassen.
TAG24: Kann und will die deutsche Verwaltung überhaupt Digitalisierung?
Strasser: Digitalisierung heißt ja nicht nur, dass analoge Prozesse digital ablaufen. Sondern ich brauche zum einen gemeinsamen Willen, ein gemeinsames Leitbild in den Behörden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung im Alltag auch nutzen wollen.
Das kann der Bund nicht vorschreiben, das muss innerhalb der einzelnen Behörden gelebt und vorgelebt werden. Am schlimmsten ist es, parallel analog und digital zu fahren. Dann kommt sowas raus, was wir auf diesem Bild sehen. Deswegen ist die Akzeptanz von Digitalisierung extrem wichtig.
TAG24: Also muss der Bund nur vorangehen und die Länder und Kommunen werden dem Vorbild schon folgen?
Strasser: Das kann man in verschiedensten Bereichen angehen. In den Rahmenbedingungen von Förderprogrammen beispielsweise. Der Bund könnte beispielsweise nur noch digitale Strukturen fördern und keine analogen mehr. Dann müssen die, die die Gelder haben wollen, ihr Vorhaben schon von Anfang an digital denken.
Titelfoto: Bernd von Jutrczenka/dpa