Nancy Faeser im Interview: Warum wollen Sie Berlin verlassen, Frau Innenministerin?
Berlin/Wiesbaden - Wenn Hessen am 8. Oktober seinen neuen Landtag wählt, dann steht auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (53) im Fokus der Öffentlichkeit. Als Spitzenkandidatin der SPD möchte sie Amtsinhaber Boris Rhein (51, CDU) ablösen und neue Ministerpräsidentin werden. Mit TAG24 sprach sie über die anstehende Wahl.
TAG24: Frau Faeser, viele Menschen außerhalb Hessens wunderten sich bei Verkündung Ihrer Spitzenkandidatur, dass Sie das "große" Amt der Bundesinnenministerin gegen den "kleinen" MP tauschen wollen. Warum dieser Rückschritt?
Nancy Faeser: Es ist eine Herzensentscheidung für meine Heimat Hessen. Und unterschätzen Sie bitte den Einfluss und das bundespolitische Gewicht einer Landesregierung nicht.
Die Bundesrepublik ist ein föderaler Staat, in dem die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten an vielen Stellen über die Politik des Bundes mitentscheiden.
Außerdem sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Ministerpräsidentin von Hessen thematisch enorm breit gefächert. Ich habe über 30 Jahre lang Politik in Hessen und für Hessen gemacht, da ist es doch nur konsequent, dass ich das Land nun führen will.
TAG24: Innenministerin und Wahlkampf: Wie kommen Sie mit der Doppelbelastung Berlin/Wiesbaden klar?
Faeser: Das spürt im Moment vor allem meine Familie. Für sie bleibt aktuell nur sehr wenig Zeit.
TAG24: 1999 schied mit Hans Eichel der letzte SPD-Ministerpräsident aus dem Amt. Warum wird es Zeit, die CDU-Regentschaft nach 24 Jahren wieder zu beenden?
Faeser: Die CDU hat sich über diese lange Zeit in die Erschöpfung regiert. Da passiert einfach nichts mehr, denn die CDU hat keinen Gestaltungswillen mehr, keine politischen Ideen und kein frisches Personal.
Und deswegen bleiben all die wichtigen Themen, die über die Zukunft unseres Landes entscheiden, unbearbeitet liegen: die Krankenhausfinanzierung, der Klimaschutz, der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Wohnungsbau, die Frage der Mobilität von morgen, der digitale Umbruch in den Unternehmen – und vor allem der Fachkräftemangel.
Das möchte Innenministerin Nancy Faeser in ihrer Heimat ändern
TAG24: Was würde sich mit Ihnen als Regierungschefin ändern?
Faeser: Eine von mir geführte Regierung wird die Herausforderungen, vor denen das Land steht, aktiv anpacken. Das Schön- und Kleinreden, das die aktuelle Landesregierung von CDU und Grünen auszeichnet, wird es mit mir nicht geben.
Im Zentrum wird, wie gesagt, der Kampf gegen den Fachkräftemangel stehen. Mir ist es wichtig, das Vertrauen in die Politik und deren Fähigkeit, Probleme zu lösen, wieder zu stärken.
TAG24: In Umfragen schaut es aktuell gar nicht gut aus. Können Sie das Ruder noch herumreißen? Ihr Chef in Berlin hat das ja auch schon mal auf eindrucksvolle Art geschafft …
Faeser: Selbstverständlich hat die SPD in Hessen das Potenzial, die stärkste politische Kraft zu werden. Die Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger verfestigt sich erfahrungsgemäß erst kurz vor dem Wahltag, das haben wir zum Beispiel bei der letzten Bundestagswahl gesehen.
Ich erfahre bei meinen Gesprächen mit den Menschen in Hessen durchweg viel Zuspruch und Unterstützung.
TAG24: Was macht Hessen so besonders?
Faeser: Die großartigen Menschen, die hier leben, und die Vielfalt zwischen Bad Karlshafen im Norden und Hirschhorn im Süden. Hessen hat einerseits das dicht besiedelte Rhein-Main-Gebiet mit der pulsierenden Metropole Frankfurt und andererseits die Beschaulichkeit und die Ruhe des sogenannten 'ländlichen Raums'. Wir haben in Hessen wunderschöne Landschaften, wir haben wertvolle Traditionen und wir haben - bei allen Unterschieden - eine gemeinsame hessische Identität.
Bleibt Nancy Faeser bei einer Wahlniederlage in Berlin?
TAG24: Bleiben Sie bei einer Niederlage eigentlich in Berlin?
Faeser: Ich bewerbe mich bei den Hessinnen und Hessen um das Amt der Ministerpräsidentin. Ich möchte gestalten und Verantwortung tragen. Oppositionsführerin war ich schon. Wenn die Wählerinnen und Wähler sich anders entscheiden sollten, werde ich weiterhin als Bundesinnenministerin meiner Verantwortung gerecht werden.
TAG24: Eine letzte Frage: Waren Sie schon im Urlaub und wenn nicht, wo geht es diesen Sommer noch hin?
Faeser: Ich tanke ein paar Tage Kraft mit meiner Familie in Südfrankreich.
Titelfoto: dpa/Christoph Soeder